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Inhalt

Einleitung

Anmerkungen

Korrekturen

Antrag Indizierung

AG Grauwacke


Verfahren

Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in Bonn

Entscheidung Nr. 5408 vom 06.07.2006

Antragsteller:
Bundesministerium für Familie,
Senioren,Frauen und Jugend
Rochusstrasse 8-10
53123 Bonn

Verfahrensbeteiligte:
Berlin Hamburg Göttingen
Assoziation A
Geneisenaustr. 2a
10961 Berlin

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat in ihrer 573.Sitzung vom 06.Juli 2006
...
( die Liste der Teilnehmer wird hier ausgelassen)
...
beschlossen:
Das Buch "Autonome in Bewegung", Berlin Hamburg Göttingen Assoziation A Berlin
wird nicht in die Liste der jugendgefährdenden Medien eingetragen.

Sachverhalt

Das Buch "Autonome in Bewegung" wird herausgegeben von "Berlin Hamburg Göttingen Assoziation A", Berlin und kostet 20,00 Euro.

Der Inhalt des Buches wird auf der Rückseite des Einbands wie folgt beschrieben:
"A.G. Grauwacke, eine Gruppe von fünf Autoren berichtet "streng subjektiv" aus 23 Jahren autonomer Politik (1980-2003). Keine Szene-Broschüre und keine Diplom-Arbeit, sondern der Versuch, der kollektiven Geschichtsschreibung auf die Sprünge zu helfen. Warum wurden und werden Häuser besetzt? Wie fühlst du dich beim Werfen eines Mollis? Gab es die Globalisierungsbewegung schon 1988? Waren die 90er verwirrt? Gibt es heute überhaupt (noch) Autonome? Wie soll es weitergehen?"

Das 408-seitige Buch beinhaltet im wesentlichen 5 Kapitel zur "Autonomen Bewegung" aus der Zeit von 1980 bis heute, die zeitlich aufgegliedert sind: Kapitel 1:1980-1984, Kapitel 2: 1984-1987, Kapitel 3:1987-1990, Kapitel 4:Die 90er Jahre und Kapitel 5: die nächsten 23 Jahre.

In dem Buch befinden sich zahlreiche Artikel von Zeitzeugen, ehemaligen Autonomen sowie Originalfotografien aus der Zeit. Eine Zeitleiste am unteren Rand jeder Seite gibt Auskunft z.B. über Geschehnisse der Weltpolitik und der Wirtschaft der jeweiligen Jahre.

Das Bundesministerium für Familie,Senioren,Frauen und Jugend beantragt die Indizierung dieser Broschüre. Sie sei gemäß § 18 Abs. 1 JuSchG geeignet, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden. In dem Buch werde die Geschichte der autonomen Bewegung in Deutschland geschildert. Dabei werde auch "Militanz", d.h. die Anwendung von Gewalt gegenüber Personen und Sachen beschrieben, positiv konnotiert und als für die Erreichung einer anderen Gesellschaftsordnung legitimes Mittel dargestellt.
Der Antragsteller verweist hierzu auf diverse Textstellen.

Der Verfahrensbeteiligte wurde form- und fristgerecht über die Absicht der Bundesprüfstelle, in der Sitzung vom 06.07.2006 zu entscheiden, unterrichtet. Der Verfahrensbeteiligte hat sich zur Sache nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzeheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prüfakte und auf den des Buches Bezug genommen. Den Mitgliedern des 12er-Gremiums ist das verfahrensgegenständliche Buch vor der Sitzung übersandt worden.

Gründe

Das Buch "Autonome in Bewegung", herausgegeben von "Berlin Hamburg Göttingen Assoziation A", Berlin, war nicht in die Liste der jugendgefährdenden Medien aufzunehmen.

Das Zwölfergremium der Bundesprüfstelle hat sich intensiv mit der Frage der Anstachelung zur Gewalt und der Gewaltverharmlosung auseinandergesetzt.

Nach § 18 Abs. 1 Satz 2 JuSchG sind Medien jugendgefährdend, wenn sie unsittlich sind, verrohend wirken, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizen.

Problematisch erschienen dem Gremium, die vom Antragsteller in diesem Zusammenhang benannten Passagen in dem Artikel "Massenmilitanz" auf Seite 148. Hier heißt es: "Wenn Steine oder Mollis flogen, dann war das häufig auch eine Befreiung - von den Zwängen des Alltags, der Unterdrückung und Entfremdung. Das dumpfe Trommeln des auf die Wannen prasselnden Steinhagels, das kollektive Plündern von Supermärkten war für uns der Gesang von Freiheit und Abenteuer. Und es machte einfach Spaß, den Bullen eins in die Fresse zu hauen, sie zum Laufen zu bringen, dieses wunderschöne knackend-schwingend-sirrende Geräusch einer zerbrechenden Schaufensterscheibe zu hören oder in den Straßenschluchten die rot-gelben Farben einer brennenden Karosse mit dem schwarzen Rauch drüber zu sehen.
Das mitzubekommen, dabei gewesen zu sein, selbst Hand angelegt zu haben - davon konnten wir tagelang zehren, das gab uns Nahrung für den grauen Alltag."

Auch der Artikel " Was trennt die Geschwister?", S. 137 ff. erschien dem Gremium unter dem Aspekt der Gewaltverharmlosung bedenklich. Hier heißt es auf S. 138/139:
"Schüsse auf den Wirtschaftsminister und Bomben auf Gebäude der Flughafen AG sind die "klassischen Mittel" der Stadtguerilla. Brandanschläge auf Bagger und Baufirmen gelten als nachmachbare Mittel des autonomen Widerstands."

Die oben genannten Textstellen drücken nach Ansicht des Gremiums zwar eine dahin gehende Tendenz des Verfassers aus, die in der Vergangenheit von autonomen Gruppierungen vorgenommenen Gewalthandlungen zu rechtfertigen, insbesondere insofern, als die Verfasser auch vom heutigen Standpunkt aus, "Militanz" als "notwendigen Bestandteil linksradikaler Politik" ansehen (vgl. S. 380).
Das Gremium hat jedoch auch festgestellt, dass es sich bei dem Buch um ein Werk handelt, welches anhand von Beschreibungen durch Zeitzeugen die "autonome Bewegung" der Jahre 1980-2003 aufarbeitet. Die Verfasser schreiben in der "Einleitung"(S.7): "Einiges,das wir hier selbst nicht oder nur unvollständig erzählen könnten, haben andere aufgeschrieben. Aber insbesondere wollten wir, dass das Buch viele dazu anregt ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Geschichte wird von vielen gemacht, nicht von fünfen."

Dem Buch kommt nach Aussage der Verfasser und auch durch seine in Zeitzeugen-Berichte gegliederte Form somit ein eher historisch-beschreibender Charakter zu. Es gibt eine sehr individuelle, persönliche Sicht der Verfasser zu der damaligen Zeit wieder. Es handelt sich insoweit um Beschreibungen von Zeitzeugen, welche rückblickend ihre Motivation und Gefühlslage bei der Vornahme von Gewalthandlungen beschreiben.

Die Verfasser propagieren jedoch nicht, diese oder vergleichbare Taten zu wiederholen. Insoweit stacheln die Textstellen nicht zur Gewalt an und regen auch nicht zu Nachahmungseffekten durch die Rezipienten an.

Das Gremium hat jedoch auch gesehen, dass die vom Antragsteller beanstandeten Textpassagen an anderer Stelle gebraucht oder innerhalb eines nur geringfügig veränderten Kontextes durchaus Indiz für eine Gewaltverherrlichung sein könnten.

Das Gremium hat eindeutig dahingehend votiert, dass insbesondere ältere Jugendliche die beanstandeten Textpassagen in den richtigen Gesamtzusammenhang einordnen können werden und für diese keine Gefährdungsvermutung zu unterstellen ist. Im Hinblick auf jüngere Jugendliche ist unter Umständen eine Jugendbeeinträchtigung nicht auszuschließen. Über eine mögliche Jugendbeeinträchtigung kann jedoch das 12er-Gremium nicht befinden.

Das Gremium hat daher entschieden, das verfahrensgegenständliche Buch nicht in die Liste der jugendgefährdenden Medien aufzunehmen.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Eine Klage gegen diese Entscheidung kann innerhalb eines Monats ab Zustellung schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz 1, 50667 Köln, erhoben werdn.Die Klage ist gegen die Bundersrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesprüfstelle zu richten (§§ 25 Abs.1,2,4 JuSchG; 42 VwGO). Sie hat keine aufschiebende Wirkung.

Elke Monssen-Engberding
CB

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