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aus der Broschüre: Wut Witz Widerstand, 1989
Die IWF/WB Kampagne in Wort und Bild, Hrsg. von Büro für ungewöhnliche Maßnahmen und BUKO

Chronologie zu den Aktionstagen


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Am 1 Mai 88 erscheint die erste Ausgabe der IWF/Weltbank-Kampagnenzeitung "Milliardenfieber" in einer Startauflage von 20.000 Exemplaren. Bis zum September steigert sich die monatliche Auflage auf 50.000 Stück. Die HerausgeberInnen - die Öffentlichkeits-AG der Kampagnenkoordination - klären umfassend über die mörderische Politik von IWF und Weltbank auf. Die letzte Ausgabe enthält bereits eine Seite der neuen Massenzeitung "Zahltag", die vom 24. - 30.9. täglich in 50.000 Exemplaren erscheint. Im Lateinamerikazentrum (LAZ) wird das Kampagnen-Büro der autonomen Gruppen eingerichtet. Im Bildungs- und Aktionszentrum Dritte Welt (BAZ) baut die Kampagnen-Koordination ihr Büro auf, getragen vom BUKO, den Grünen und der Altemativen Liste.

Zwischen Mai und September entsteht ein breites Bündnis verschiedenster Gruppen, das phantasievolle und freche Straßenaktionen mit eher traditionellen Aktionsformen verbindet.

Durch eine ebenso frühzeitige wie vielfältige Öffentlichkeitsarbeit mit Farbe und Pinsel, Sprühdosen, Plakaten, Spuckis und Flugblättern wird die Stadt flächendeckend auf den Mördertreft vorbereitet. Die Berliner Morgenpost gar will am 3.9 88 in Kreuzberger Briefkästen "gefälschte Flugblätter" gefunden haben, "die einen amtlichen Charakter vortäuschen sollen und Verhaltensregeln für Bürger während der Tagung auflisten".

In der Tat handelt es sich dabei um ein offizielles Schreiben des damaligen Innensenators, in dem er die erneute Abriegelung Kreuzbergs ankündigt und die Ausgabe von Passierscheinen anbietet. Die Telefone der Senatspressestelle laufen heiß . .
Ende August stellt Terre des Hommes Schuldtürme auf dem Wittenbergplatz auf. Rund um das Jugendzentrum Weiße Rose trommeln Künstler für den Frieden für eine neue Weltwirtschaftsordnung.

Anfang September bekommen diverse Bankbriefkästen, Wartungsfahrzeuge von Siemens und Autos verschiedener Autovermieter "lodernde Entzündungen". So prangert eine Gruppe "Sehr Enttäuschte Kunden" mit ihren flammenden Briefen die Macht der Banken an.

Viel heiße Luft wird dann angesichts dieser Brandanschläge auf der ersten großen Preeeekonferenz aller nichtautonomen Gruppen der IWF/Weltbankkampagne produziert. Auf die massiven Distanzierungsforderungen seitens der Pressevertreterlnnen hin betonen die Organisatorlnnen die strikte Nichteinmischung in Aktionsformen anderer Gruppen:
"Jede Gruppe hat ihre Widerstandsformen selbst zu wählen, zu begründen und zu verantworten." Der erste große Spaltungsversuch war mißlungen.

Bei der Presse heftig umstritten ist auch das soeben erschienene Faltblatt mit einer Einladung zur Mitwirkung an der "International Murder Foundation", das vom Kampagnen-Büro im BAZ und dem "Büro für ungewöhnliche Maßnahmen" herausgegeben wird.

In der zweiten Septemberhälfte gibt es eine Fülle von vorbereitenden Veranstaltungen, von denen hier nur einige, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, erwähnt werden sollen:
Am Donnerstag, 15.9., kündigt das Büro "Stadtfreiheit trotz Weltbanktagung", ein Kurzzeit-Bündnis von zehn BürgerInnen-, Menschenrechts- und JuristInnenorganisationen, für den Zeitraum vom 23. -30 9. Demonstrationsbeobachtungen zum Schutz der Grundrechte und für eine vollständige Berichterstattung an. Am selben Abend findet in der Theatermanufaktur am Halleschen Ufer eine Kultur- und Infoveranstaltung statt.

Am Freitagabend organisiert der AStA TU im Audimax eine Informationsveranstaltung zu Sicherheitsgesetzen, Polizeimaßnahmen, Aussageverweigerung und Aktionstagen.
Im Tempodrorn findet ab Montag, 19.9., eine zweitägige Marathon-Diskussion des DGB zu IWF und Verschuldungskrise statt.
Am Mittwoch, 21.9., lädt die Deutsche Journalisten Union ein zu einer Podiumsdiskussion unter dem Motto: "Berlin im September - Pressefreiheit im Ausnahmezustand ? "



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Do 22.9.

Vormittags veranstalten VertreterInnen der IWF/Weltbankkampagne im Cafe am Steinplatz eine weitere Pressekonferenz, auf der nochmals auf die Ziele der Kampagne hingewiesen wird: die innaltliche Auseinandersetzung mit und den Protest gegen Verschuldungskrise und Weltwirtschaftspolitik auf die Straße zu tragen.

Anläßlich der Eröffnung des Ökkokongresses in der Hochschule der Künste (Veranstalter: Bundesverband Umwelt- und Naturschutz (BUND), Dauer: 22. - 24 9., Thema Umweltzerstörung und Weltbank) veranstaltet die Jugend des BUND trommelnd und trillerpfeifend am Nachmittag einen Trauermarsch für den tropischen Regenwald.

Ebenfalls am Nachmittag besichtigen neun Mitglieder von SAM DRAM, einem politischen Orchester aus Frankfurt, lärmend eine Bankfiliale am Hohenzollerndamm und bewegen sich anschließend zu Sambarhythmen auf den Bürgersteigen weiter. Da die Polizei das Ganze für eine unangemeldete Demonstration hält, sperrt sie kurzfristig die Kreuzung Uhlandstraße/Hohenzollerndamm.

Weitere Polizeiaktionen des Tages sind diverse Festnahmen, z B.: drei Frauen und ein Farbeimer in Chartottenburg, sechs Leute in Zehlendorf; ein 17jähriger, der in Charlottenburg "einen roten Aufkleber" auf einen Briefkasten anbrachte; ein Mann und eine Spraydose in Kreuzberg, zwei Männer am Kudamm, "die Halteverbotsschilder mit sich führten".

Bei der Frau, die beim abendlichen Spucki-Kleben vor Schering, in Wedding verhaftet und erst um 6.30Uhr wieder freigelassen wird, sowie bei dem Mann, der es wagte, in Steglitz 213 Programm-Faltblätter der "International Murder Foundation" in seiner Fahrradtasche zu transportieren, werden zusätzlich Hausdurchsuchungen durchgeführt

Ansonsten werden am Donnerstag mehrere für die Aktionstage geplante Veranstaltungen aus straßenverkehrsrechtlichen (!) Gründen verboten.



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Fr 23.9.

Vormittags wird der Internationale Gegenkongress im Audimax der Technischen Universität mit Kultur aus Kolumbien eröffnet: Das "Theatro La Candetaria" und die Gruppe "Vanilla Gorgon" wechseln sich mit einer Rede von Mauricio Rosencof (Uruguay) ab.

Der zweitägige Kongreß, auf dem in fünf parallel verlaufenden Foren mit mehr als 60 ReferentInnen über Verschuldungskrise und IWF/WB-Politik diskutiert wird, platzt aus allen Nähten, da statt der erwarteten 800 Menschen schließlich über 4.000 gekommen sind.

Freitagmittag wird die Antiimperialistische Stadtrundfahrt erneut gestoppt, diesmal am Frauenknast Plötzensee. Die Personalien der Teilnehmerinnen (Krankenschwestern) werden festgestellt und im Polizeicomputer abgespeichert. Bei der Durchsuchung des Busses fällt der Polizei besonders ein Kabel im Werkzeugkasten auf, das nach Ansicht der Ordnungshüter als Handfessel benutzt werden könnte.

Etwa zeitgleich veranstalten über 50 TaxifahrerInnen ein Taxi-Korso. Die Taxistas fahren, trotz Androhung von Lizenzentzug, hupend gegen IWF und Weltbank quer durch die gesamte Innenstadt. Nach der Abschlußkundgebung am Ernst-Reuter-Platz werden drei Leute für mehrere Stunden festgenommen und der Lautsprecherwagen beschlagnahmt.

Arn Nachmittag spielen die "Scheinheiligen" in der Tegeler FuBgängerzone Theater, was die Polizei mal wieder zum Einschreiten veranlaßt. SAM DRAM trommelt dagegen und wütende Passanten stimmen in Sprechchöre ein: "Freiheit für die Kunst".

In Charlottenburg wollen die Grünuniformierten einer "Zahltag"-Verteilerin weismachen, das Verteilen der Massenzeitung sei genehmigungspflichtig. Vorsorglich werden sowohl die Personalien der eingeschüchterten Verteilerin als auch die restlichen Exemplare des Zahltags Nr.1Wanne B-30679 gegen 21.30 Uhr der zaghafle Versuch einer Beobachterin des Büros "Stadtfreiheit trotz Weltbanktagung", am Breitscheidplatz herumlungernde bayerische USK-ler von hinten (!) zu fotografieren.

Am Grenzübergang Rudolphstein (Bayern) wird abends eine Gruppe von ItalienerInnen an der Weiterreise nach Berlin gehindert und in Gewahrsam genommen mit der Begründung daß sie an den autonomen Aktionstagen teilnehmen will.



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Sa 24.9.

12.00 Uhr: Unbeeindruckt vom offiziellen Verbot, führen das "Büro für ungewöhnliche Maßnahmen", SAM DRAM und die Aktionsgrüppe Goldenes Kalb aus Münster ihr Strassentheater auf dem Breitscheidplatz auf. Trotz Polizeiknüppel und Chemical Mace wird mit Hilfe des massiven Protestes der Umstehenden eine mehrmalige Wiederholung des Theaterstückes durchgesetzt.

20.30 Uhr, Breidscheidplatz:
"Büro" und "Gegen-Kongreß" mobilisieren zum verbotenen "Trommelfeuer", das wie die Theateraktion ebenfalls durchgeführt wird. Im Anschluß ziehen 2.000 Menschen spontan über den Kudam - trommelnd und lärmend gegen die Banker, die sich bereits in größerer Zahl in Hotels und Restaurants aufhalten. Beim Hotel Kempinski wird massiv an die Scheiben getrommelt. Über diese selbstbestimmten "Zwischenfälle" hinaus gibt es keine weiteren. Der Zug gelangt unbehelligt zum Abschlußfest des Gegen-Kongrosses in der TU.

Sonstige Ereignisse:
Im Wedding werden 50 "Murder-Foundation"-Einladungen und 4 Verteilerlnnen festgenommen. Abends Festnahme von 3 Leuten vor dem Excelsior. Zwei Frauen und ein Mann werden angeblich beim Sprühen abgegriffen. Am Nollendorfplatz fehlt ein Verkehrsschild mit der Folge, daß Zivis die Wohnung des neuen Besitzers durchsuchen.



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So 25.9.

Bei strahlender Sonne erleben ca. 80.000 Menschen eine der größten Demonstrationen in der jüngeren Geschichte Berlins. Mehr als 150 Organisationen haben zum Protest gegen die Politik von IWF und Weltbank, für Solidarität mit der sog. "Dritten Welt" und eine sofortige Schuldenstreichung aufgerufen. Vor allem an U-Bahnhöfen in der näheren Umgebung des Kranzlerecks führt die Polizei umfangreiche Personen- und Taschenkontrollen durch, beschlagnahmt säckeweise Halstücher, Schals und Transparent-Stangen (passive Bewaffnung) gegen Quittung. Frisch angereiste Wessis benutzen dieses System pfiffigerweise als " "Gepäckaufbewahrung" für ihre bei der Demo hinderlichen Rucksäcke.

Während der Demo hält sich die Polizei trotz massiver Präsenz zurück - bis auf Preßspaliere und Provokationen beim sog. "Schwarzen Block". Auf einem Baugerüst an der Elisabethstraße/Ecke Kaiserdamm verführen ein paar Jugendliche - zur Belustigung des Demopublikums - die Polizei zu einem Katz- und Maus-Spiel.

Die Stimmung ist hervorragend, mehrere Musik- und Straßentheatergruppen, das inzwischen schon bekannte "Goldene Kalb" u. a. verleihen dem Zug streckenweise Happening-Charakter. Die Abschlußkundgebung findet in Sichtweite des ICC statt, das vorsorglich in eine Festung verwandelt worden ist. Auf der Kundgebung reden Lunas Vargas aus Peru, Carol Vusi aus Südafrika, Vandava Shiva aus Indien und Brigitte Ott (BUKO) für die Kampagne.

Der ursprünglich im Museum für Verkehr und Technik in Kreuzberg geplante offizielle Bankerempfang mußte aus Sicherheitsgründen in die militärisch leichter kontrollierbare Zone der Kongreßhalle verlegt werden.
Trotzdem gelingt es den DemonstrantInnen, den Nato-Draht zu überwinden und den Protest auch dorthin zu tragen.

Abends ab 20.30 Uhr ist wieder dos "Trommeln in der Nacht" angesagt. Gegen 22.00 Uhr kommt es zum ersten großen - ca eine Stunde dauernden Polizeikessel mit etwa 2.000 Leuten. Bei Knüppeleinsätzen der Polizei wird u.a ein Demonstrant durch einen Stockstoß ins Auge schwer verletzt.

Am Sonntag werden insgesamt 12 Leute festgenommen, von denen vier dem Haftrichter vorgeführt werden.


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