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11.06

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aus: ANTI-NATO-DEMO   11.6. W-BERLIN, Broschüre autonomer und antiimperialistischer Gruppen, Juli/August 1982

Die Demo

Es war besprochen, am nächsten Morgen in kleinen Gruppen und möglichst unauffällig zum ersten Treffpunkt für den norddeutschen und Kreuzberger Block zu gelangen. Die Informationsbüros sollten besetzt sein, um einen Überblick verschaffen zu können, das war dann nicht so.
Auch das Treffen der Nordblocks klappte nicht, weil einige Genossen durch Kontrollen aufgehalten wurden (z.B. wurden zwei Busse, in denen die Kreuzberger saßen, von den Bullen gestoppt und kontrolliert) und der Treffpunkt zeitweise von den Bullen besetzt war. So kam es, daß einige von uns schon auf dem Nolli waren, ehe er abgeriegelt wurde, während andere erst hinkamen, als der Platz schon dicht war.

Alle, die nicht mehr auf den Nolli kamen, gingen weiter zum zweiten und dritten Treff. Dort versammelten sich ca. 70 Leute und schlossen sich einem Demonstrationszug an, der in Richtung Kudamm zog und in dem zum Schluß ca. 1 500 Menschen mitgingen. Zuerst waren keine Bullen zu sehen, die waren wohl am Nolli und am Schluß konzentriert, und es gelang, eine kraftvolle Demonstration zu machen, auf der Transparente waren, Parolen gerufen wurden und zum Schluß sogar ein Lautsprecherwagen mitfuhr. Es gab allerdings nur wenige feste Ketten, und die meisten Leute waren nicht ausgerüstet.

Nach ca. 15 Minuten kamen dann die Bullen, riegelten die Straße ab und begannen, die Demo von vorne zu zerschlagen. Die Genossen, die in Ketten gingen, versuchten noch einige Zeit, diese aufrecht zu erhalten und den Lautsprecherwagen zu schützen, es gelang aber den Bullen durch brutalen Knüppeleinsatz und Tränengas, eine Panik zu erzeugen, so daß am Ende nur noch Flucht übrig blieb. Den meisten gelang die Flucht, zum Teil sehr abenteuerlich. Ca. 60 Genossen/innen wurden verhaftet.

Zu dieser Demo ist zu sagen, daß die Planung, die wir hatten, gut war und auch geklappt hat. Wir kamen nicht auf den Nolli, wußten aber einen zweiten und dritten Treff, sammelten uns, schlossen uns in Ketten zusammen, und die Demo war, solange sie lief, powervoll. Dem Bulleneinsatz konnten wir nichts entgegensetzen, weil außer uns ein Großteil der Leute ungeschützt war und nicht geschlossen in Ketten ging. Der Tränengaseinsatz massiv und mit den neuen, umherhüpfenden Geschossen, war gezielt gegen die geschlossenen Ketten gerichtet.

Nolli

Auf dem Nollendorfplatz hatten wir, überrascht durch die Umzingelung durch die Bullen, versucht, eine Demo aufzustellen und geschlossen die Sperren zu durchbrechen. Das war sehr schwierig, weil es an Übersicht mangelte, auch an Megaphonen und einem Lautsprecherwagen, weswegen nie alle Leute an einer Stelle geschlossen den Durchbruch versucht haben, sondern es zweidrei kleinere Demozüge gab, die es versuchten. An einer Stelle gelang ganz kurz der Durchbruch, wir wurden aber gleich wieder zurückgedrängt, wodurch Panik entstand. Wir hatten den Stacheldraht, den die Bullen inzwischen um den Platz gezogen hatten, nur flüchtig zur Seite gezogen, nicht auf der ganzen Breite der Straße, und beim Zurückziehen und der damit verbundenen Panik blieben einige Genossen im Stacheldraht hängen.

Danach lief an vielen Stellen der Versuch, die Bullen durch Steinwürfe zurückzudrängen und durchzubrechen. Als die Bullen begannen, mit Wannen auf den Platz zu fahren, wurden Barrikaden errichtet und angezündet. Eine Anzahl von Leuten (ca. 600) gelangten über einen Schleichpfad vom Platz, später am Tag kämpften wir dann die Bülowstraße frei, und die Auseinandersetzungen gingen danach am Winterfeldplatz und an anderen Stellen der Stadt weiter.

Wir hatten uns in der Vorbereitung der Demo genau überlegt, wie wir eine gute, geschlossene Demo aufstellen und durchsetzen können. Womit wir nicht gerechnet haben, ist, nicht vom Platz runterzukommen, wir hatten immer überlegt, wie wir raufkommen können. Wir waren von der Situation, wie sie dann war, vollkommen überrascht. Dadurch, daß viele von uns sich nicht in kleineren Zusammenhängen abgesprochen hatten, sondern ihre Ketten und der Hamburger Block im Kopf hatten, mangelte es einigen an Flexibilität, sich auf die neue Situation einzustellen. Da sollten wir bei anderen Demonstrationen berücksichtigen.

Mein schönstes Ferienerlebnis in der Frontstadt

Pünktlich um 10.00 Uhr passierten wir die in der Bülowstr. stehenden Bullen, die auf einem LKW Stacheldrahtrollen bereithielten, und betraten den Nollendorfplatz. Uns war sofort klar, daß der Platz in kürzester Zeit von den Bullen abgeriegelt werden würde. Alle Überlegungen waren bisher aber vom genauen Gegenteil ausgeganger nämlich, daß wir evtl. gar nicht auf den Platz raufkämen.

Noch während wir den Demoblock suchten, mit dem wir verabredet waren, wurden alle vom Nolli abgehenden Straßen von den Pigs mit Draht verbarrikadiert. Wie wir später erfuhren, lief dieses Manöver der Massenfestnahme auf offener Straße unter der polizeiinternen Bezeichnung Aktion Eisenbart ab. Es war jetzt etwa 10.10 Uhr, und zu dieser Zeit befanden sich ca. 5.000 Menschen auf dem Platz.

Obwohl die Situation nicht gerade vorteilhaft für uns war, wir uns ja gewissermaßen in einem großen Gefangenenlager befanden, fiel mir mit einmal auf, daß die Angst der Demo und dem, was mich erwarten würde, vollkommen verschwunden war. Eine Erfahrung, die ich auch schon auf vielen Demos vorher gemacht hatte. Auch daß so viele Menschen zu dieser Demo gekommen sind, obwohl sie wußten, was nach der Pressekampagne, Demoverbot und bei der Bedeutung, die der Reagan-Besuch für Schweine hatte, ablaufen würde, gab mir ein sehr gutes Gefühl.

Wir waren uns einig, daß wir uns nicht widerstandslos festhalten lassen wollten. Das hätte bedeutet, daß unsere Absicht, der Kriegspolitik der Kriegstreiber ein Zeichen unserer Bereitschaft zum Widerstand entgegenzusetzen, im Keim erstickt worden wäre.
Den meisten anderen auf dem Platz muß es ähnlich geggen sein. Überall wurden Steine ausgegraben, und Menschert formierten sich zu Ketten. Plötzlich fuhr in der Maßenstr., am Möbelgeschäft Roland, ein Lautsprecherwagen der Bullen auf und verkündete uns, daß die Demo verboten sei und wir einzeln durch vorbereitete "Kontrollstellen" den Platz verlassen könnten, wenn wir uns durchsuchen lassen. Das kam für uns sowieso nicht in Frage. Später hab ich dann von anderen gehört, daß anfangs diese "Kontrollstellen" gar nicht existierten und später, als sie eingerichtet worden waren, es auch tatsächlich zu den erwarteten Prügeleien durch die Bullen gekommen ist.

An der Stelle, wo der Lautsprecherwagen stand, kam es jetzt zu den ersten Auseinandersetzungen. Nachdem wir die hinter dem Draht stehenden Pigs mit einem Steinhagel zurückgedrängt hatten, gelang es uns, den Stacheldraht beiseite zu ziehen und in die Mackensenstr. vorzudringen. Die hinter ihren Wannen versteckten Bullen mußten sich trotz gelegentlicher Vorstöße ihrerseits langsam zurückziehen.

Leider hatten wir keinen Überblick darüber, ob die Bullen viele Reserven bereithielten, so daß es uns zu riskant erschien, allzuweit in die Mackensenstr. einzudringen, obwohl zu dieser Zeit noch die Möglichkeit bestand, in die Kurfürstenstr. durchzubrechen (später ergab sich aus dem abgehörten Bullenfunk, daß keine Reserven greifbar waren).

Schade war auch, daß wir keinen Lautsprecherwagen oder entsprechend laute Handmegaphone hatten, so daß es kaum zu koordinierten Aktionen aller Menschen auf dem Platz kommen konnte. Stattdessen entwickelten sich die Auseinandersetzungen an sämtlichen Sperren. Für uns an der Mackensenstr. bestand dabei die Gefahr, daß aus der Bülowstr. bzw. Einemstr. die Bullen uns hätten in den Rücken fallen können, indem sie wie üblich mit den Wannen in die Menge rasen und uns so den Rückweg abschneiden. Während vor uns jetzt die Bullen Verstärkung durch einen Wasserwerfer erhielten, bauten wir in Richtung Bülowstr. eine Barrikade aus den teuren Stilmöbeln des Hauses Roland, um solche Flankenangriffe zu verhindern. Allerdings ist in einer solchen Situation von Straßenkampf auch jeder selbst verantwortlich dafür, seine Umgebung im Auge zu behalten, gefährliche Situationen zu erkennen, auf Zivis zu achten und sich rechtzeitig und möglichst ruhig zurückzuziehen.

Während der ganzen Zeit beim Möbelgeschäft konnte ich auf unserer Seite keine Verletzungen beobachten, obwohl wieder viele von uns weit von hinten geworfen haben und so die anderen gefährdeten. Die Bullen haben wir uns die ganze Zeit vom Leib halten können. Nach ca. 1,5 Std. begann ich in der Hektik, die verlorenen Genossen zu suchen, auf dem Platz schienen mir auch schon deutlich weniger Menschen zu sein. Offensichtlich war es vielen schon gelungen, irgendwie hinauszugelangen. Ich stieß auf eine Gruppe von ca. 500 Leuten, die sich an Sperre Bülowstr. formierten, um hier den Ausbruch zu versuchen, und schloß mich ihnen an. Die Bullen flüchteten im Steinhagel bis zur nächsten Querstraße und sogar die Wannen auf der anderen Straßenseite (die Straße ist in der Mitte durch UBahn und 2 Geländer getrennt) mußten zurück, um nicht abgeschnitten zu werden. Viele von uns konnten jetzt nach rechts abbiegen und waren so aus dem" Kessel entkommen bis heranrasende Bullenwannen, denen es offensichtlich gleichgültig, wenn nicht sogar willkommen war, jemanden umzufahren, uns zur Flucht zwangen.

Auf der Straße liegende Barrikadenreste, über die wir hinweg flüchteten, hinderten die Wannen, direkt in uns hineinzufahren. Einige Sekunden gewannen wir auch durch gezielte Steinwürfe in die auffliegenden Wannentüren, die dann jedesmal schnell wieder geschlossen wurden, bis die Bullen aus ihren Autos rausstürmten und uns zu Fuß verfolgten. Auf dieser Flucht bin ich noch 2mal vor den Bullen hingefallen, aber doch noch knapp entkommen. Das war ein ziemlich unangenehmes Gefühl, aber umso schöner dann wieder, zwischen den Genossen in Sicherheit zu sein. Allerdings entschloß ich mich jetzt, mich bei der Suche nach meiner Gruppe von solchen Aktionen nicht mehr ablenken zu lassen, und nach und nach fanden wir uns auch zusammen. Wir beschlossen, jetzt vorrangig unseren Rückzug vom Platz zu organisieren.

Aus der Richtung Bülowstr. kamen in diesem Moment 5-6 Wannen und fuhren mit hoher Geschwindigkeit durch die Menschen, wendeten mit quietschenden Reifen und rasten zurück. Viele Genosen mußten mal wieder im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben laufen, um nicht totgefahren zu werden. Die von beiden Seiten auf die Wannen geworfenen Steine verhinderten vielleicht, daß die Bullen anhalten und aussteigen konnten, aber trotzdem ging über die Hälfte vorbei und flog den auf der anderen Straßenseite Stehenden um die Ohren.
Viel sinnvoller war da schon, den berühmten Mercedes vom US-Fernsehteam auf die Straße zu kippen. So und durch einige andere Barrikaden konnten weitere Versuche der Bullen, ihre Autos als Waffen einzusetzen, wirksamer behindert werden.

Während dieser Aktion war unsere Gruppe wieder etwas verstreut worden. Nachdem wir uns einigermaßen wieder gesammelt hatten, beschlossen wir, sofort den Rückzug vom Platz anzutreten und tauschten untereinander so gut es ging Helme, Jacken etc., um das Risiko, auf dem Rückzug festgenommen und anhand von Fotos etwas angehängt zu bekommen, möglichst gering zu halten. Ein gemeinsamer Abmarsch gelang uns zwar nicht, weil wir kurz darauf wieder von wild über den Gehweg kurvenden Wannen bedroht wurden und auf unterschiedlichen Wegen vom Platz gelangten, aber am Nachmittag stand fest, daß es aus unserer Gruppe weder Verletzte noch Festnahmen gegeben hat.

Alles in allem waren wir der Meinung, daß es den Bullen an diesem Tag nicht gelungen war, unseren Willen zum Widerstand gegen Kriegspläne und Unterdrückung zwischen Stacheldraht und Wasserwerfern ruhig zu halten. Wir hatten im Gegenteil erfahren, daß wir trotz der Pressekampagne und Hetze sehr viele waren, die sich nicht abschrekken ließen, und daß es uns gelungen war, den Eindruck einer ungestörten Reagan'schen "Friedensinitiative" in Westberlin erfolgreich zu stören.
Wenn die Situation auf dem Nolli auch nicht mit West-Beirut zu vergleichen war, wollten wir doch von uns aus den verlogenen Versuch der Schweine, dort den Völkermord zu organisieren und hier von Frieden zu schwätzen, um die Menschen zu betrügen, möglichst wirksam bekämpfen. Das hieß für uns von Anfang an, daß unsere Aktionen zur Reagan'schen Propagandashow die Bereitschaft zum Widerstand vermitteln sollten, daß wir Widerstand organisieren wollen und daß wir bereit sind, dafür auch etwas zu riskieren. Ich glaube, daß uns das gelungen ist, und ich hoffe, daß es uns weiterhin gelingen wird, das bisher Erreichte auszubauen zu der Kraft, die nötig ist, um die Schweine zu besiegen.

siehe auch:    Häuserkampf - Chronologie   /   Chronologie 1982 nach oben