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aus: Taz, 29.03.1982

Besetzer "völkerrechtlich" anerkannt

Zur Normalität verkommen

Unter dem Schleier der bemerkenswerten Ruhe hat sich in jüngster Zeit ein äußerst deutscher Gewöhnungsprozeß der Behörden an die Hausbesetzer vollzogen: Sie werden in vielfach geführten Listen untergebracht, sie werden polizeilich angemeldet und jeder Staatsfunktionär rühmt sich mittlerweile seines "legeren" Umgangs mit dieser noch vor einem Jahr so fremden, so furchtbar ungewöhnlichen Minderheit. Einher geht dieser Prozeß mit einer sich langsam vollziehenden Anpassung des allgemeinen Rechtsbewußtseins an das Faktum der besetzten Häuser. Die Besetzer faßt man in öffentlichen Diskussionen nicht mehr mit zwei gespreizten Fingern an, sondern mit der vollen Hand. Und selbst ein christdemokratischer Bausenator kann es sich leisten, eine generelle Verhandlungsbereitschaft zu zeigen. Der folgende Artikel stellt u.a. den augenblicklichen Stand der Verhandlungen dar.

Dabei haben sich in den einzelnen Bezirken regelrechte regionale Unterschiede herausgebildet: Sowohl seitens der Hausbesetzer wie auch seitens der Behörden und Hausbesitzer gibt es jeweils eine spezifische Choreographie, nach der die entstehenden Konflikte gelöst werden.
In Kreuzberg hat sich die dortige Bezirksverordnetenversammlung (eine Art kastriertes Gemeindeparlament) einen Sonderausschuß gegeben, der zusammen mit Hausbesitzern und Besetzern Möglichkeiten einer friedlichen Lösung suchen soll. Der Sonderausschuß korrespondiert mit dem Kreuzberger Besetzerrat. Vor einem Monat kündigte er in einem Schreiben an diesen an, daß er sich Gedanken über eine "Entkriminalisierung der Besetzerbewegung" machen wolle. Den Brief unterschrieben immerhin auch die drei CDU-Mitglieder des Ausschusses, unter ihnen ein Kriminalkommissar. Zu den Kreuzberger Besonderheiten gehört auch, daß sich die dortigen - überwiegend privaten und städtischen - Eigentümer schon Ende vergangenen Jahres zu einem faktischen Räumungsstop bis zum kommenden Osterfest durchgerungen und dies auch öffentlich erklärt haben.

In der vergangenen Woche kam es dann doch zu einer Räumung in Kreuzberg: ein listiger Hauseigentümer - eine ganz kleiner Krauter - hatte der Polizei eine Neu-Besetzung gemeldet. Diese angeblich neu-besetzte Wohnung war in Wirklichkeit längst besetzt, doch hatte die Polizei das Haus aus ihrer Liste der besetzten Häuser gestrichen. Grund: Der Eigentümer hatte gemeldet, mit den Besetzern Nutzungsverträge abgeschlossen zu haben, und so hatte man das Haus nicht mehr für besetzt gehalten. Dem Bezirksamt und dessen Sonderausschuß war dies nicht gemeldet worden, und so führte dieses das Haus noch als besetzt.
Nach der gewaltsamen Räumung durch die Polizei stellte sich dann heraus, daß es nur für einzelne vormals besetzte Wohnungen Nutzungsverträge gegeben hatte, für andere aber nicht: und so mußte der Finanzstadtrat Krüger (CDU und Stellvertreter des in Urlaub weilenden AL-Bautadtrates Orlowsky) eine hochnotpeinliche öffentliche Entschuldigung gegenüber Besetzern erklären. Mittlerweile sollen diese in die durch Bauarbeiter zerstörten Wohnungen zurückgekehrt sein.

Das ursprünglich nur bis Ostern geltende Räumungsmoratorium ist bislang nicht gekündigt worden. Es bestehen so gute Aussichten, daß es auch über das Osterfest hinaus gelten wird. Im Moment nämlich laufen verstärkte Bemühungen, den privaten Hauseigentümern Neubaugrundstücke im Austausch gegen besetzte Häuser anzubieten. Dafür stehen die Chancen deshalb nicht schlecht, weil in Kreuzberg im Bereich der südlichen Friedrichstadt die Internationale Bauausstellung das Sagen hat. Diese hat sich schon in der Vergangenheit bemüht, mit den Besetzern Selbsthilfeprojekte durchzuziehen. Und im Verein mit dem Bezirk Kreuzberg (Eigentümer der in Frage stehenden Tausch-Grundstücke), könnte dieser Tausch in vielen Fällen die Lösung bedeuten: Die Spekulanten verdienen sich mit den dort möglichen Neubauten schneller und leichter ihre Kohle, Besetzers bleiben in ihren Hütten.

Im hintersten Südosten Kreuzbergs gibt's erste selbstorganisierte Ansätze eines Trägers (ein Wort, heutzutage selbstverständlicher Bestandteil der Politsprache - am Anfang dachte ich an Hosenträger). Damit umschreibt man in der Berliner Scene mittlerweile eine juristische Person, die Eigentümer der besetzten Häuser wird und mit den Besetzergruppen Selbstverwaltungsverträge abschließt. Die BI (Bürgerinitiative) SO 36, einstmals Vorreiter der lnstandbesetzeridee und Organisator der ersten Besetzungen, arbeitet an der Realisierung eines solchen Trägers. Sehr demokratisch unter Einbeziehung der Besetzer, was natürlich Zeit braucht, aber wohl auch nur unter den "dörflichen" Bedingungen Kreuzbergs überhaupt vorstellbar ist: Hier kennt nun mittlerweile jeder fast jeden.

In Schöneberg - dem zweiten Schwerpunkt der Besetzerbewegung - heißt das große Problem Neue Heimat. Ein offizielles Räumungsmoratorium gab es hier nie. Aber die Stimmung unter den Besetzern hat sich seit den Spiegelveröffentlichungen nachhaltig verbessert: Die nationale Krise gemeinen wirtschaftlichen Engagements der Gewerkschaften ließen die Anfang des Jahres laut gewordenen Räumungsgerüchte um die NH jäh verstummen. Die Frühlingswinde säuseln sogar leise Verhandlungsbereitschaft des Unternehmens, daß durch die Räumung von 8 Häusern im vergangenen Jahr zweifelhaften Ruhm gewonnen hat. Die Infrastruktrur unter den Häusern ist weitaus weniger entwickelt als bei den Kreuzbergern: Es gibt keine Ansätze für die Träger. Das Netz der Scene ist nicht so dicht gesponnen wie dort. Aber die NH-Häuser, deren Löwenanteil in Schöneberg liegt, schickten unlängst einen Brief an die Gewerksehaften. Unverhohlen wurden diese darin zur Umkehr aufgefordert, wurden direkt Verhandlungen in Aussicht gestellt.

Andere in Schöneberg führen sie schon: 5 Häuser der Spekulantengruppe Hauert & Noack haben Netzwerk beauftragt, für sie mit dem Senat um die Übernahme ihrer Häuser zu verhandeln. Vorangegangen waren Erpressungsmanöver der Spekulanten, die besetzte Wohnungen an außenstehende Dritte vermietet hatte: diese sollten dann per Zivilklage die Besetzer aus dem Haus herausklagen. Die Verhandlungen sind noch nicht zum bitteren Ende geführt.

Der christdemokratische Bausenator Rastemborski allerdings zeigte sich interressiert an dem Netzwerkvorschlag, der einen Kauf der Häuser durch den Staat und die Vergabe von Erbpachtverträge an Netzwerk vorsieht.

Polizei und Justiz setzten der Scenerie immer wieder ihre eigenen Akzente: Polizeiliche Durchsuchungen sind an der Tagesordnung. Häufig trifft es mehrere Häuser an einem Tag. Die Polizei scheint auf diese Weise ihre Listen auch auf die Registrirung einzelner Besetzer ausweiten zu wollen. Anlässe bieten immer wieder Stromklau, aber auch Straftaten, die aus den Häusern heraus begangen worden sein wollen und die durch derartige Durchsuchungen regelmäßig nicht aufgeklärt werden: Die Polizei erobert die ehemals rechtsfreien Räume. Auf durchaus unterschiedliche Weise. Es gibt die knüppelnden,Türen aufbrechenden Durchsuchungen so gut wie die mit einer fast schüchternen Vornehmheit vorgetragenen, die lässigen Pflichtübungen gleichen.
Die Staatsanwälte schießen immer noch quer: erst kürzlich wurde bekannt, daß sie auf "heimtückische Art und Weise" (Originalton eines von dpa kolportierten höhren, aber unbekannt gebliebenen Polizeioffizier's) drei "friedliche" Durchsuchungen in kalte Räumungen umfunktionieren wollten. Sie hatten vor den Durchsuchungen den Eigentümern der Häuser Bescheid gegeben mit dem Ziel, diesen nach erfolgter Festnahme aller Hausbewohner die Schlüssel für das Haus auszuhändigen. Die Besetzer hätten dann nach ihrer Freilassung nicht mehr in die Häuser zurückkehren können. Da war aber die Polizei vor. Sie ließ in jedem Haus mindestens einen Besetzer in Freiheit, der seine Kollgen dort erwartete. Eine neu geschaffene "interministerielle Arbeitsgruppe soll derartige Disharmonien zwischen Polizei und Justiz in Zukunft verhindern.

Eine richtige Räumung gab es in der vergangenen Woche in der Diaspora, im besetzerfeindlichen Wannsee. Dort hat ausgerechnet der Bezirk Zehlendorf ein gutunterhaltenes bezirkseigenes Fachwerkhaus räumen und abreißen lassen, um dort irgendwann einen bei der Wannseer Bevölkerung äußerst umstrittenen Schulneubau hochzuziehen. Vorangegangen war der Räumung das Engagement vieler Bürger für die Hausbesetzer und über die Grenzen bürgerlicher Parteien hinweg. Und ob der Schulneubau jemals gebaut wird, ist heute so offen wie vor dem Abriß des Gebäudes.

Die Besetzer reagierten auf die Räumung nicht mit stadtweiten Aktionen: die von manchen befürchtete, von anderen erwartete und erhoffte Randale blieb aus. Dies hatte mehrere Gründe. Der naheliegende sicherlich war, daß Wannsee sehr weit weg von den Zentren der Action liegt. Aber die gesamte Stimmung hätte vielleicht auch in Kreuzberg nicht viel mehr geschehen lassen. Unter den Besetzern gibt es nämlich nicht wenige, die - zermürbt durch die anhaltenden Debatten um die Frage, ob verhandelt werden soll oder nicht - mittlerweile nicht mehr recht einsehen wollen, daß sie unter allen Umständen in den Häusern drinbleiben und die mit allen Mitteln verteidigen sollen: gerade unter den Autonomen gibt es einige, die da anderer Meinung sind: "Die wollen doch, daß wir uns so in den Häusern verstricken, daß wir am Ende an anderen Punkten aufhören zu kämpfen", war jüngst einmal auf einem Besetzerrat zu hören. Wer den ganzen Tag Tapeten anklebt, der droht die Revolution zu vergessen.

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