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aus: Interim Nr.16, 12.08.1988
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Ausbeutung und HERRschafI im Alltag angreifen, revolutionäre Gegenmacht aufbauen
3. Tag Mittwoch, 28.9.88
Morgens voller Energie um halb sechs aufstehen und sich auf die Arbeit freuen - strahlende Gesichter in der U-Bahn, alle sind glücklich, so früh aufzustehen. Die Chefs sind nett, eigentlich eher Kollegen, kein Wunder, daß man/frau gut gelaunt Werte schafft. Die Frauen - alle schön und sexy - sie sind nicht nur zum Arbeiten da, sondern auch für die gute Stimmung und zum Genuß für die Männer-Augen. Abends zurück in den Schoß der Kleinfamilien. Ob verheiratet oder nicht - die Zeiten ändern sich eben. Kleiner Schwatz mit dem Nachbarn, und der neue Punk von nebenan arbeitet auch den ganzen Tag fleißig in seinem Kollektiv.
Und die Frau von heute schafft Haushalt, Kinder, etwas Teilzeilarbeit - und alles ohne Klagen. Immer noch frisch und knackig, modebewußt und liebevoll. Zur Entspannung mal ein Bier oder eine kleine Pfeife - dann kommt auch der Rest wieder in Ordnung.
So hätten sie uns gerne: vereinzelt, abhängig, passiv und brav.
Um das weltweite System von Profit, Verwertung und HERRschaft aufrechtzuerhalten, brauchen die HERRschenden uns als angepaßte und gefügige ArbeiterInnen, wollen sie uns sexistisch und rassistisch spalten und gegeneinander ausspielen, sowohl bei der Lohnarbeit als auch da, wo es sowieso noch nie Lohn dafür gab (Hausarbeit, Pflege...).
Die wesentlichen Säulen dieser HERRschaft sind:
- der Zwang zur Arbeit, sich gemäß kapitalistischen und patriarchalen,
Bedingungen verkaufen zu müssen, um eine Existenzgrundlage zu haben, vor dem sich nur die Skrupellosen und Egoisten entziehen können, indem sie andere Menschen für sich arbeiten lassen (der Reproduktion der Männer durch Frauen bis zur Gründung einer Firma).
- und Zwang zu geschlechtshierarchischem Rollenverhalten, nötig, um die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern aufrechtzuerhalten, die Ausbeutung und Spaltung von Männern und Frauen innerhalb der Klasse möglich macht. Dazu benutzen SIE Gewalt in jeder Form als Ausdruck der Geschlechtshierarchie und als Druckmittel, um Frauen mit Kopf und Körper zur
Unterwerfung zu zwingen. Patriarchaler Rollenzwang verlangt aber auch von Männern bestimmte Verhaltensnormen/formen.
Das größte Problem der HERRschenden ist, daß an diesen Säulen ihrer Macht permanent gerüttelt wird, daß es schon immer Widerstand (von der Verweigerung, Sabotage bis zur organisierten revolulionären Bewegung) gegen ihre Interessen gab/gibt. Klassenkampf. Auf dieses Kampfverhältnis lassen sich letztendlich alle gesellschaftlichen Bedingungen und Funktionen von Institutionen zurückführen; egal, ob Schule, Kirche, Sozialamt oder Knäste.
Wir wollen den Kongreßablauf stören, insbesondere aber alltägliche Unterdrückungsstrukturen benennen und den (oft unsichtbaren) Widerstand und die Verweigerung, die dagegen läuft, zuspitzen und aufzeigen, daß dieses System in seiner scheinbaren Allmacht überall angreifbar ist. Das heißt vor allem: Kollektive Aneignung:
"Nehmen wir uns, was uns sowieso gehört" - gezielte Störung: "Sand im Getriebe der Macht"
Aneignung ist jedes "Blaumachen", Schule Schwänzen, sind Hausbesetzungen, ist das Erkämpfen von Frauenräumen, sind die täglichen Laden"diebstähle", das Schwarzfahren, ist Versicherungs"betrug"... Aneignung ist auch Mietminderung und Hausbesetzung gegen die Macht der Eigentümer.
Das sind zunächst auch Brüche, die sogenannte "Kleinkriminalität" und Banküberfälle.
Aneignung passiert bewußt wie unbewußt, massenweise wie individuell. Auch sie kann Bereicherung und Hierarchie heißen. Aneignung läuft organisiert wie spontan. Und auch Organisierung heißt nicht nur gutes Kollektiv - viele Einbruchsbanden sind durchstrukturiert, abgesehen, daß es oft die falschen sind bzw. viel zu brutal und ungezielt vorgegangen wird, Männlichkeit großgeschrieben wird und das Ganze eingebettet liegt in kapitalistische Hehlerstrukturen.
Aneignung ist für uns auch, wenn Flüchtlinge sich einfach das Recht nehmen, hier her zu kommen, egal, ob sie verfolgte sind, oder weil sie den extremen Lebensdingungen im Trikont (in Afrika, Asien, Lateinamerika) entfliehen wollen. Aneignung kann auch heißen, Ehrfurcht und Anerkennung der weißen Medizin zu durchbrechen und Wissen und Fähigkeiten außerhalb und gegen die Logik der herrschenden Wissenschaft/Technologie zu verarbeiten.
Aneignung sind Sender, Zeitungen und Broschüren, die unterdrückte Nachrichten weiterverbreiten. Angeeignet ist jede Stunde, in der Frauen aus ihren zugedachten Rollen als Trösterin, Pflegerin, Ruhekissen und geduldiges Arbeitstier in Fabrik oder Haushalt ausbrechen. Angeeignet ist jedes Frauencafe, jeder Freiraum, ist sich den Mut und die Kraft zum Kämpfen nehmen, zum Widerstand gegen Macker, ist Kinderversorgung unabhängig von Kitaplätzen zu organisieren, ist wenn jede Frau sagen kann was mit meinem Körper passiert, entscheide ich.
Aneignung ist Ausdruck vom alltäglichen Überlebenskampf der Klasse, ist die selbstverständlichste Methode in der Gegenwehr gegen die Kapitalverwertung und -strategie, gegen Männerherrschaft und Ausbeutung von Frauen.
Entsteht Aneignung, so wie wir versucht haben, sie zu umreißen, mehr aus der Defensive, um sich selbst einen Raum zu verschaffen, so verstehen wir Störung mehr als Ausdruck der Unzufriedenheit gegen die Verhältnisse. Beide Formen fließen allerdings ineinander, sind nicht starr auseinanderzuhalten.
Störung sind: Parolen, Graffiti an den Häuserwänden, sind unsere Flugblätter, in den U-Bahnen, Fabriken, Kaufhäusern, und Briefkästen.
Störung sind: umgestaltete Werbeplakate, das Eingreifen bei sexistischen und rassistischen Sprüchen.
Störung ist: die Verweigerung den Körper zur Verfügung stellen, für die Versorgung der Männer zuständig zu sein, den Mode-Ideale zu passen.
Störung ist, wenn Frauen mit Frauen zusammenleben, wenn wir die Vereinzelung brechen, die uns beHERRschbar macht.
Störung ist: der Faustschlag ins Gesicht des Schleifers, Meisters, Vorarbeiters, Mackers und Anmachers.
Störung sind: klirrende Scheiben und brennende Reifen.
Störung kann: blind und destruktiv sein (zerstörte Telefonzellen), sie kann aber auch gewollte und geplante Subversion, Sabotage und Agitation sein, das Zersetzen der "Ordnung" und "Normalität". Sie kann Sympathie und Verständnis hervorrufen, aber auch Ablehnung und Haß.
Störung sind: geklaute oder vernichtete Akten aus Ämtern und Firmen, sind sabotierte Überwachungskameras. Manchmal aber auch nur eine unbequeme Frage zur richtigen Zeit gestellt, eine beharliche, nachbohrende Neugier, die menschenverachtenden Praktiken auf die Finger schaut.
Gestört sind diejenigen, die aus der Anonymität ihrer Schreibtische, ihrer Uniformen hervorgezerrt werden und als Schließer, Richter, Chefs plötzlich Namen und Gesichter bekommen.
Störend ist es, wenn die angeblich "Schwachen" sich auf einmal wehren und nach oben zurückhauen, wenn wir solidarität entwickeln, die die Isolation von Knästen und Psychiatrie überwindet, wenn wir uns selbst organisieren, unsere Interessen selbst vertreten und nicht an Parteien und Gewerkschaften delegieren.
Es soll also darum gehen, durch Störung und Aneignung die oft vereinzelte und unscheinbare Gegenwehr zum gemeinsamen Angriff gegen HERRschaft und Kapitalismus zu machen. Noch besser natürlich, wenn es uns dadurch auch gelingt, in den Ablauf des Kongresses einzugreifen. Das hängt natürlich in erster Linie davon ab, wieviele Frauen und Männer sich diesen Tag zu eigen machen, krankfeiern, oder bei der Arbeit ansetzen, sich selbst überlegen, wie wir an diesem Tag unseren Widerstand deutlich machen wollen.
Unsere Vorschläge für das "offizielle Programm" des 3. Tages:
Von 8.30 Uhr bis etwa 11.30 Uhr Begrüßung vor dem Arbeitsamt Charlottenstraße
- Zug über Checkpoint Charlie und Ausländerbullerei Putkamerstraß - Kundgebung vor der AOK Mehringplatz
- Die Begrüßung soll der morgendlichen Schlange vor dem Arbeitsamt etwas Abwechslung bieten, das heißt wir wollen den normalen Ablauf nicht beeinträchtigen, sondern auflockern. Die Leute sollen selber entscheiden, ob sie jetzt den lästigen Gang hinter sich bringen oder sich zu uns stellen. Der Zug ist nicht unbedingt als Demo zu verstehen, sondern mehr als Spaziergang, auf dem wir an einigen Stellen noch etwas anmerken wollen.
- Die Ausländerbullerei wird an diesem Tag geschlossen sein, dennoch wollen wir zu täglichen Schikanen und Rassismus einen Beitrag abhalten.
- Die Kundgebung vor der AOK hat das Ziel, den Verwaltungsablauf zu stören. Der Sozialversicherungsausweis, der ab 1989 mit Hilfe der Krankenversicherungsnummer der AOK eingerichtet wird, ist die bisher höchste Stufe der Totalerfassung und Kontrolle.
AOK, Ausländerbullerei, Arbeitsamt sind drei der Institutionen, die, je nachdem wie die Klasse Wege erfindet, sich von den permanenten Zwängen zeitweilig zu lösen, ihr Instrumentarium stets verleinern und abstimmen. Ziel ist es immer, die Menschen vollständig zu verwalten, Abweichungen, Widerspenstigkeiten früh zu erkennen und zu reglementieren.
Nach dem Besuch bei der AOK wollen wir in die Geschäftsviertel der Stadt gehen.
- Es wird voraussichtlich einen "Autokorso" zur Deutschen Bank am Ernst-Reuter-Platz geben der von einem Zusammenschluß von Kollektiven organisiert wird. Ein Großteil der Haushalte ist bei Banken verschuldet. Mit unserem zäh erackerten Geld finanzieren die Banken ihre Geschäfte im Trikonl. Über die Schufa und den Kontenzwang sind die Banken ein weiteres Kontrollinstrument in unserem Alltag.
Spätestens ab jetzt schlagen wir dezentrale Aktionen vor:
- Um 16.30 Uhr etwa wollen wir uns dann in einem oder mehreren (vorher bekanntgegebenen) Kaufhäusern wieder treffen zwecks "Kaufhausbegehung", um dort unsere ganze Fantasie walten zu lassen. Zum Beispiel: Waren aus Südafrika und Israel besprühen, Flugis verteilen, unsichtbares Theater spielen, Detektive ärgern, das Durcheinander nutzen um uns die Taschen zu füllen, Sicherungsetiketten abknipsen, Kassen sabotieren und vieles mehr...
Dabei ist Kaufhaus für uns nicht nur Konsumtempel, sondern auch Fabrik, in der viele hundert Menschen arbeiten; ist zwar auch Rausch, das mühsam erackerte Geld wieder rauszuhauen, aber vor allem auch Arbeitsort für Tausende von Hausfrauen, die dort die täglichen Einkäufe machen müssen.
Am Abend wollen wir auf den Ku-Damm oder zu naheliegenden Kulturstätten gehen, um die Bonzen beim Relaxen und edel Speisen zu stören.
eat the rich
zu Teil 5
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