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Autonome

Themenchronik

 

aus: radikal Nr.98, 9/1981

Thesen zur Autonomie in unserer Bewegung

1. Autonomie: daß heißt für uns, unser Leben selbst zu bestimmen; gegen die Zwänge der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Staates ein befreites Leben hier und heute zu thematisieren. Wir lehnen uns auf gegen den Abeitsterror in den Fabrikknästen, gegen die Zwangsmoral, die uns Familie und Erziehungsanstalten einimpfen wollen, gegen die Zubetonierung und Verseuchung unserer Umwelt, gegen die Verwaltung unseres Lebens durch Bürokratie und eine zur technischen Lösung von vermeintlichen Sachzwängen sich stilisierende Politik.

2. Autonomie: das heißt für uns Widerstand und Kampf. Die bürgerliche Gesellschaft und ihr Staat sind expansiv; aus ihr gibt es kein Herausspringen (wie die Hippies glaubten,) in ihr gibt es keine Freiräume, die sie uns bereitwillig gewährt ( wie die Alternativen glauben ).

3. Aber Autonomie ist nicht das Ziel eines langen Kampfes, der uns Anpassung aufzwingt und während dessen wir uns von Reformisten oder Berufsrevolutionären auf den Sankt Nimmerleinstag der Freiheit vertrösten liessen. Die ersteren wollen die Macht im Zwangssystem erobern statt es abzuschaffen; die letzteren gleichen sich im Kampf dem Gegner bis zur Unkenntlichkeit an, so daß ihr (glücklicherweise nicht anstehender) Sieg nur die Kontinuität von Herrschaft bedeuten würde ( siehe UdSSR ).

4. Autonomie: das bedeutet für uns, hier und ietzt andere Lebensformen zu praktizieren. Die Zukunft der bürgerlichen Gesellschaft stellt für uns keine Perspektive dar; eine andere Zukunft die einer befreiten Gesellschaft - wird es nicht geben, wenn wir nicht bereits im Bestehenden durch einen kulturrevolutionären Prozeß unser Unbehagen und unsere destruktive Kraft in eine neue Bedürfnisstruktur und neue Verhaltensweisen zueinander transformieren.

5. Wir müssen uns autonome Bereiche des Lebens erkämpfen, und wir müssen sie verteidigen. Aber wir können sie nicht verteidigen, ohne sie auszuweiten und ohne zu anderen Bereichen überzugehen. Die bürgerliche Gesellschaft ist ein Ganzes, das seinen totalitären Anspruch auf alle Teilbereiche ausdehnt. Überall stossen wir auf die Gesetze und Zwänge, die der kapitalistischen Logik entspringen, so daß unsere Autonomie im Bestehenden stets nur eine relative sein kann. Und der Zusammenhang, der vom Kapital durchwalteten Lebensbereiche, verweist von einem auf die notwendige Veränderung in allen anderen Bereichen des Systems. So können wir nur bedingt qualitativ anders zusammen wohnen, wenn die alten Zwänge der Arbeit, Schule etc. fortbestehen.

6. Es gilt, das Ganze der bürgerlichen Gesellschaft zu zerschlagen. Aber unsere Strategie ist nicht totalisierend. Wir müssen Teile aus dem Zwangszusammenhang heraussprengen, wobei die besonderen Bedingugen nicht vereinheitlichenden Forderungen geopfert werden dürfen. Die erkämpfte relative Autonomie gibt es nur im Konkreten, d. h. Partikularen.

7. In manchen Bereichen gelingt es uns, den Verwertungszusammenhang des Kapitals und die Autorität des Staates ansatzweise zu durchbrechen; in anderen Bereichen bilden wir oppositionelle Gruppen, deren Wertsetzungen und Handlungsweisen sich von jeder systemkonformen Logik losreissen. Unsere Bewegung hat hundert Ausdrucksformen.

8. Überall, wo Entfremdung und Unterdrückung erfahren werden, kann man sich durch Formen direkter Aktion auflehnen. Die Produktionssphähre hat keinen Vorrang vor den Reproduktionsbereichen.

9. Wir kennen keine "politische Ebene" die von unserem alltäglichen Leben getrennt wäre. Autonomie; d. h. Selbstbestimmung unseres Lebens. Also werden wir das Schicksal unserer lebendigen Bedürfnisse keiner institutionellen Ebene anvertrauen, auf der andere "für uns" entscheiden. Das parlamentarische Spektakel gehört für uns zum Fernsehprogramm. Unsere Lebensweise hat unmittelbar politischen Charakter insofern wir uns der herrschenden Ordnung widersetzen.

10. Unsere Lebens- und Widerstandsformen sind antiinstitutionell. Soweit wir Beratungsorgane brauchen ( z. B. Besetzerrat ), werden sie nicht mit "Amtsträgern" bestückt und sie haben auch keine Zwangsgewalt gegen Einzelne. Autonomie: d.h. auch Autonomie des Individuums. Wir sind keine homogene Einheit; unsere Gemeinsamkeit unterschlägt nicht die heterogene Vielfalt. Wir sind Chaoten!

11. Soweit es uns gelingt, eigene Lebenszusammenhänge herzustellen, brauchen wir keine Partei oder politische Organisation. Denn jene sichern die Kontinuität, die einzelne Aktionen verbindet, so daß Erfahrungs- und Lernprozesse gemacht werden können.

12. Wir sind weder eine Klasse noch eine "Randgruppe". Es gibt Schichten, in denen die Unerträglichkeit dieser Gesellschaft leichter erkannt und stärker empfunden wird als in anderen. Aber das Handeln ist an keine Schichtenzugehörigkeit gebunden.

13. Die Verschiedenheit der Ausdrucksformen unserer Bewegung bedeutet eine produktive Ungleichzeitigkeit, eine Gleichzeitigkeit von Verschiedenem. Wir lernen voneinander; und das System wird auf verschiedenen Ebenen zersetzt. Aber es gibt auch die hemmende Ungleichzeitigkeit - die unseres Bewußtseins, Empfindens und Handelns zu dem der "Massen".
Denn Autonomie: d. h. sich loslösen von den herrschenden Normen und damit auch von der Mehrheit der Bevölkerung, die noch ins System integriert ist. Autonomie bedeutet Andersheit.

14. Wenn es keine autonome Bereiche gibt, die wir nicht verteidigen müßten; und wenn wir sie nicht verteidigen können ohne den totalitären Zugriff des Systems zu bekämpfen und damit es selbst letztlich zu zerstören; und wenn das Svstem nicht gegen die Masse zerstört werden kann, dann kann unsere Absonderung von ihnen nur eine verübergehende Phase bedeuten. Autonomie bewegt sich im doppelten Widerspruch: gegenüber dem System Absonderung und zugleich Kampf, gegenüber den Massen Absonderung und zugleich Vermittlung.

15. Wir handeln nicht aus pädagogischen Gründen. Es geht uns um unsere eigene Existenz. Aber wenn wir unsere Ziele realisieren wollen, muß unser Handeln zugleich exemplarische Funktion haben. Wir müssen die Wahrnehmungs- ( und damit Handlungs- ) weisen derer, die dem System noch verhaftet sind, revolutionieren, damit sie ihre Grundhaltung ändern und das Spiel der Herrschenden nicht mehr mitspielen.

16. Ohne Phantasie keine Zukunft!!!! Die Scherben vom 12.12. haben unter anderem bewirkt, daß heute von jedem in Berlin leerstehende Häuser anders wahrgenommen werden als zuvor. Aber dieselben Formen lassen sich nicht beliebig mit demselben Effekt wiederholen. Unsere spontanen Aktionsformen sind zu gewohnten Reaktionsformen geworden. Einen Lernprozeß bei andern wird es nicht geben, wenn wir nicht lernen, unsere Bedürfnisse so auszudrücken, daß auch andere ihre eigenen Bedürfnisse darin wiederfinden

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