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aus: radikal Extrablatt, 12/1980
12.12. - 15.12.: Versuch einer Chronologie
Freitag, 12.12., ca. 17 Uhr
40-50 Bullen verhindern die begonnene Hausbesetzung Fraenkelufer 48 und
nehmen 7 widerstandslose Instandbesetzer fest. Kurz darauf versammeln
sich 150 Leute vor dem Haus, worauf die Bullen zurückkommen und abriegeln.
Die sich inzwischen angesammelten Leute laufen zum nahegelegenen
besetzten Haus Adrniralstr. 20, weil das Gerücht umgeht, hier solle auch
geräumt werden.
Kurz darauf tauchen Bullen auf, die Leute prügelnd in Richtung Kottbusser Tor treiben.
Hierbei werden Leute festgenommen.
Am Kottbusser Tor sammeln sich sechs Wannen, fahren auf den Bürgersteigen knapp an
Passanten vorbei, wodurch sie provozieren, daß die ersten Steine gegen eine Wanne und
gegen die Commerzbank fliegen. Ein Bulli pflanzt sich vor die Commerzbank auf. Zwei
Bullen springen raus und laufen mit gezogener Knarre auf die 300 Leute zu, die sich inzwischen
vor Aldi gesammelt haben. Der so alleingelassene Bulli wird kurzerhand umgekippt. Gleich
daurauf kriegen die Bullen Verstärkung. Es kommt zu weiteren Prügeleien, wobei auch
unbeteiligte Passanten verletzt werden.
Steine fliegen gegen etliche Scheiben von Geschäften und Banken. Die Situation spitzt sich zu, die
Auseinandersetzungen weiten sich auf die Umgebung Oranienstraße, Adalbertstraße und
Dresdener Straße aus, wobei es weiter, auch unter Tränengaseinsätzen, zu brutalen Polizeiübergriffen
kommt. Die ersten Plünderungen beginnen (Aldi, Schuhgeschäft), Barrikaden werden errichtet, um
die Bullen hinter sich zu lassen (an der Adalbert-, Naunyn-, Oranienstraße und am Oranienplatz).
Gefangene werden auch nach der Festnahme brutal mißhandelt. Verhandlungen zwischen einem Mitglied
der BI SO 36 und dem Einsatzleiter der Polizei über den Abzug der Bullen scheitern.
Etwa 100 Leute versammeln sich im total überfüllten Mieterladen Dresdener Straße, um über die
weitere Vorgehensweise zu beraten.
Immer mehr Bullenwagen tauchen vor dem Mieterladen auf und provozieren so eine weitere Eskalation,
indem sie versuchen, einen angeblichen Steinewerfer aus dem Laden zu holen (gegen 0.30 Uhr).
Nachdem ihr Versuch gescheitert ist, führen sie einen völlig Unbeteiligten vor dem Laden ab.
Forderungen der BI an die Bullen, den Verhafteten freizulassen, werden nicht erfüllt.
Statt der Vereinbarung, daß die Bullen bis 1.45 Uhr sämtliche Kräfte abziehen, kommt es zu schwersten
Konfrontationen am Oranienplatz, als Einsatztruppen in die dieskutierenden Menschenmengen
hineinrasen, knüppeln und mit Steinen empfangen werden.
Dieses Täuschungsmanöver der Bullen hat schließlich Barrikadenbau und Steinhagel zur Folge.
Die Brutalität der Bullen erreicht gegen 1.45 Uhr ihren Höhepunkt: Zwei Bullenwagen rasen zwischen
Barrikade und Ampel am Oranienplatz voll in die Menschenmenge, dabei gibt es viele Verletzte, unter
anderem ein 26-jähriger, dem beide Beine gebrochen und ein Oberschenkel zerquetscht werden.
Kurze Zeit später wird ein einzelner Zivilbulle in der Oranienstraße entwaffnet und mit einem Tritt und
kräftiger Ohrfeige weggejagt.
Zwischen 2.15 Uhr und 4.40 Uhr: Um diese Zeit, wird wieder unter großem Tränengaseinsatz, nach
mehreren vergeblichen Versuchen, mit Räumfahrzeugen mit der Beseitigung der Barrikaden begonnen.
Bis zu diesem Zeitpunkt gibt es über 60 Verhaftete und zu viele Verletzte, deren Zahl noch nicht
abzuschätzen ist.
Samstag, 13.12.
Um 16.00 Uhr ist ein Treffen im Spektrum angesetzt, um über die Ereignisse am Freitag und über die
weitere Vorgehensweise zur Freilassung der Gefangen zu beraten. Es wird ein Ultimatum gesetzt:
Um 20.00 Uhr müssen die Festgenommenen rausgelassen sein. Ab dann rufen ständig Leute im
Spektrum an, um zu erfahren, ob das Ultimatum erfüllt ist. Falls nicht, sollen dezentrale Aktionen
laufen. Dies haben die Bullen anscheinend mitgekriegt, sodaß plötzlich zwischen 21.00
und 22.00 das Specki-Telefon lahmgelegt ist.
Die Forderungen werden nicht erfüllt. Vele Gruppen strömen aus in alle Teile der Stadt. (Die
Ergebnisse und Erfolge waren genauestens in der Motagsausgabe der "BZ" zu lesen.)
Gegen 21.00 Uhr: Man kommt zum Entschluß: Demo auf´m Kudamm ! Was dort mit etwa hundert Leuten
anfängt, wächst unter dem Motto "Hin und her, wir werden immer mehr!" auf über tausend Leute an.
Der Verkehr liegt lahm.
Bullenwannen sammeln sich und versuchen immer wieder "das Chaos" in den Griff zu kriegen.
Mit Sprüchen wie: "Eins, zwei, drei, laßt die Leute frei!" marschieren die Demonstranten zur TU-Mensa, um
sich durch Leute aus der Veranstaltung "Rock against Junk" zu verstärken. Wenige konnte man erreichen,
die Demonstranten laufen zurück zum Kudamm. Nun geht es wieder den Kudamm rauf und runter,
zwischendurch fliegen Steine gegen die "Deutsche Bank" und ein paar Bullen, die die seit
Jahren leerstehende (...) "Chinesische Botschaft" bewachen.
Die Bullen sind jetzt ab 1.30 Uhr nicht mehr in der Lage, die Demo zu überblicken, den Kuhdamm zu räumen;
so müssen sie ohnmächtig mitansehen, wie die Scheiben zwischen Kranzler-Eck und Olivaer Platz klirren.
Parallel kommt es in allen Teilen der Stadt zu dezentralen Aktionen (Bukow, Südstern etc.).
Bilanz der Nacht: 8 Festgenommene am Südstern und 6 am Kuhdamm, kaum Verletzte.
Montag, 15.12.80
Um 19.00 Uhr treffen sich etliche hundert Leute an der Gedächtniskirche, die an der bekannten, aber nicht
angemeldeten Demo teilnehmen wollen. Forderung: Freilassung aller seit Freitag eingeknasteten
Instandbesetzer und deren Sympathisanten. Schon kurz darauf versuchen die Bullen durch heftige
Prügeleien die Demo "im Keim zu ersticken" (Zitat der Bullen), was ihnen aber nicht gelingt.
Nach dem altbewährten Konzept (Samstag !) geht's wieder den Kudamm rauf und runter. Die
mehrmalige Aufforderung, die Demo aufzulösen, wird nur mit der Antwort "Laßt die Leute raus, dann ist
die Demo aus!" abgewürgt. Kempinski's neue Scheiben verlocken zu ersten Steinwürfen, worauf
einige Leute zum "Aufhören" auffordern.
Längere Zeit, nachdem die Bullen in Richtung Westen eine Kette gebildet hatten, versuchen sie durch
Knüppel- und Tränengaseinsatz die Menge auseinanderzutreiben. Durch das Auseinanderlaufen der
Demonstranten in die Seitenstraßen kommt es zu einer Kesselbildung. Die Bullen lassen weder
Leute rein noch raus, selbst der Verletztenabtransport wird verhindert.
Der Kessel wird gegen 22.00 Uhr geöffnet, als die Polizei merkt, daß sich die Leute drinnen auch nach einiger
Zeit nicht provozieren lassen und ruhig bleiben.
Die Vereinten Demonstranten stürmen in Richtung Kreuzberg. Gefolgt von Grün und Blau gehen die
Kräfte langsam zuende. Um der Bullenhetze zu entkommen, werden in der Bülowstr. ein paar Bauwagen
umgestürzt und zu Straßenbarrikaden umfunktioniert. Um die Bullen zu irritieren biegen die Leute in die
Potsdamer Str. Richtung Kleistpark. Kurz vor 23.00 Uhr sind es nur noch um die 300 Demonstranten, die
weiter, über den Mehringhof bis nach Kreuzberg gejagt werden.
Die kleinsten "Versammlungen" (5 Leute gelten schon als provozierende Ansammlung) werden unter
Knüppeleinsätzen aufgelöst.
Gegen 24.00 Uhr befinden sich in ganz Kreuzberg immer wieder Einsatzwagen, Wasserwerfer und
Panzerspähwagen. Kreuzberg ist generalstabsmäßig unter Kontrolle gebracht !
Bilanz dieses Abends: auf der einen Seite ein renovierter Kudamm auf der anderen Seite über 23
Festnahmen, massenhaft Verletzte, darunter einer, der durch einen Schädelbasisbruch auf einem
Auge erblindete. ...
siehe auch: Häuserkampf
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1980
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