Presseerklärung des Verlages vom 22.5.2006
Pisa IV: Indizierungsantrag gegen das Buch "Autonome in Bewegung"
Vor kurzem teilte uns die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien mit, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einen Indizierungsantrag gegen das mittlerweile vier Jahre alte Buch "Autonome in Bewegung" gestellt hat.
Die eigenwillige Vorstellung des Familienministeriums von Jugendschutz (Jugendliche aus armen Familien und/oder mit Migrationshintergrund einmal ausgenommen) schlägt sich neben der Propagierung christlicher Werte als "Leitkultur" nun auch im Vorgehen gegen politisch missliebige Publikationen und deren Herausgeber nieder.
Wenn Jugendliche schon keine Zukunftschancen haben, so sollen sie wenigstens vor dem gefährlichen Virus der Rebellion geschützt werden. Autonome sind da ein denkbar schlechtes Vorbild ...
Eine erfolgreiche Indizierung würde bedeuten, dass das Buch nur noch unter der Ladentheke verkauft werden dürfte : keine Werbung, keine Auslage, kein Versand, die Kontrolle der Ausweispapiere beim Verkauf. Außerdem würden die Barsortimente den Titel nicht mehr vertreiben und Buchhändler, die über die Indizierung wachen müssen, würden den Titel aus dem Sortiment nehmen. Die materielle Schädigung für den Verlag wäre auf jeden Fall erheblich.
Aber vor allem würde eine Indizierung des Buches einer politischen Zensur gleichkommen. Unseres Erachtens stellt der Antrag einen Präzendenzfall dar, über den ausgelotet werden soll, inwieweit und auf welchen neuen Ebenen ein staatliches Vorgehen gegen unerwünschte Formen des Protestes durchgesetzt werden kann.
Die Darstellung und kritische Reflexion der linken Geschichte und der sozialen Bewegungen bildet seit Jahren einen thematischen Schwerpunkt des Verlages Assoziation A, der sich in Sachbüchern und Romanen niedergeschlagen hat.
So geben die Romane Nanni Balestrinis einen genauen Eindruck vom Lebensgefühl der Akteure der italienischen autonomen Bewegungen wider. Paco Ignacio Taibos Romane sind ein fortlaufender kritischer Kommentar der mexikanischen Geschichte, zuletzt in seinem Krimi "Unbequeme Tote", den er zusammen mit Subcomandante Marcos verfasst hat. Die Übersetzungen französischer Neopolar-Kriminalromane haben die Studentenbewegung, die Migration oder die Judenverfolgung in Frankreich zum Thema.
Die "Goldene Horde" von Moroni/Balestrini, ein Standardwerk über die jüngere italienische Geschichte, zählt wie die Arbeit zum Operaismus von Steve Wright "Den Himmel stürmen" zum Verlagsprogramm. Demnächst kommt mit der Wiederauflage von "Brigate Rosse", einem Interviewband von Rossana Rossanda und Mario Moretti, eines der wichtigsten Bücher zum bewaffneten Kampf in Italien wieder auf den Markt.
Dem visuellen Ausdruck der sozialen Protestbewegungen in der Bundesrepublik Deutschland haben wir zwei breit rezipierte Plakatbücher gewidmet.
Das Buch "Autonome in Bewegung" beschreibt ausführlich bebildert und durch viele Selbstzeugnisse veranschaulicht autonome Politik in Berlin seit 1980. Die Geschichte der Hausbesetzungen, der Kampf gegen die Startbahn-West, die Aktionen zum IWF-Gipfel in Berlin 1988, Anti-AKW Kampagnen und vieles mehr werden nicht nur dargestellt, sondern es wird auch der Versuch unternommen, die Beweggründe der Akteurinnen und Akteure darzulegen. Die Überzeugungen und politischen Ideen, aber genauso die Emotionen und Leidenschaften sind für das Verständnis der Autonomen von entscheidender Bedeutung.
Das Bundesministerium beanstandet Stellen und Textpassagen, die aus Erinnerungen und Reflexionen bestehen und als Zitate von autonomen Zeitgenossen graphisch gekennzeichnet sind. Die Indizierung richtet sich vor allem gegen die Darstellung der Militanz, ihre Beschreibung, Problematisierung und Kritik. Für die Geschichte und Selbstreflexion autonomer Politik war die Auseinandersetzung mit Militanz immer von zentraler Bedeutung. Eine Zensur dieser Auseinandersetzung mit linker Politik weisen wir entschieden zurück.
Würde ein Buch wie "Autonome in Bewegung" tatsächlich auf den Index kommen, müsste mit einer Flut von weiteren Anträgen - nicht nur gegen Bücher unseres Verlages - gerechnet werden, da die Vorwürfe auf zig Sachbücher und Romane übertragbar wären.
Deshalb betrifft dieser Zensurversuch auch alle, die als Verlage, AutorInnen, JournalistInnen und Leserinnen und Leser an einer weiteren Diskussion über Inhalte und Ziele linker Politik interessiert sind.
Wir werden Sie über den weiteren Verlauf dieses Indizierungsverfahrens auf dem Laufenden halten und bitten Sie, uns zu helfen, diese Vorgänge publik zu machen. Nur eine öffentliche Diskussion und Verbreitung kann solche immer wiederkehrenden Zensurversuche verhindern.
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