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Gegen IWF

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aus: Interim Nr.23, 7.10.1988

Der Erfolg muß daran gemessen werden, was danach kommt

Wer heute in den BRD-Medien nach den Spuren der Ereignisse während des IWF-Kongresses sucht, könnte glauben, außer Bankern, Bullen und eingekesselten Journalisten war nicht viel los. Nirgendwo fällt das Wort "Widerstand", stattdessen geht es um Pressefreiheit, freie Meinungsäußerung und Demonstrationsrecht. Unser Feind hat Angst, seine Angreifbarkeit zuzugeben. Berlin könnte zum Beispiel werden. Unsere selbsternannten Sympatisanten, sei es in den Medien oder der Politik, glauben, daß sie uns einen Gefallen täten, wenn sie uns zu Opfern hochstilisieren. Was von beiden Seiten verschwiegen wird, ist der offensive Charakter unseres Widerstandes.

Die Aktionen gegen den IWF-Kongress waren ein Erfolg, nicht nur für Autonome und Anti-Imps, sondern für alle, die auf die Straße gingen. Jeder Erfolg muß aber relativiert werden. Am besten tun wir das selbst, bevor Spiegel, taz oder irgenwelche anderen ausgebrannten ehemals linke Oberhirnis uns erklären, wir würden der Strategie der Herrschenden nur in die Hände spielen, oder ähnliches.

Wenn wir von Erfolg reden, müssen wir uns fragen, welches Ziel wir hatten. Wie Kewenig meint, haben wir den IWF-Kongress nicht verhindert. Der ist "erfolgreich" abgelaufen. Die tatsächliche Verhinderung wäre nicht unter einem Volksaufstand möglich gewesen. Das wußten wir natürlich vorher schon.

Das Ziel, IWF und Weltbank anzugreifen, haben wir jedoch erfüllt. Damit meine ich den reibungslosen Ablauf des "Theater", das diesen Mördertreff umrahmen sollte. Szenen, wie wir sie sonst nur durch das Fernsehen bei Besuchen von US-Staatsfunktionären in Lateinamerika kennen, waren nun in Berlin, in der Metropole selbst zu sehen: eingeworfene Fensterscneiben von Luxushotels und Banken, demolierte Staatskarossen, Massen von aufgebrachten Menschen, Horden von Bullen. Dadurch wurde eine Atmosphäre in der Stadt geschaffen, die die Oberschweine wenigstens für kurze Zeit aus ihrer Sicherheit und Anonymität herausholte.

Noch wichtiger: dieser Zustand konnte nicht verheimlicht werden. In El Pais, der wichtigsten spanischen Tageszeitung, wurde berichtet, daß an zwei Abenden nacheinander "die Stadt zusammenbrach". Pikiert wird vermeldet, daß das Auto des spanischen Botschafters plattgemacht wurde. Der Botschafter habe das Glück gehabt, sich Sekunden vorher verdrücken zu können. El Pais teilte mit, daß dies durchaus kein vereinzelter Zwischenfall war.

The Guardian aus England berichtet, daß der Kongress ohne massiven polizeilichen Schutz gegen "radikale Gegner" nicht durchführbar und das Stadtbild von Protest geprägt gewesen sei. Für "Sightseeing"hätten die Kongressteilnehmer Ost-Berlin vorgezogen.

In der Neuen Zürcher und Le Monde wurde ein ähnliches Bild dargestellt.

Wir haben es wahrscheinlich geschafft, daß ein Bild des Widerstandes durch die Welt gegangen ist, und das hat eine Bedeutung, die wir auf keinen Fall unterschätzen dürfen.

Was das erklärte Ziel autonomer und antiimperialistischer Gruppen angeht, über den Kongress hinaus die Strukturen des Imperialismus hier in den Metropolen zu thematisieren, gibt es viel, worüber wir nachdenken werden. Unsere Kundgebungen, Demos und Aktionen wurden lange und sorgfältig inhaltlich vorbereitet.
Trotzdem (oder vielleicht auch gerade deshalb) blieben wir während dieser Aktionen ziemlich unter uns. Wir haben damit offenbar kurzfristig wenig mobilisieren können. Der wesentlichste Auslöser von Massenwiderstand, das "Trommeln" auf dem Breitscheidplatz, gehörte gar nicht zum autonomen Aktionsprogramm. (Es war ursprünglich als "Trommeln für eine neue Weltwirtschaftsordnung"angekündigt).

Woran liegt das? Ist mehr als die Mobilisierung auf ein eindeutiges Ziel hin (in diesem Fall IWF) vielleicht nicht möglich? Sind die Inhalte, die wir durch unsere Kundgebungen, Aktionen usw. zu vermitteln versuchen, vielleicht so unzugänglich, daß kaum jemand den Anschluß daran finden kann? Rufen wir die Bereitschaft zum Selberhandeln hervor oder wollen wir nur belehren? Eine prinzipielle Aufnahmebereitschaft für unsere Inhalte schien doch vorhanden zu sein, was schon ein Schritt vorwärts ist, besonders wo die Medien sorgfältig vermeiden, sie weiterzugeben. Aber wir machen uns zu wenig Gedanken über die Form der Vermittlung, die Raum für spontanes Verhalten dazu bieten muß.

Wir wollen aber nicht übersehen, daß es viele positive Elemente in diesem Tagen gegeben hat. Alle Aktionen liefen außerhalb von SO 36. Die Botschaft wurde dieses Mal an die richtige Adresse gerichtet. Die Demo war überraschend groß, und wichtiger noch: sie ließ sich nicht auseinandertreiben. Viele Punkte habe ich sicherlich vergessen.

Doch nun muß der Erfolg daran gemessen werden, was danach kommt. Zunächst ist diese Kampagne wahrscheinlich ein Einschnitt für uns. Für viele war sie ein wichtiger Radikalisierungsprozess, der neue politische Perspektiven und Zusammenhänge entstehen ließ. Es gibt wohl auch viele, die einfach froh sind, daß die Sache vorbei ist, ohne ein Reinfall geworden zu sein.

Wir dürfen auch nicht vergessen - und das passiert schon - wie die Verhältnisse unter uns vor dem Kongress aussahen. Es gab Massenparanoia und -paralyse, wie sie wenige je vorher erlebt haben. Es wurden hauptsächlich defensive Maßnahmen gegen die erwartete übermächtige Repression organisiert. Vorbereitungen für offensives Vorgehen gab es wenig. Es ist kein Zufall, daß die Zahl der Leute die in der Logistik eingebunden wurden (Infosystem, Wachen, Kiezküchen etc.) in keinem Verhältnis zur Zahl der Leute von uns stand, die dann tatsächlich auf den Straßen waren.

Erst die Umbekümmertheit einiger hundert oder tausend Menschen auf dem Breitscheidplatz, die gar nicht zu unserem "Spektrum" gehörten, relativierte die Überschätzung des Repressionsapparates und riß viele Autonome und Antiimps mit. Viele stürzten sich erst jetzt darauf, schnell noch militante Aktionen zu organisieren. Der Monolith der Repression hatte sich als grobmaschiges Netz erwiesen.

Die Verinnerlich der Repression sitzt tief, wie die Angst halt ist. Das zu verdrängen und so zu tun, als ob nichts gewesen wäre, wäre katastrophal für die Zukunft unserer Bewegung, weil gerade der Umgang mit der staatlichen Repression unsere Fähigkeit bestimmt, dieses System anzugreifen.

Es bleibt die Frage nach unseren, in der Kampagne selbstgesteckten Zielen. Wir wollten einen neuen Internationalismus entwickeln, die die Teilbereichskämpfe zusammenbringen, die Männer schrieben den Kampf gegen das Patriarchat groß auf ihre Fahne. All das sollte zu einem politischen Prozess werden, der über den September hinauslaufen sollte. Was ist nun damit?

Die IWF-Kampagne hat uns nicht nur einen Erfolg gebracht sondern auch diese und noch andere Fragen für die Zukunft aufgeworfen. Ihre Beantwortung kann nicht durch einige Dokumentationen über die Aktionstage ersetzt werden.

EinE GenossIn
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