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aus: radikal Nr.100, 1/1982
AUTONOMIEDISKUSSION

Stillstand ist das Ende von Bewegung

In der "radi" Nr.97 überraschten wir die nahezu theorielose Häuser-Szene mit zehn aufgeblasenen Sprüchen.
Wir wollten endlich eine inhaltliche Diskussion über den Begriff Autonomie provozieren. Das war uns gelungen - doch viel mehr Gebrauchswert hatten die abstrakten Thesen nicht. "Anregend" haben sie allerdings gewirkt. Auch die Freiburger Szene griff die Thesen auf und erntete ein roll-back, der ihre Zeitungsseiten füllte.
Berliner Gegenpapiere, aber auch neue Ansätze autonomes Selbstverständnis zu formulieren, waren in der "radi" Nr.98 (I) aufgefangen. In der "hundersten" soll es nun weitergehn.
Einige Bewegte, von denen wir uns nicht distanzieren können, weil unsere Mittäterschaft nicht zu verleugnen ist, haben versucht, die ersten Thesen mit unseren Erfahrungen aus über einem Jahr autonomer Häuserkämpfe zu füllen. Die Zeit ist da, wo wir nicht mehr endlos ausprobieren können, sondern uns trotz unserer Unterschiedlichkeit für gemeinsame Strategien entscheiden müssen. Um in den kommenden Auseinandersetzungen wenigstens über ein Minimum an Theorie zu verfügen, wurde diese Papier erstellt. Unser Selbstverständnis ist, die aus dieser resultierenden Zielsetzung folgende Praxis gemeinsam zu entwickeln und umzusetzen. Dabei verstehen wir den Begriff Autonomie (Selbstbestimmung) als einen permanenten Prozeß, in dem wir ständig auf Gesetze und Zwänge stoßen, die der kapitalistischen Logik entspringen, sodaß unsere erkämpfte Autonomie immer nur eine relative sein kann. Autonome Bereiche erobern heißt nicht Siegen, sondern permanenter Kampf.
Auch dieses Papier bekam schon feed-back. Die ersten 2 schriftlichen "Relativierungsversuche" findet ihr im Anschluß.
Die klare Ausrichtung gegen den Staat und damit gegen die Herrschaft, ist eine unserer wichtigsten Grundsatzpositionen im Kampf für Selbstbestimmung.

Autonomie ist nicht das Ziel eines langen Kampfes, der uns Anpassung aufzwingt. Wir lassen uns weder von Reformisten, noch von traditionellen Kommunisten auf den fernen Tag der Revolution vertrösten, ab dem dann angeblich das Reich der Freiheit da ist. Wir leben hier und jetzt.

Bisher zielten alle klassischen linken Ansätze entweder darauf ab, die Macht innerhalb des Systems zu erobern, statt es abzuschaffen, oder sich dem Gegner bis zur Unkenntlichkeit anzugleichen, sodaß ein Sieg auch wieder nur die Kontinuität der Herrschaft bedeuten würde (z.B. UdSSR). Aber Autonomie steht im Widerspruch zu jeder Herrschaft. In diesem Sinne fühlen und handeln wir wie Anarchisten.

Es gilt, das Ganze der Gesellschaft zu zerschlagen. Aber unsere Strategie ist nicht totalisierend, d.h., wir wollen anderen nicht unsere Lebensform aufzwingen. Wir müssen Teilbereiche erkämpfen, wobei unsere grundsätzlichen Positionen nicht vereinheitlichenden Forderungen geopfert werden dürfen.

Die erkämpfte relative Autonomie gibt es nur im Konkreten, z.B. besetzte Häuser. Hier ist es gelungen, uns die Häuser anzueignen, weil wir sie für unser Zusammenleben und -kämpfen brauchen (auf die Besitzer können wir dabei gerne verzichten). Somit können wir, und nicht die Bürokratie des Staates oder die Verwaltung des Kapitals, selbst bestimmen, wie wir zusammenleben. Diejenigen, die sich aus Angst vor einer Niederlage versuchen mit dem Staat zu arangieren, müssen dabei zwangsläufig Kompromisse machen - und geben damit wieder ihre erkämpfte Autonomie auf.

Bereiche, die in irgendeiner Form in das System integriert sind, z.B. Kitas, Sozialhilfeprojekte, alternative Projekte, haben nicht mehr viel mit Autonomie zu tun. Autonomie heißt auch permanente Bewegung, Umwälzung, Weiterentwicklung - und das kann keine vom Staat geduldete Nische im Kapitalismus sein. Stillstand, oder das bloße Absichern eines "Freiraums" bedeutet das Ende der Autonomie.

Keinen Dialog mit der Macht, bzw. Abbruch des staatlichen Monopols. Wenn die Macht an uns herantritt, um mit uns zu reden, läßt sich ihr Interesse dabei letztendlich auf die Stabilisierung ihrer Herrschaft reduzieren.

Dialog ist das Gespräch zwischen zwei Seiten, in diesem Fall: Hausbesetzer und Senat oder anders ausgedrückt: zwischen Widerstand und Macht oder Unterdrückte und Unterdrücker. Klar, wir sind fähig, auf der formalen Ebene ein Gespräch zu führen, denn wir wissen was wir wollen und wir hätten genug zu sagen. Aber was soll die Laverei mit den Schweinen bewirken?
Die staatliche Macht ist eine Ursache der Unterdrückung. Sie hat die ganze Scheiße zu verantworten: den Arbeitsterror in den Fabrikknästen, die Zwangsmoral der Erziehungsanstalten, die Zubetonierung und Verseuchung der Umwelt, die Verwaltung unseres Lebens durch Bürokratie usw.

Entfaltet sich Widerstand gegen einzelne Teile des Machtapparates wird er von der Macht bekämpft. Dieses äußert sich in verschiedenen Formen, z.B. mit direkter Bullengewalt oder auch in der Form des Totsebweigens. Uns allen ist klar, daß es uns unmöglich ist, unsere Sache selbstbestimmt in den Medien (Presse, Rundfunk, Fernsehen usw.) darzustellen.

Erst als am l2.l2.80 der Pflasterstein gegen die Scheiben donnerte, konnte unser Widerstand nicht mehr länger totgeschwiegen werden. Die Politiker mußten sich was neues einfallen lassen. "Der Dialog mit der Jugend" war (mal wieder!) die neue Phrase; eine Phrase, die durch die permanente Wiederholung nur noch Brechreiz verursachen kann, denn alle Politiker bis bin zum letzten provinziellen Lokalpatrioten haben nun mit dieser Floskel ihr Sprachrepertoire bereichert, um sich allein mit diesem nichtsagendem Lippenbekenntnis der Fortschrittlichkeit zu verschreiben.

Die Jugend hat ein Problem, also wollen sie mit der Jugend reden, um dann festzustelten, daß man mit dem friedlichen Teil reden kann (dem Teil, den sie verbal beschwichtigen können) und der andere Teil aus verträumten Politchaoten besteht, die ja doch nur das System aus vollständlich unbegreiflichen Gründen stürzen wollen.

Erstens ist es eine Unverschämtheit uns in die Ecke der sogenannt "unmündigen" Jugendlichen zu drängen. Zweitens haben wir keine Probleme, die man in einem Dialog mit der Macht lösen kann, denn für uns ist in der Tat das System das Problem, daß wir angreifen wollen. Also erübrigt sich der Dialog, in dem die geschulten Rhetoriker versuchen zu rechtfertigen, wofür es keine Rechtfertigung gibt.

Der Dialog ist für uns zum Scheitern verurteilt, denn wenn es verbal keine Einigung gibt, haben sie immer noch die Möglichkeit, ihre Politik mit anderen Mitteln fortzusetzen: Tränengas, Bullenknüppel, Wasserwerfer usw. Und der Dialog dient dann auch noch perverserweise zur Rechtfertigung ihres Vorgehens: wir (Senat) haben es ja mit friedlichen Mitteln versucht, aber...

Neuerdings bieten sie den Dialog unter der Voraussetzung an, daß "keine Gewaltakte gegen Sachen oder Personen privater Wohnungsbaugesellschaften oder Sanierungsträger erfolgen". Sie fordern uns zum Waffenstillstand auf, während sie mit ihren Waffen weiterschießen: Neubesetzungen werden verhindern, Funkgeräte in besetzten Häuser beschlagnahmt, die Strafprozesse gehen weiter und verschärfen sich, etc.

Wir halten es für durchaus möglich, daß von den Verhandlern Erfolge erzielt werden können, in der Form, daß einige Häuser, aber nicht alle, die es fordern, ihre Verträge kriegen werden und damit ihr Schäflein ins Trockene gebracht haben. Von der Liste der Verhandlungshäuser wird der Senat problemlos einige streichen können, denn er weiß, daß sie mit der Parole arbeiten: zu retten was zu retten ist, notfalls sogar auch ohne Gefangenenfreilassung.

Der Senat verfolgt das Prinzip von Kanalisation von Widerstand. Zu erst wird versucht, den Widerstand zu liquidieren (Räumung aller Häuser) und wenn das nicht mehr geht, weil einerseits eine Eskalation der Gewalt zu erwarten wäre (Angst vor Bürgerkrieg oder bürgerkriegsähnliche Zustände) und andererseits sich zu viel kritische Öffentlichkeit (Paten) eingeschaltet hat, wird versucht möglichst viele Häuser zu kriminalisieren und den Rest als "Aushängeschild" darzustellen. Zu diesem Aushängeschild lassen sich die Vertragshäuser, die zum Schluß übrig bleiben, degradieren. Auch rund 150 Häuser können notfalls Aushängeschild für Veränderungen im Wohnungsbau- und Stadtplanungssektor sein.

Die Häuser sollen denen gehören, die drin wohnen. Wir wollen die Häuser weder besitzen, noch kaufen, geschweige denn verkaufen. Wir wollen vielmehr in den Häusern leben, das heißt wohnen und arbeiten. Wenn Leute von uns ausziehen, ziehen neue Leute ein, wenn was kaputt geht, reparieren wir es. Man kann das ganze auch Selbstverwaltung nennen.

Klar, das mit dem Selhstverwalten schwankt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Aber wir sind nicht in die autonomen Häuser hineingeboren worden, sondern wir haben sie uns erkämpft und müssen lernen mit den Freiräumen umzugehen. Wir werden innerhalb der Häuser nicht auf Anhieb nur Lernerfolge machen, wir machen auch Bauchlandungen (z.B. wenn keiner Bock hat, die Küchenscheibe einzusetzen usw). Aber welche Wahl haben wir? Entweder sich ewig der Scheiße von oben zu fügen oder endlich anfangen zu lernen, mit der Selbstbestimmung, die wir vom Kopf her für richtig halten, umzugehen.

Wenn wir uns stark genug fühlen, uns von kleinbürgerlichem Sicherheitsdenken zu befreien, brauchen wir, um in den Häusern zu leben keine Verträge, genauso wie wir ohne Eheverträge in Beziehung leben können. Verträge sind Bestandteil der Bürokratie. Uns nervt es ohnehin, wenn Menschen nichts anderes zu tun haben, als den ganzen Tag dazusitzen und Paragraphen und Gesetze in einer dermaßen komplex-verfilzten Weise zu formulieren, was wir nicht mehr verstehen und auch nicht mehr verstehen wollen!

Die Frage der Legalisierung darf nicht heißen, "Überführung in eine existierende legale Form (Miet-, Nutzungs-, Erbpachtvertrag. . ). Damit wären Besetzungen als einmalig abgestempelt und der dahinterstehende Protest und Widerstand gegen die Sanierungsscheiße abgewürgt, Neubesetzungen wären ausgeschloßen, denn wenn sie direkt mit Bullengewalt geräumt werden, erübrigt sich ein Überführen in eine legale Form. Und wir können nicht nur eine Legalisierung der eigenen vier Hauswände fordern, denn wir wollen keine Sonderrechte gegenüber den wohnungssuchenden Gruppen, die noch ein Haus zum Leben brauchen.

Legalisierung kann nur heißen, daß der bestehende gesetzliche Rahmen gesprengt werden muß: Legalisierung von Instandbesetzen! Das heißt, wenn Häuser länger als 3 Monate leerstehen, können sie von Wohnungssuchenden besetzt werden und gehören ab dann denen, die drin wohnen. Diese Legalisierung kann sich nur auf die ganze Bewegung beziehen, und zur Bewegung gehören auch die Leute, die für die Veränderung gekämpft habe, und dabei abgegriffen wurden und im Knast sitzen.

Wenn wir aber eine "Legalisierung der Instandbesetzungen" vom Senat fordern, heißt das, daß wir anerkennen, daß er Herr über Recht und Gesetz ist. Da wir aber seine Herrschaft über uns nicht anerkennen, erübrigt sich eigentlich die Forderung an den Senat. Anders ausgedrückt: Der Bruch des staatlichen Legalitätprinzips ist dem Senat der größte Dorn im Auge. So groß, daß er das Auge nicht mehr zukriegt! Daraus ergibt sich für uns die Strategie, den nächsten Dorn reinzutreiben, statt über Verhandlungen den alten Status wiederherzustellen.

Wir kämpfen für uns und führen keine Steilvertreterkriege. Wir kämpfen nicht für Ideologien, nicht fürs Proletariat, nicht fürs Volk, sondern für ein selbstbesstimmtes Leben.

Wenn wir was für die Befreiung der 3.Welt tun wollen, können wir weder für sie die Art des Befreiungskrieges bestimmen, noch den Befreiungskampf für sie führen. Die beste Unterstützung für sie kann nur sein, wenn wir im eigenen Land die Widersprüche aufdecken und bekämpfen und uns aus dieser Position heraus mit den Kämpfen der 3. Welt solidarisieren.

Ebenso ist es widersinnig, über die Arbeiter und deren Kämpfe, die wir uns so sehr erwünschen, aber leider noch nicht stattfinden, verfügen wollten. Das gleiche gilt für die besetzten Häuser. Die beste Unterstützung kann für uns nur sein, wenn andere Wohnungssuchende für sich selbst und nicht stellvertretend für irgendwelche Leute - ein Haus besetzen. Alles läuft über die eigene Teilnahme und ist Politik der ersten Person.

Aus dieser Sicht heraus ist ein überdenken der Patenschaften erforderlich. Sie setzen sich aus einer mittelbaren Betroffenheit stellvertretend für uns ein. Das wir uns über jede Art von solidarischer Unterstützung freuen ist klar. Doch die Paten kommen aus Lebensbereichen, in denen ebenfalls die Mißstände bis zum Himmel stinken und lange Forderungslisten für ein besseres Leben existieren (Forderungen der GEW, ÖTV-Betriebsgruppen, Kirchen, Hochschulprofessoren usw.).

Der Wohnungskram ist durch die Hausbesetzungen als der soziale Brennpunkt von den Medien dargestellt worden. Das ist absoluter Quatsch, denn es gibt nicht den sozialen Brennpunkt, denn wenn wir uns angucken was läuft, stellen wir fest, daß es nur so von Brennpunkten hagelt: AKW's, Knast, Tegler Forst, Ausländererlaß, Startbahn West, Fabriken, Uni's, Schulen usw.

Da sich Politiker u. Medien bewußt auf den "Brennpunkt Wohnungskram" konzentrieren, wird von den anderen Schweinereien bewußt abgelenkt. Von daher ist es nicht nur inhaltlich, sondern auch taktisch besser für uns, wenn die Paten primär für ihre Forderungen kämpfen. Und das Forderungen schnell öffentliches Gehör finden, hat sich durch den Pflasterstein, aber auch durch andere Aktionsformen erwiesen!

Daß wir uns sträuben Mieterpolitik zu machen dürfte klar sein. Wir wollen nicht für andere Leute (in diesem Fall Mieter) Forderungen aufstellen. Wegen den partiziellen Gemeinsamkeiten zwischen Hausbesetzern und Mieter ist ein Kampf mit den Mietern angebracht und wird versucht über Blockräte zu praktizieren. Jeder muß über seinen Kampf verfügen, folglicherweise auch den Weg bestimmen. Da dies teilweise eher als Anspruch anstatt als Wirklichkeit gehandhabt worden ist, hat es in der Häuserbewegung harte Fetzereien über den sogenannten "richtigen'' Weg gegeben, das heißt über Autonomie oder Verhandeln.

Während die Autonomen das " Verhandeln mit dem Schweinesystem" ablehnen, sehen die Verhandler im Verhandeln einen gangbaren Weg, den wir ihnen, und wenn es uns auch noch so große Bauchschmerzen bereitet, zugestehen müssen.

Wir haben jetzt zwei Möglichkeiten, entweder getrennte Wege zu gehen oder zu versuchen, auf einen gemeinsamen Punkt zu kommen. Gehen wir getrennte Wege, muß uns allen bewußt sein, daß wir für den Senat leichter angreifbarer sind. Zwar stehen die Verhandler auf Grund der Existens der Nichtverhandler zunächst im "besseren Licht", was auch noch auf Kosten der Nichtverhandler geht, doch gesamtgesehen stehen beide Seiten geschwächt dar, denn sowohl für die Verhandlerseite wie auch für die Nichtverhandlerseite ist es effektiv besser, mit möglichst vielen Häusern die eigene Position zu vertreten (kompliziert, aber richtig; der Säzzer). Allen Besetzern dürfte klar sein, daß wir gegen die gleichen Gegner kämpfen. Wir können unsere Widerstandskräfte nicht aus dem Unermeßlichen schöpfen und Aufteilung bedeutet Schwächung auf beiden Seiten, (auch dann, wenn wir das Lippenbekenntnis der gegenseitigen Unterstützung aussprechen).

Der optimale Fall für uns ist tatsächlich nur der, wenn sich alle besetzten Häuser auf eine Position einigen können: entweder geschloßen verhandeln, geschloßen nicht verhandeln, oder ein Ding dazwischen. Sowohl die Position des Verhandelns, wie die des Nicht-Verhandelns beruht auf logisch aufgebauten Argumenten und sind nichts Irrationales. Das heißt, wir müssen uns in ausführlichen Diskussionen unsere Positionen klarmachen und überdenken. Die Diskussionen dürfen nicht, wie häufig in der Vergangenheit geschah, so ausarten, daß wir uns die Positionen um die Ohren fetzen und das ganze in einem "Vorschreiben des richigen Weges" ausartet (daran zerbrach im Sommer der Gesamtbesetzerrat).

Die Diskussion, zu der wir vermutlich bis Ostern Zeit haben, muß vielmehr von dem Interesse an der gemeinsamen Position und Stärke bestimmt sein. Ansonsten wird uns nichts anderes übrig bleiben, als in zwei oder noch mehrere geschwächte Positionen zu zerfallen.
Dieses Papier soll u. a. die Aufgabe haben, die Position der Nichtverhandler darzustellen.

Der kapitalistische Staat ist flexibel. Kurzlebige Revolten bedrohen nicht seine Existenz, sondern beschleunigen lediglich seinen Erneuerungsprozeß. "Revolten sind Feuerwerke, geschossen in das Dunkel der Macht. Sowie sie erleuchten, sind sie am Verlöschen" (M. Foucault)

Für uns heißt das, das wir über den rein spontanen Widerstand (Kreuzberger-Mülltonnen-Syndrom) hinauskommen müssen, daß es gilt Strukturen aufzubauen, die es uns ermöglichen unseren Widerstand zu koordinieren, unsere Erfahrungen zu diskutieren, um vor allem von der eindimensionalen Fixierung auf die Häuser wegzukommen - hin zu einer diffusen Guerilla von autonomen und revolutionären Zellen, um den Staat überall da anzugreifen, wo er gerade verwundbar ist.

Dabei spielt unsere Phantasie und unsere Unkontrollierbarkeit eine große Rolle. Die Scherben vom 12.12. haben unter anderem bewirkt, daß heute von jedem in Berlin leerstehende Häuser anders wahrgenommen werden als zuvor. Aber die selben Formen lassen sich nicht beliebig mit dem selben Effekt wiederholen. Unsere spontanen Aktionsformen sind zu kontrollierten Reaktionsformen geworden.

Die Berliner-Häuser-Revolte ist ausgebrannt! Was bedeutet es für uns, an diesem Punkt konsequent weiterzukämpfen? Die Frage, ob wir diesen Kampf führen wollen, oder ob wir uns ihm verweigern können, deutet auf einen Bruch innerhalb der Bewegung. Viele glauben, daß ein permanenter Kampf gegen dieses System nicht mit unserem Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben vereinbar ist. Andere geben offen ihre Angst vor den persönlichen Konsequenzen zu. Doch mehr oder weniger bewußt ist allen klar, daß wir der Konfrontation mit dem System nicht mehr entgehen können. Die Frage ist letztlich, ob wir dem Staat als passive Opfer, oder als strukturierte Gegenmacht begegnen.

Für die Bildung einer Gegenmacht muß der Angriff auf den Staat der Ausgangspunkt sein, nicht der Wunsch nach Herrschaft. Das heißt auch, daß sich diese Gegenmacht nie totalisieren oder vereinheitlichen darf, daß sie sich nie als die Gegenmacht institutionalisiert, sonst wäre die Tendenz für ein neues Herrschaftssystem, einen neuen Staat, bereits wieder im Keim angelegt. Was hier für die kämpfenden Kollektive gilt, gilt auch für den Einzelnen, wenn wir nicht das Gesicht unserer Feinde annehmen wollen. Wer sich auf einen "straighten fighter" reduziert, wird bald mit geknickten Ohren und einem Ringelschwänzehen rumlaufen.
Wenn wir unsere Versuche anders zu leben und unseren Kampf gegen das System als Einheit sehen, dann dürfte uns diese Verwandlung erspart bleiben.

Tendenzielle Befreiung von der Lohnarbeit ist eine der Grundvoraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben.

Genau betrachtet ist diese These eine allgemein bekannte Banalität. Wenn ich den ganzen Tag malochen muß, bin ich Abends nur noch zu der Art von Leben fähig, die mir das System bietet, d.h. Konsum, Familie, Glotze und Kneipe. Die Kraft für die notwendige Eigeninitiative, die ich aufbringen muß, um mir Teilbereiche aus den Verwertungszusammenhängen des Kapitals herauszureißen und autonom zu gestalten, diese Kraft habe ich Tag für Tag an meine Firma verkauft.

Doch dort, wo ich versuche eine Konsequenz aus dieser Banalität zu ziehen, dort wird die These außerordentlich spannend. Das so´ne Arbeit scheiße ist, weiß jeder Malocher, doch wie ohne Lohntüte über die Runden kommen?
Das ein Leben ohne Lohnarbeit, oder besser gesagt, mit so wenig entfremdeter Arbeit wie möglich, realisierbar ist, das beweißt die Existenz von mehreren tausend arbeitsscheuen Aussteigern, Chaoten, Hausbesetzern und umherreisenden Berufsrevolutionären. Ein Minimum an Konsumbedürfnissen - was sich mit der Zeit von ganz alleine einstellt - und ein Maximum an Aneignung von produzierten Überflüssen, macht ein solches Leben nicht nur theoretisch möglich.

Praktisch heißt das, hier ein bißchen Bafög oder Arbeitslosenunterstützung klauen, dort ein bißchen Obst von Kaisers, keine Miete mehr zahlen, jedes Jahr ein kleiner Versicherungsbetrug (es müssen ja nicht immer gleich. Banken sein), nicht mehr so anfällig sein für die Ersatzbefriedigungsscheiße, die uns überall von Plakatwänden anschreit, in größeren Gruppen zusammenleben, Kommunen und Banden bilden - und wenns garnicht mehr anders geht, ein paar Tage jobben gehen.

Das hört sich jetzt alles ziemlich einfach an. Ist es aber nicht, was wiederum auch durch die Existenz des oben näher beschriebenen Gesindels bewiesen ist. So zu leben heißt nämlich auch, einen durch glückliche Umstände erworbenen Geldschein nicht gleich in die nächste linke Kneipe tragen, heißt nicht nur von der Hand in den Mund zu leben, nur dann zu klauen, wenn man auch Bock dazu hat und nicht wenn der Magen knurrt (ein halbes Dutzend Verfahren ist schlecht für die Nerven), heißt kurz gesagt, die Fähigkeit sein Leben kollektiv und subversiv zu organisieren - und das lernste leider nicht auf der Schule.

Wenn du die Möglichkeit hast, dir diese Fähigkeit auf der Basis einer relativ gesicherten Existenz (z.B. reiche Eltern oder dickes Bafög) anzueignen, dann haste Schwein gehabt. Wenn nicht, und das trifft wohl für die meisten zu, bedeutet das meist irgendwie in den Sumpf der brodelden Subkultur ausgespien zu werden, bedeutet in einer versyphten, kalten Bude zu hausen und auch oft genug auf Kosten anderer Freaks zu leben. In linken Kneipen abfressen, jeden Abend mit weinerlichem Gesicht und`ner Sammelbüchse rumlaufen sowie Bekannten auf der Tasche zu liegen hat weder was mit Autonomie zu tun, noch kann das auf Dauer eine Lösung sein.

Doch wer sich hinter den Kreuzberger Kulissen auskennt, muß glauben, daß viele von uns über diesen ersten Schritt nicht hinauskommen wollen. Schon ist beim Sammeln die Ausbeute an dummen Sprüchen wesentlich höher, als an Markstücken. Vom Hunger und der eigenen Hilflosigkeit geplagt fliehen viele Kinder der Revolte zu Mama und ihrem Kochtopf. Wo wir diese Sicherheit im Hintergrund nicht mehr haben, grasen wir verzweifelt die beinah abgefressene Weide alternativer Wohltätigkeit ab. Das Gefühl der Hilflosigkeit erzeugt sehr schnell Verzweiflung und Resignation vor allem, wenn die Ablenkungsmöglichkeiten hinter provisorischen Barrikaden immer spärlicher werden. Kein Wunder also, daß die letzte Mark in Alkohol umgesetzt wird. Neu auf dem Speisezettel ist das Heroin. Doch spätestens da ist mit jeder Selbstbestimmung radikal sense. Dagegen sind die Psychos harmlos.

Das Erlernen einer autonomen (Über-)Lebenstechnik ist im Moment einer unserer wichtigsten Aufgaben. Vielleicht auch die schwierigste. Aber davon hängen nicht nur unsere feelings ab, sondern auch unsere Möglichkeiten konsequent Widerstand zu leisten.

In der Linken- und Alternativscene haben wir uns seit einigen Jahren Strukturen geschaffen, die es uns ermöglichen, zunehmend selbstbestimmter zu leben, unseren Alltag kollektiver zu organisieren, von den ökonomischen Geschichten über's Essen, Kneipen (-Unwesen), andere Kultur, etc.

Wir haben in diesen relativen Freiräumen Möglichkeiten, ein Zusammenleben in verschiedenen Gruppenzusammenhängen auszuprobieren, radikale Erfahrungen gemeinsam in den Alltag umzusetzen. Außerdem machts Mut, zu zeigen: Leben geht auch anders! (und es lohnt sich)

Jedoch: Wir unterstellen einem großen Teil aus der Alternativscene, daß es ihnen nur darauf ankommt,ihr Leben anders zu organisieren, nicht aber gegen das System zu kämpfen! Sie richten sich in ihren Nischen ein und kriegen den Arsch nur noch hoch, wenn diese direkt bedroht werden. Unsere Formen von Selbstorganisation sollten für uns zunehmend zur Selbstverständlichkeit nicht zum politischen Ziel erklärt werden. Selbstorganisation gabs zu allen Zeiten aus ökonomischen oder anderen Notwendigkeiten heraus wie: Schwarzmärkte in Krisenzeiten, medizinische Selbsthilfe etc. Das ist aber erstmal nichts "autonomes". Immer mehr Kollektive, die mehr Knete erarbeiten als sie für sich brauchen, drücken Beträge für irgendwelche politischen Projekte ab - das ist ne klassische Delegation von Politkram an andere, Beruhigung des schlechten Gewissens.

Noch ne Kritik an denjenigen unter uns, die sich zur Zeit in endlosen Psychos dran aufreiben, daß das Zusammenleben in besetzten Häusern nicht so einfach ist, daß die einfachsten gemeinsam geplanten Dinge (Arbeitseinsätze, Materialbeschaffungsaktionen etc.) nicht klappen, Ansprüche nicht gleich umzusetzen sind. Klar brauchen wir ne Basis für uns, aber erschlagen wir uns nicht mit unseren Ansprüchen jetzt und sofort! In dem Moment, wo wir das Problem zu dem überhaupt machen, reiten wir uns selber immer tiefer rein, verlieren immer mehr den Draht und die Energie für andere Dinge.
Wie lange haben wir denn damals gebraucht, um mit unseren WG-Wohnis zurechtzukommen? Das, was jetzt an Beziehungsstrukturen in den Häusern und drumherum abläuft, ist ja ein vielfaches davon. Die meisten kriegen den Arsch nur noch hoch auf Druck von außen, aber genau das wollen und können wir uns nicht leisten.
Das andere Extrem: Kämpfen, aber nicht leben zu können - die alltäglichsten Dinge nicht geregelt zu kriegen.

Wir kritisieren nicht unsere relativen Freiräume ansich, sondern Freiräume als Ziel. Für uns sind sie Ausgangspunkt in unserem Kampf. "Freiräume" erobern, absichern, weitere "Freiräume" erobern, absichern... - das ist klassischer Reformismus! Das bringt kein System ins wanken - auch das kapitalistische System reagiert sehr flexibel darauf: "Freiräume" können integriert, Widerstand kanalisiert werden, Gettos ohne Sprengkraft - Spielwiesen.

Die Grenzen unserer ''Freiräume" sollten wir klar sehen, (wie es z.B. bei Selbsthilfeprojekten ständig passiert), das sich kapitalistische, hierachische Strukturen einschleichen oder diese "Freiräume" als positive Anregung ins System übernommen und irgendwann ausgeschaltet werden. (z.B. sämtliche ehemalige Selbsthilfeprojekete aus der Sozialarbeit wie Kinderläden, Beratungsstellen, Familienhilfeprojekte). Diese Ansätze dienen letzten Endes dazu, das System zu stabilisieren, uns an den Randbereichen der Macht und ihrer Verwaltung zu beteiligen. Es gibt im übrigen fast keinen Bereich, in dem wir etwas für jemanden tun müssen anstatt mit einem Gleichberechtigten.

Wir sind für die Sozialdemokratie ein hervorragendes Experimentierfeld, wie mit einer gesellschaftlich und sozial zugespitzten Situation umzugehen ist (in wieviel Büchern und Untersuchungen wird inzwischen die Häuserbewegung analysiert!). Zwischen denjenigen, die ihre "Freiräume" absichern, legalisieren wollen und der radikalen Linken muß es wohl irgendwann zum Bruch kommen. Die Frage ist: Schaffen wir es, uns auf der Basis von einem größten gemeinsamen Vielfachen - nicht dem kleinsten gemeinsamen Nenner - weiterhin auseinanderzusetzen ohne einen wischi-waschi Kompromiß uns weiterhin gemeinsam zu bewegen und teilweise Bündnisse zu schließen?

Die Bewegung braucht die Gewaltfreien genauso wie die Streetfighter (Müslis und Mollis an einem Herd), aufgewachte 68iger, Paten usw. Entscheidender Punkt dabei ist: Sind wir uns gegenseitig als Bewegung wichtiger als den Ärschen in den Arsch zu kriechen und uns darüber aufzuregen, daß uns vermeintliche Dialogpartner davonlaufen. Das heißt zu schauen, welche Leute noch ähnliche Interessen haben wie wir.

Wir erklären unsere Häuser für enteignet. Der Eigentumsbegriff ist in der Häuserbewegung jedoch nur leicht angeknackst: "Der Staat hat das Recht auf Eigentum verwirkt" - dies zeigt deutlich, daß Enteignung anscheinend noch sehr moralisch für uns selbst legitimiert werden muß.

Wir wollen nicht in Gettos leben - unsere Bewegung hat solange Power, wie sie sich verbreitert und gleichzeitig radikalisiert!

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