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aus: Cilip Nr.9/10, 12.81

Eine Vorgeschichte zum Berliner Häuserkampf

Kreuzberg, ein alter Arbeiterbezirk, ist seit den sechziger Jahren eine Großbaustelle. Große Teile des Altbaubestandes wurden aufgrund der Flächensanierung und der Planung für die Stadtautobahn abgerissen. An den verbliebenen Häusern wurden, in Erwartung von Abriß und Modernisierung, notwendige Instandsetzungsarbeiten nicht mehr ausgeführt. Noch brauchbare Bausubstanz verrottete.

Mit den baulichen Veränderungen und dem langsamen Zerfall ganzer Straßenzüge veränderte sich auch die Struktur der Wohnbevölkerung. Von den angestammten deutschen Bewohnern - kleine Handwerker und Gewerbebetriebe, Arbeiter und Angestellte - sind im wesentlichen nur noch die Alten geblieben, die Jüngeren zogen in die Trabantenstädte in den Randbezirken (Märkisches Viertel, Gropiusstadt).

Nach Kreuzberg strömten in dieser Zeit vor allem die ausländischen Arbeiter, in diesem Bezirk ist etwa jeder 2. Bewohner unter 18 Jahren ein Türke. In den alten, langsam verrottenden, für die schleppend vorwärtsgehende Sanierung bestimmten Häusern fanden aber auch andere Bevölkerungsgruppen einen Raum, die in den bürgerlichen Wohnbezirken nur schwer Wohnraum finden konnten, sei es wegen der höheren Mieten oder aber auch nur wegen der strengeren Verhaltensanforderungen. So bildete sich in Kreuzberg eine "Subkultur" die hier in Wohngemeinschaften zusammenleben konnten, dann auch alternative Betriebe wie Druckereien, Schreinereien etc. in den freigewordenen Fabriketagen der Hinterhäuser einrichteten.
Zu diesen Gruppen gehörten aber nicht nur Studenten, sondern auch die "randständige Jugend, die Treber, dann die Rocker, später die Punks... Die (linke) "Scene" ist keinesfalls übersichtlich oder einheitlich.

Der Zusammenhang des Konfliktes um die Instandbesetzungen mit der Sanierungspolitik ist eindeutig. Zu Protesten gegen die von den Sanierungsplanern dem Bezirk aufgezwängten Veränderungen kam es allerdings erst spät. Die alte Wohnbevölkerung ließ lange Zeit Entmietungen, Umsetzung und Abriß widerstandslos mit sich geschehen. In den sechziger und frühen siebziger Jahren wandten sich allenfalls kleine Gruppen und Einzelpersonen gegen die Zerstörung des Bezirks (einige Planer, linke Gruppen aus dem studentischen Milieu, einige Kirchenvertreter).

Anfang der siebziger Jahre wurden in Kreuzberg die ersten Häuser besetzt: Jugendliche, vor allem Trebegänger, besetzten einen Teil des ehemaligen Bethanien-Krankenhauses (Georg-von-Rauch-Haus), kurze Zeit später eine ähnliche Gruppe ein leeres Haus in der Wilhelmstraße (Tommy-Weißbecker-Haus).

Die Bemühungen der in den siebziger Jahren verstärkt entstehenden Mieterinitiativen, etwas an der Sänierungspolitik zu ändern, und die Aktivitäten einer sich in Kreuzberg ausbreitenden "linken Szene verliefen lange Zeit nebeneinander her. Erst in der zweiten Hälfte der siebzigerjahre zeigen sich Ansätze gemeinsamen Protestes gegen die Planungsbürokratie und die Sanierungsgesellschaften. Offenkundig wurden diese beiden Auseinandersetzungen um die "Strategien für Kreuzberg" die zumindest für einen Teil (SO 36) des Bezirks eine Diskussion um Alternativen zu der in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Flächensanierungspolitik eröffnenen sollte. Auf Druck von Betroffenenvertretern, der Kirche etc. wurde vom Bausenat ein offener Wettbewerb für Vorschläge zur Erneuerung des Gebiets ausgeschrieben. Die eingegangenen Vorschläge, von Architekten einerseits, von interessierten Studentengruppen, bis hin zu einzelnen Bürgern andererseits, sollten von einer repräsentativ zusammengesetzten Bürgergruppe ausgewählt werden. In der Folgezeit zeigten sich jedoch schnell die Grenzen der Partizipation der Bürger in der Planungen. Es gab nichts nur vielfache Schwierigkeiten bei der Umsetzung einzelner ausgewählter Strategie-Vorschläge; mit dem Plan, eine Feuerwache abzureißen, stellte sich die Bezirks- und Bauverwaltung auch gegen die Wünsche der in den "Strategien für Kreuzberg" engagierten Bürger. Um den Abriß zu verhindern, besetzte im April 1977 eine Gruppe das Gebäude samt seiner dazugehörigen Pumpstation. Zugleich rief man das Verwaltungsgericht und dann das Oberverwaltungsgericht um eine einstweilige Verfügung an. Doch die Verwaltung ließ am Tag, bevor das OVG entscheiden sollte, die Feuerwache in der Reichenberger Straße von 350 Polizisten räumen und das Haus sofort abreißen. Eine der Reaktionen darauf, daß sich die Bürokratie immer wieder über die Wünsche der Betroffenenvertreter in der Planungsgruppe hinwegsetzte, war die Gründung der Bürgerinitiative "SO 36" (folgend BISO 36).

Auch in anderen Teilen Kreuzbergs wuchs nun der Widerstand. Kurz nach dem Feuerwachenkonflikt folgte der Umbau des Mariannenplatzes mit dem Ziel, ihn durch Zerstückelung den bisherigen Nutzern zu entziehen und zu einer bloß visuellen Kulturanlage zu machen. Das war wieder ein Stück Raum weniger, und da die Bauarbeiten auf Gegengewalt stießen, mußten sie unter Polizeibewachung durchgeführt werden. Das nächste Objekt, an dem dieWut wieder hoch kam, war die Prakma-Fabrik - auch sie wäre ein großer Raum (für kollektive Nutzung) gewesen,aber die Verwaltung hatte nichts eiligeres zutun, als ihn den potentiellen Nutzern vor der Nase abzureißen.

Die ersten Instandbesetzungen ereigneten sich im Februar, März, September und November des Jahres 1979.

siehe auch:    Häuserkampf-Chronologie 1980     Chronologie 1980

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