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Autonome

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aus: radikal Nr.100, 1/1982

Ich finde, das Papier zeigt hervorragend die Ursachen für die momentane Situation (den "Stillstand", die gewisse Müdigkeit), ohne sie dabei wirklich zu nennen. Ich denke, die Ursache sind verschiedene Widersprüche, die auf Dauer schwer miteinander zu vereinbaren sind, aber die ganze Zeit entweder als überhaupt nicht vorhanden bzw. beinahe naturgemäß vereinbart begriffen, oder gar nicht erst zugegeben wurden. Diese Auffassung gibt das Papier gut wieder.

  • Autonome Bereiche erobern heißt nicht siegen, sondern permanenter Kampf.
  • Autonomie ist nicht das Ziel eines langen Kampfes, der uns Anpassung aufzwingt.

Ein ,permanenter' Kampf, der bestimmt sehr lang sein wird, wenn mensch die Autonomie (?) erreichen will, erfordert immer Anpassung. Anpassung an irgendwelche Formen und Gebote des Kampfes und damit auch Anpassung an den Gegner, der durch seine Gewalt (seine Übermacht) bestimmte Formen des Kampfes gegen ihn zwangsläufig diktiert. Da kommt niemand drumrum und deshalb finde ich es besser, sich das einzugestehen.
Denn aus dieser Anpassung resultiert auch der Streß und die Resignation, die hin und wieder (und jetzt gerade besonders) auftreten, weil Bedürfnisse und Wünsche wieder auftauchen, die der persönlichen Anpassung an den Kampf zuwiderlaufen.

Denn das Gefühl des Drucks, das durch die Anpassung hervorgerufen wird, kann nur aufgehoben werden, wenn mensch den Kampf als eigenen und einzigen Lebensinhalt begreift und so die Anpassung als Selbstbestimmung auffaßt.

Denn Autonomie und Anpassung (also Kampf gegen einen Gegner) stehen im Widerspruch zueinander, der sich auf die Dauer nur durch die Auffassung von Anpassung als Selbstbestimmung aufheben läßt. Und das ist ausgesprochen schwierig, wenn eine Revolte (oder weiß ich was) nicht immer weiter ausgeweitet wird und die Sache mit den Häusern hat offensichtlich eine Grenze erreicht.

Vielleicht meint jemand, das Ganze ist doch jetzt einigermaßen pingelig, aber ich glaube, wenn mensch so Widersprüche nicht zugibt, dann stehste einigermaßen erstaunt vor bestimmten Sachen, wie z.B, dem Augenblicklichen Frust.

Insofern ist auch das Argument, irgend ein Kompromiß ist das Ende der erkämpften Autonomie nicht unbedingt richtig, denn gerade durch einen Kompromiß kann es möglich sein, sich dem Zwang der Anpassung an den Kampf - erst einmal - zu entziehen und dafür den evtl. (je nach Empfindung) geringeren Druck durch Verträge oder so einzutauschen.

Denn Autonomie (?) ist nichts Konkretes, nichts, was sich an Kronkretem festmachen läßt, sondern ein Prinzip, im Kopf, das ganz unterschiedlich auf die jeweilige Lebenssituation angewandt werden kann. (Von daher ist auch ein Dialog möglicherweise ein Kampfmittel.)

Es stellt sich immer wieder die Frage, was mit Autonomie überhaupt gemeint ist, "Selbstbestimmung", "das Selbst bestimmt" sagt ja noch nichts inhaltliches, sondern ist nur leere Form (hinter der sich jede/r gut verstecken kann). "Autonomie heißt auch permanente Bewegung, Umwälzung, Weiterentwicklung -" ist ziemlich wenig, sagt auch fast nichts. Und ob das allein im Widerspruch zu irgendwelchen Staatsnischen steht, erscheint mir sehr fraglich. Autonomie als (Leer)forderung ist zu wenig.

Es gibt nicht die Institution ,Macht', sondern allenfalls Institutionen, die das Prinzip Macht konkretisieren. Insofern kann es die staatliche Macht (verstanden als die Institutione ,Macht') nicht geben, der Staatsapparat als wesentliche Konkretisierung von Macht kann nicht alleinige Ursache für irgendetwas sein ("Die staatliche Macht ist die Ursache der Unterdrückung. ") [Anm. d. Red.: hier hatte sich im Papier, das auf dem Besetzerrat verteilt wurde, ein Tipfehler eingeschlichen. Es muß heißen: ist eine Ursache ]. Der Staatsapparat kann nur dadurch unterdrücken, daß der allergrößte Teil der Leute die Unterdrückung wenigstens dulden (oder sich wünschen).

Insofern geht dem Staatsapparat ursächlich voraus in jedem Fall die Bereitschaft zur Unterordnung, wenn nicht das Bedürfniss nach Unterordnung, d.h. das Prinzip Macht wird wesentlich getragen von der Macht der Menschen. Deshalb ist es nicht nur das System (als macht konkretisierent und dadurch erhaltend) das Problem, sondern primär die leute, die sich in das System erinordnen, aus welchem Grund auch immer.
Denn ich denke, es ist platt einfach zu behaupten, die Masse der Menschen ist ,fremdbestimmt', wir aber wären auf dem Wege zur ,Selbstbestimmung' - das, was wir als ,Unterdrückung bezeichnen (und vielleicht auch so empfinden), ist halt die gewisse Selbstbestimmung der Vielen (daran läßt sich auch wieder erkennen, wie wenig Selbstbestimmung ohne weiteren Inhalt als Ziel taugt).
Und deshalb werden die Vielen, bzw. ihre Trägheit zurückschlagen und zwar um so härter, je mehr ihr Selbstverständnis, also ihre Geborgenheit von uns angegriffen und getroffen wird; je mehr wir auch die ihnen innenwohnenden Widersprüche und die Widersprüche des gesamten Systems aufreißen. Es ist also ein Kampf gegen die Vielen.

Von daher ist auch der "Kampf gegen den Staat" zwar eine wichtige, aber nicht die wichtigste Grundposition. Die hervorragende Bedeutung von "gegen den Staat" entsteht nur aus einem weiteren Widerspruch, den der "Politik der 1. Person''.

Ich denke Handeln ist erst politisch (bzw. bewußt gesellschaftswirksam), wenn die 1., nämlich die eigene Person, also das bloß Subjektive überschritten wird.

Insofern ist Politik zwangsläufig auch immer Politik für andere und deshalb in gewisser Weise totalisierend. Besonders totalisierend (im Sinne von totalitär) ist der Anspruch, "das Ganze zerschlagen" zu wollen, denn dieser richtet sich offensichtlich gegen den Willen der Vielen, gegen deren ,Selbstbestimmung'. (Oder mensch geht arroganterweise davon aus, daß die Vielen eh blöde, unwissend, natürlich fremdbestimmt und massenverdummt sind.)

Der Widerspruch hier ist: Entweder mensch macht eine rein subjektive ,Politik' der ersten Person - dann entfällt jede Möglichkeit der Rechtfertigung von Handlungen und damit jede Verantwortlichkeit (dann kämpft mal schön! - ich komm möglicherweise auch so ganz gut zurecht!)
Denn ein konsequentes Verhalten der 1. Person ist entweder das System zu nutzen oder sich ihm, dem System, der Konfrontation, weitgehend zu entziehen. Und anscheinend ist euer Kampf der 1. Person nur so ein Mittelchen den ganzen persönlichen Frust irgendwie loszuwerden. Und eben jede Theorie (denn die ist ihrem Anspruch nach immer inter-subiektiv) - oder mensch hat einen politischen Anspruch - und der ist zwangsläufig totalisierend (und muß auch in gewissem Maße vereinheitlichend sein, wenn sich mehrere Menschen hinter einen Anspruch stellen):

Dazu gehört auch schon eine Programmatik wie "Uns ist klar, daß wir nur frei sein können, wenn alle Menschen frei sind." (Hier fragt sich auch inwieweit Autonomie(?) im Widerspruch zu jeder Herrschaft (?) steht.)
Dieser Widerspruch läßt sich nur auflösen, wenn zufällig alle Menschen scheinbar einen Anspruch hätten - oder, wenn wie jetzt, jeder sich auf seine Spontaneität und/oder Selbstbestimmmung beruft: dann allerdigs kann sich Widerstand nur an bestimmten "Brennpunkten" festmachen, wenn nämlich viele oder einige aus vielen oder einigen Gründen gegen ! etwas sind, daß der Staat durchzusetzen denkt (gegen Akw's, gegen Raketen, gegen die Startbahn und gegen Häuserräumungen - und überhaupt: gegen den ganzen Scheiß von oben, wa?).

In diesem Fall aber bleibt der Widerstand Reaktion, Reaktion auf Teilprobleme, eben Brennpunkte, die nur Symptome sind, nicht wesentlich.
Insofern auch perspektivlos, ein etwas erweiterter Privatwiderstand, nach dem Diktat des Staatsapparates. Und erst, wenn über Brennpunkte hinausgehender Widerstand überhaupt mal diskutiert wird (und damit meine ich nicht dieses seicht-platte Anti-Imperialismus-Geschwätz, das irgendwie nur dumm ist, denn ich glaub einfach nicht daß die Welt vom CIA gesteuert wird und selbst wenn, ist die vordringlichste Frage, warum sich alle so gerne steuern lassen), würde sich zeigen, ob es wirklich die gleichen Gegner sind, gegen die wir(?) kämpfen.

Wo ist die Perspektive?
- ich glaube, das ganze kann wenig mehr als das bis jetzt Erreichte bringen (und wird eher nach und nach zerfallen), wenn nicht eine erhebliche Ausweitung gelingt. Dazu ist es nötig, sich immer in sich selbst zu drehn,d.h. - eine einigermaßen kontinuierliche theoretische Diskussion ist notwendig und zwar öffentlich. Die radikal ist da, in der bisherigen Form, zu wenig. Mit theoretischer Diskussion mein ich vor allen Dingen, daß Begriffe wie Autonomie, Macht und Herrschaft, die andauernd gebraucht werden, mal weitergehend geklärt werden. Und das eine Perspektive, die über "gegen den Staat" oder die Selbstbestimmungs-Leerformel hinausgeht, entwickelt wird.

- auch wenn die Entwicklung subversiven Alltags wichtig ist (und witzig), ist es gerade wegen der Ausweitung mindestens ebenso wichtig, die Ideen, die Erfahrungen mit dem Widerstand in bestehende Strukturen (Schule, Fabrik, Uni oder was) reinzutragen - wichtiger als die Bildung autonomer, revolutionärer oder sonstwas Zellen finde ich den Aufbau umfassender Strukturen, d.h. eben auch die Verbindung mit Gruppen, die in anderen Bereichen was tun. Irgendwo gibts ja diese einzigartige Patenidee auch deshalb, weil uns eine Ausweitung auf andere Art nicht gelungen ist (und weil es uns ebenso nicht gelungen ist, autonome Ideen breiter darzustellen - dieses "wir wolln ja keinen vollquatschen" halt ich für total beschränkt) - wichtiger als abgehobene Aktionen mit Panzerfäusten oder so find ich Aktionen von vielen, die u.a. deshalb auch viele ansprechen können.

U.N. Bekannt nach oben