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aus: Taz, 9.02.1982
Berliner Häuserpoker
Die leidige Verhandlungsfrage
"Wir sollten der Öffentlichkeit klarmachen, daß die Mehrheit der besetzten
Häuser in Verhandlungen treten will",selbstbewußt fordert dies die eine Fraktion
in der immer noch etwa 140 Häuser und viele Sympathisanten umfassenden Berliner
Besetzerbewegung. "Ich stille fest, wir sind hier die Mehrheit und für uns kommen
Verhandlungen mit diesen Schweinen nicht in Frage", stellt die andere Fraktion
im Bruston der Uberzeugung fest. Es mutet ein bißchen wie Eifersüchtelei an:
Wer stellt hier die Mehrheit. Daß die bei den Unentschlossenen liegt, ergab eine
Vollversammlung vor zehn Tagen. Am vergangenen Wochenende traffen sich nun
zwei getrennte Diskussionskreise. Die "Legalos", welche die eroberten Häuser endlich per
Verhandlungen mit Senat und Eigentümern absichern wollen und die "Illegalos",
die Verhandlungen und Verträge aus prinzipiellen politischen Gründen ablehnen.
Diskutiert wurde auf der Grundlage eines Vorschlags des Kreuzberger Besetzerrats.
In der Hoffnung, über die leidige Verhandlungsfrage hinweg eine gemeinsame Front zu
behalten, sollten die, die verhandeln wollen, es tun und die anderen es lassen.
Ganz einfach. Nur unterschrieben wird einzeln nix. Kein Vertrag also, bis
gemeinsam festzulegende Forderungen, etwa Freilassung der eingeknasteten
Besetzer, mindestens einjähriger Räumungsstopp, Beendigung der Abrißpolitik und
Gesamtlösung für alle Häuser erfüllt worden sind.
Um das Ergebnis der beiden Diskussionstage vorwegzunehmen: Sehr viel weitergekommen
ist man nicht. Aber wer die Bewegung ein bißchen kennt, den wundert's nicht. Abstimmen
gilt nicht, erst muß alles wieder zurückgetragen werden in die einzelnen Hauser, in
den Blockrat, in dem sich verschiedene Kreuzberger Häuser eines Wohnblock organisiert haben,
in den Bezirksbesetzerrat bis auch der letzte Sumpfi gemerkt hat daß wieder etwas in
Bewegung geraten ist. Als Termin ist bisher der 20.Februar ins Auge gefaßt worden, an
dem der mehr oder weniger staunenden Offentlichkeit diese neue gemeinsame Haltung
zur Verhandlungsfrage präsentiert werden soll. Denn "offensiv werden will man wieder, sei
es nun, weil einem die immer kleiner werdenden Demos unter dem Griff der Polizei, die
jedem die Vermummungsmaske runterzieht, langsam peinlich werden", sei es, "daß man keine
Lust hat, sich das Haus, das man ein Jahr lang mühsam instandgesetzt hat, unterm
Arsch wegreißen zu lassen"; sei es, daß gerüchteweise von bevorstehenden Räumung
Kreuzberger Privathäuser und in Schöneberg zu hören ist.
Doch da kann der Kreuzberger AL-Bauptstadtrat Werner Orlowsky die Gemüter beruhigen: das
zwischen der SPD/AL regierten Kreuzberger Verwaltung und den betroffenen Hauseigentümern
ausgehandelte Räumungsmoratorium bis Ostern verfehlte seine Wirkung auch in anderen Bezirken
nicht. Denn nach dem 22.9.81 will niemand mehr das "Frontschwein" spielen und "bürgerkiregsähnliche
Zustände" heraufbeschwören. Selbst die früher so räumungsfanatische und nun auch durch die
Spiegel Veröffentlichung über die Machenschaft ihres Bundeschefs Vietor erneut in Verruf geratene
"Neue Heimat" will kein Vorreiter mehr sein, seit ihr Aufsichtsratsmitglied DGB-Chef Walter
Siekert Druck von der SPD bekam. So werden wohl auch die am meisten bedroht erseheinenden
Neue Heimat-Häuser in Schöneberg und Charlottenburg wohl noch eine Weile verschont bleiben.
Denn inwischen ist neben dem Strafantrag gegen die Besitzer und der baurechtlichen Genehmigung
ein weiteres Kriterium für die Räumung unabdingbar: das vom Eigentümer vorgebrachte "sofortige
Räumungsbegehren". Und weil die Sanierungsgesellschaften hiervor zurückschrecken und die
Verantwortung dem Senat zuschieben wollen, der aber wieder "zurückschiebt", ist nach den
Worten Orlowskys "ein objektives Patt" entstanden.
Hinzukommt außerdem, wenn man den Worten des "alternativen Baustadtrats" weiterhin
folgen will, daß viele Spekulantengruppen im Wohnungssektor - zumindest die, die sich ihre
Bauten aus 100% Steuergeldem haben subventionieren lassen, das Interesse an ihren
"besetzten Objekten" verloren haben, weil man ihnen Ersatzbauland, sprich neue Profitquellen
anbot. Dementsprechend wäre in verschiedenen Blöcken des Sanierungsgebietes
Kreuzberg ein Eigentümerwechsel, so Orlowsky, "kein Problem". Einer Übergabe
an die Besetzer beispielsweise in Form einer von "Netzwerk" und der Evangelischen
Kirche initiierten Treuhandgesellschaft, stünde nicht mehr viel im Wege.
Für die verhandlungswilligen Besetzer heißt das erstmal wieder "Papierkrieg".
Wollen wir Erbpacht, Trägerverein, Genossenschaften oder einen stinknormalen
Mietvertrag ? Und schon blickt keiner mehr durch.
Da machen es sich die "Illegalos" leichter. Egal, ob sie "mit diesem Schweinesystem nicht
verhandeln" wollen oder schlichtweg ihre Häuser als "enteignet" betrachten, weil die
Eigentümer nach jahrelangem Leerstand und Verrottung von Wohnraum "ihre Rechte verwirkt" hätten.
"Eine Räumung machen die doch nicht davon abhängig, ob wir verhandeln oder nicht", formuliert
eine Frau auf dem Treften stellvertretend für viele, "es kommt ihnen einzig drauf an, ob
sie aus dem Objekt noch Knete rausschlagen können".
Die Vergangenheit scheint ihr recht zu geben: da wurden keine komplizierten Unterschiede
bezüglich der politischen Haltung der Besetzer gemacht.
siehe auch: Häuserkampf-Chronologie
1982
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