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aus: radikal 97 Extra, 08.1981
TUWAT
Jetzt ist es soweit, ein paar hundert oder 50.000 kommen
nach Berlin, sie kommen zum Spektakel, zur Festwoche,
zum Kongreß der Aufruhr. Mit welchen Erwartungen
kommen sie in die Stadt "der Bewegung", der "160
besetzten Häusern"?
Mit sicher unterschiedlichen, sie kommen als Unterstützer, als
Bewegung die sich austauschen will, als Menschen, die die Berliner
Szene angucken wollen, die den Mythos Berlin kennenlernen wollen.
Und wir stehen da, unsicher. Kommen sie um zu konsumieren
von Veranstaltungen, kommen sie um ein bischenWiderstand geboten zu
bekommen. Wir haben sie gerufen und wissen selbst kaum was damit
anzufangen. Die Vorbereitungen sind mager, wir hoffen auf Eigendynamik.
Die Hoffnung, daß die Leute TUWAT selbst gestalten. Wir haben
einen Rahmen gesteckt, hoffentlich füllt ihn jemand aus.
Und doch wiederum auch Angst vor der Eigendynamik, selbst aus
militanten Kreisen werden Bedenken laut. "Es kann nicht um eine
Entscheidungsschlacht gehen. Nach vier Wochen sind die Leute
wieder weg und wir stehen mit dem Rosultat da". Die
Angst vor unüberlegten Aktionen die uns mehr schaden als nützen, die
Angst vor massenweise unnützt abgefackelter Mültonnen, die Angst vor
andenkenjagenden Krawalltouristen, die ihre Stücke Berliner Pflaster
aufreißen und ein Stück Q-Damm-Glas mit nach Hause nehmen wollen, die Angst
vor einer erbosten Bevölkerung ohne die wir leben wollen noch können. (wollen
schon, nur nicht können. d.sätzerin)
Wir kämpfen mit unserem eigenen Mythos, wir haben den Mund sehr
voll genommen, was den Herrschenden den gehörigen Schreck verpasste
und nun paart sich mit der Hoffnung die Angst vor den Geistern, die wir
riefen.
Viele Menschen werden in unsern Häusern sein. Wir bekommen Angst
um das letzte bißchen Ruhe. Und wir haben Angst unsern Mythos
verkörpern zu müssen oder ihn endlich zu zerschlagen.
Der Mythos der kämpfenden Berliner Szene hat sicher manch positive Seite.
Wir wissen noch zu genau wie uns Amsterdam, Zürich angetörnt haben,
doch wir wissen auch wie schnell dann alles zerplatzt, nähert man sich dem
ganzen mal in schlechteren Zeiten. Die Genoss/inn/en, die total frustriert aus
dem verjunkten und alkoholisierten Züricher AJZ rauskamen und zusehen
mußten wie eine kleine Gruppe Bewegungsüberbleibsel versuchen den
Laden oder die Bewegung, oder beides zu retten. Wo ist die Power von
"Züri brännt''?
TUWAT kann den Mythos Bäerlin noch steigern, für die, die kommen
sicher nicht. Sie werden verwundert hören wie, wir uns die 17. Woche über
Stromzahlen Streiten, werden sehen was für ein Beziehungsblues oft unter
uns läuft. Wie wir versuchen was gemeinsam klar zu kriegen, uns gegenseitig
blockieren und manchmal nach stundenlangem dummen Gelaber
wenigstens ein Stärkegefühl auf der Straße erleben.
Wenn ich manchmal stundenlang Besetzerratdiskussionen mitbekomme,
zu der sich ein paar wenige noch hinquälen und die dann zum x-ten male
erfolglos verschoben werden oder zu einem Beschluß finden, an den sich
schließlich doch keiner hält, dann denke ich manchmal der Mythos entsteht
nur aus der Entfernung, dem damit verbundenen Mangel an Informationen
und die Beschränkung auf Sensationen. In Spanien redet man enthusiastisch
vom "Sturm aufs Rathaus" und in Kenia steht in der Zeitung Kreuzberg wäre
fest in unserer Hand und von da aus würden wir gelegentlich zum Q-Damm
oder in die Reichenbezirke vordringen und alles platt machen. Der Wunsch,
der Vater des Gedankens ?
Oder eine Traumseifenblase worin man seine Hoffnungen packt, die man
braucht beim Erleben seiner eigenen Ohnmacht ?
Das wäre aber zu einfach, denn der Mythos lebt in uns selbst, die wir wissen
wie es wirklich ist. Der eigene Mythos (der deshalb auch gerne so vermittelt wird)
schafft auch Realität. Wenn wir selbst daran glauben die Bullen geschlagen
zu haben, stehen wir ihnen das nächste mal anders gegenüber.
Wenn wir nach der Straßenschlacht uns unsere Heldentaten erzählen
werden sie zur Realität. Oft sind die Geschichten anders als wir sie wirklich
erlebten, oft wird unsere Angst kompensiert in der Erzählung: "als sie auf
mich zu kamen und ich immer fix die Steine nach ihnen warf", und umgemünzt
in Selbstsicherheit "wartet nur auf das nächste mal!"
Das ist auch richtig, denn wir wollen uns nicht mehr als Opfer begreifen und
interpretieren Geschehnisse somit anders. Und die Presse hilft uns eifrig. Wenn wir
von einer Aktion oder einer Demo nach Hause kommen, enttäuscht über unsere
Fehler. Über Uneinigkeit, über unsinnige Aktionen, über immer viel zu
viel Verletzte und "Eingefahrene", dann brauchen wir nur am nächsten
Tag die Zeitung zu lesen und unser Selbstbewußtsein ist wieder da und oft
sind die Zeitungsnachrichten bald für uns wahrer als unsere Erlebnisse. So
sparen wir uns Selbstkritik und die vielleicht daraus resultierende Verbesserung
unserer Aktionen.
Damit sollen jetzt nicht unsere Erfolge heruntergespielt werden, nicht das
Gefühl stark zu sein und die Ohnmacht überwunden zu haben vermiest
werden, sondern nur die Hochstilisierung vermieden werden, die uns blendet die
Erfolge richtig auszuwerten und in taktische Überlegungen einzubeziehen.
Nach Debus Tod haben wir den Q-Damm nicht platt gemacht weil wir
unbezwingbar sind, sondern auch weil Kreise der Polizei einen Skandal wollten um
die SPD und Hühner abzusägen und bei Bolle waren die Bullen nicht geschlagen,
sondern hatten zu dem Zeitpunkt einfach nicht genügend Einheiten zur Hand.
Das schmälert nicht unsere Erfolge aber kann in unseren Überlegungen bei weiteren
Aktionen viel nützen wenn wir nicht im Obelix-feeling uns jeder Auseinandersetzung
stellen. "Wenn die Guerilla dem Feind unterlegen ist zieht sie sich
zurück und schlägt den Feind da wo sie kann". Wußte schon olle Mao.
Unseren Mythos zerschlagen heißt uns und unsere Aktionen diskutierbarer zu
machen, gerade eben auch für alle die jetzt kommen. Denn eine Hochstilisierung
verhindert auch eine Ausbreitung. Nach der Lorenz-Entführung bemühte sich die
Presse nicht nur zur üblichen Hetze, sondern auch die Tat als genial und nur von genialen
Studenten durchführbar zu schildern, so konnte die Tat nicht zur Nachahmung
anregen sondern nur das Gefühl, wir hätten so was nie gekonnt, hinterlassen.
Genau dieses Gefühl hatte ich oft in Diskussionen in Westdeutschland.
"ja in Berlin geht das ja, aber hier nicht". Man denkt nicht mehr an andere Bedingungen,
die einen anderen Kampf ermöglichen und auch fordern, sondern an die Unmöglichkeit
zur Nachahmung.
Auch hindert solche Mythisierung die kritische Auseinandersetzung. Wie beispielsweise
bei unserem Verhältnis zur europäischen Guerilla. Wir glorifizieren die IRA, ETA
und brigade rosse genauso unkritisch wie die Italiener die RAF bewundern, deren
gesammelte Werke dort in jeder einschlägigen Buchhandlung vorne stehen.
Eine Auseinandersetzung mit der Guerilla findet nicht oder nur über drei gesprühte
Buchstaben statt und nicht darüber, ob die Form des Kampfes, die Inhalte und die Ziele die gleichen
sind wie die unseren.
So darf TUWAT nicht zu einer Manifestierung des Berlin-Mythos beitragen, (was es
wahrscheinlich sowieso nicht tut, denn wer uns kennenlemt, dem muß es schwer fallen
uns zu mythisieren), sondern den Mythos durchbrechen und eine Auseinandersetzung
über Formen, Inhalte und Gemeinsamkeiten unseres Widerstands, praktisch wie theoretisch,
schaffen. Denn auch TUWAT kann nicht darüber wegtäuschen, daß diese Diskussion
auch unter uns keineswegs geführt und erledigt ist, sondern gerade auch ein Stück
Flucht vor dieser Diskussion war.
TUWAT kann ein fairer (?) Erfahrungsaustausch werden, über das was
in den Bewegungen schief läuft, woran sie kaputt gehen, über das was gut
läuft und uns stärkt.
TUWAT kann uns helfen ein Informationsnetz aufzubauen mit dem wir längerfristig
Auseinandersetzungen führen können, damit Widerstand nicht nur dann für uns real
wird, wenn die Presse darüber schreibt. Und eben keine kurzfristigen Mythen entstehen
läßt die nach kurzer Zeit in Resignation und Enttäuschung von zu hohen
Erwartungen, verrauchen.
TUWAT kann uns helfen zu klären, was unsere Gemeinsamkeiten und was unsere
Unterschiede sind. In Berlin sind wir eine starke Bewegung, weil viele verschiedene
Menschen einen gemeinsamen Nenner, die Häuser, haben. Doch wir
alle haben viel mehr gemeinsam. Die Bedrohung durch Knast, die Wut gegen
lebenszerstörende Umwelt, den Haß auf den Imerialismus, den Willen
dem Krieg den Krieg zu erklären.
Wir werden uns kennenlernen und in dem Maße wie wir uns kennenlernen
wird die Betroffenheit an den Problemen der andreren, der Wunsch und
die Einsicht in die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns zunehmen. Die
Solidaritätsaktionen in vielen Städten und der schwarze Freitag nach der
Räumung des Schwarzwaldhofes in Freiburg, dürfen keine Einzelfälle
bleiben. Wir können uns massenweise Klein- und Großäktschns ausspinnen,
die wir dann bei der nächsten Schweinerei machen. Gemeinsame Begehung
von Straftaten "all over europe".
Aktionen, die zeigen wie Menschen unregierbar werden, nämlich, daß sie
sich einfach und konsequent über alle Gesetze und Bestimmungen
hinwegsetzen, die zum Schutz der Schweine und der ungerechten
Eigentumsverhältnisse da sind. Wir machen internationale Schwarzfahrtage,
internationale Einkaufstage zu verbilligten Tarifen und wenns sein muß internationale
Scherbennächte.
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siehe auch: Häuserkampf-Chronologie
Chronologie 1981
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