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11.6.1982

Themenchronik

aus: ANTI-NATO-DEMO   11.6. W-BERLIN, Broschüre autonomer und antiimperialistischer Gruppen, Juli/August 1982

Der Konvoi

Kurz vor dem 11.6., auf der letzten Vorbereitungsveranstaltung für die Demonstration, ließen wir unsere Planung für einen Nordkonvoi über Lauenburg fallen. Ausschlaggebend dafür war, daß wir nicht genau wußten, wieviele Autos mit uns fahren würden und auch wieviele für eine Blockade notwendig wären. Wir hatten überlegt, erst ab 50 Autos den Konvoi zu machen, konnten aber auf der Veranstaltung noch nicht einmal dreißig sicher zählen und gaben den Konvoi auf.

Wo lagen unsere Fehler?

Die konkrete Planung für den Konvoi hatte in Hamburg der Verkehrsausschuß übernommen. Er war wohl auf den nationalen und regionalen Plenen diskutiert worden, wie er genau aussehen sollte, wußte aber nur der Ausschuß, der nicht dafür gesorgt hat, daß die Planung in den einzelnen Gruppen diskutiert werden kann. Wir hatten den Zusammenhang Plenum überschätzt, waren davon ausgegangen, daß, wenn der Konvoi im Plenum beschlossen ist, er in den Gruppen diskutiert wird und ,steht'. Das war nicht so.

Wir waren auch offensichtlich selbst unsicher, konnten uns nicht genau genug vorstellen, wie der Konvoi praktisch aussehen soll und wie wir mit der Blockade politischen Druck ausüben wollen. Unsere Unsicherheit hat dazu geführt, daß wir nicht breit für den Konvoi mobilisiert haben (auf dem Flugblatt zu Westberlin stand z.B. gerade noch der Treffpunkt, aber keine Uhrzeit und auch nicht, daß der Treff da ist, um einen Konvoi aufzustellen) und daß wir auf der Veranstaltung nicht darum gekämpft haben, daß unsere Idee und Vertrauen in die Planung durchsetzt.

Dazu kamen Infos vom letzten nationalen Treffen, auf dem aus vielen Städten berichtet worden war, wieviele Menschen bestimmt nicht im Konvoi fahren würden - und die Tatsache, daß unser Treffen mit anderen norddeutschen Gruppen erst sehr spät stattgefunden hat. Und es war schon auf der Veranstaltung ziemlich klar, daß die Demo verboten sein würde, was wohl bei vielen den Entschluß, sich allein nach Westberlin durchzuschlagen, noch bestärkt hat.

Südkonvoi

Etwa zehn Autos aus Hamburg schlossen sich dann dem Konvoi, der über Helmstedt fahren sollte, an. Insgesamt waren wir dort ca. 40 Autos - unsere Einschätzung, erst ab 50 Autos über Lauenburg fahren zu können, erwies sich gleich praktisch als falsch - mit 40 Autos (und auch weniger) wäre eine Blockade gut möglich gewesen.

Im Helmstedter Konvoi mangelte es an Planung. In Helmstedt schon fuhren wir zu dichtan die Grenze ran, hielten an einer Stelle, wo die Autobahn schon 4spurig war, eine Blockade wäre hier schlecht möglich gewesen. Wir schickten fünf Autos vor und wollten warten, bis die Kradmelder uns Bescheid zum Durchfahren oder zur Blockade geben würden. Nach den ersten Einschüchterungsversuchen der Bullen (wir hatten auf der rechten Fahrbahn geparkt) sie drohten, die Fahrer zu fotografieren und begannen bei den ersten Autos bereits mit der Feststellung der Personalien - fuhren wir einfach über die Grenze, ohne ein Zeichen der Kradmelder abzuwarten. Wir wurden nicht weiter kontrolliert.
In der DDR teilten uns Entgegenkommende mit, an der Grenze stünden drei Hundertschaften und würden uns erwarten. Daraufhin riefen wir in Westberlin an, um bei den Infobüros genauere Auskünfte zu erhalten, erhielten aber von den Menschen dort nur Auskünfte, mit denen wir nichts anfangen konnten. Wir baten sie, an der Grenze Öffentlichkeit herzustellen, d.h. Zeitungen etc. Bescheid zu geben. Wir waren dann in Bezug auf konkrete Infos über Bullen an der Grenze wieder auf Entgegenkommende angewiesen. Die nächsten sagten, an der Grenze stünden zwei Wannen, das sei normal. Wir bereiteten uns darauf vor, in Dreilinden wieder fünf Autos vorzuschicken und zu warten, was mit denen geschieht, hatten aber nicht klar, wo die restlichen Autos stehenbleiben sollten und wann und wie die Blockade anfangen sollte. Die Führung übernahmen Autos aus einer Stadt, die an den Vorbereitungen nicht teilgenommen hatte und also auch das, was an Planung da war, nicht blickten.

Jedenfalls fuhren wir in Dreilinden in die von den Bullen vorbereitete Falle. Die Bullen hatten sich auf einem Parkplatz aufgebaut, der rechts von den Grenzübergangshäusern war und der aus größerer Entfernung nicht einzusehen war, weil er von Bäumen umwachsen ist. Wir fuhren auf die Grenzhäuser zu und wurden nach rechts gewunken, auf den Parkplatz. Hier standen zu dem Zeitpunkt ca. 10 Wannen, was man auch sah, sobald man auf die Abzweigung zum Platz eingeboten war.

Die einzige Möglichkeit, hier eine Blockade zu machen, wäre gewesen, alle sechs Autospuren dichtzumachen. Wir ließen uns aber alle auf den Parkplatz einweisen, nur zwei Autos blieben stehen, wurden aber von den Bullen so massiv bedroht, daß sie, weil sie auch die einzigen blieben, weiterfuhren.

Unsere Fehler

Der Telefonkontakt zu Westberlin war für uns nicht hilfreich, weil der Genosse am Telefon nicht durchblickte bzw. keinen Bock hatte, uns Auskunft zu geben. Es standen aber Westberliner Genossen seit 15 Uhr in Dreilinden und hatten das Bullenaufgebot beobachtet, wußten auch, daß alle mit Helmen und Gasschutzbrillen im Auto verhaftet worden waren. Sie hatten das auch an die Infobüros weitergegeben. Daß uns nichts davon mitgeteilt wurde, ist ein Skandal. Wir hätten uns dann z.B. überlegen können, Helme und Brillen, die auch nur einige Genossen, die sie nicht vorher hatten nach Westberlin hatten schaffen können, dabei hatten, wegzutun.

Bei uns bestand offensichtlich Unklarheit darüber, wie es in Dreilinden aussieht, wo man sich da genau hinstellt für eine Blockade. Es war auch direkter Kontakt zu Berlinern an der Grenze organisiert, was wir gar nicht berücksichtigt haben. Als erstes im Konvoi fuhren Genossen, die nicht genau durchblickten, das geht nicht.

Die Kritik an uns Hamburgern ist, daß wir, nachdem wir den Nordkonvoi aufgegeben hatten, die Verantwortung für den Konvoi insgesamt den Organisatoren des Helmstedter Konvoi überlassen haben, ohne uns davon zu überzeugen, wie die Planung ist und ob wir noch was dazu tun können.

In Dreilinden wurden insgesamt 73 Genossen/innen nach dem ASOG festgenommen, die z.T. auch erst nach 48 Stunden, nach der Demo also, wieder freigelassen wurden. Wichtig dabei ist, daß die Bullen bei den Festnahmen nicht nach einer Störerdatei vorgegangen sind, sondern die Leute wegen passiver Bewaffnung (Helme, Brillen) mitgenommen haben.

Am Abend wollten wir uns eigentlich nochmal alle tref-fen, um die letzten Infos zu bekommen. Das war unmöglich. Die Stadt war schon jetzt voller Bullen, viele Häuser hatten sich entschlossen, die Nacht anderwerts zu verbringen, das Fest auf dem Winterfeldplatz, das eigentlich als Treffpunkt gedacht war, wurde punkt zehn von den Bul-len mit Wasserwerfern und Tränengas aufgelöst. Trotzdem haben wir es geschafft, alle Hamburger Genossen mit den nötigen Infos zu versorgen.

Erlebnisbericht Dreilinden

Nachdem wir, mehr oder weniger erfolgreich, die Grenze BRD/DDR passiert hatten, trafen wir uns in der DDR an einer Raststätte wieder. Dort hörten wir, daß die Bullen uns am Grenzübergang Dreilinden schon massiv erwartet würden. Die Konfusion zwischen uns - obwohl diese Nachricht voraussehbar gewesen wäre - war groß und die Debatte um die Frage "Was ist zu tun" entsprechend lahm und entschlußlos.

Abgesprochen wurde dann, daß 5 Autos die Grenze passieren sollten, um nachzuschauen, ob die Luft rein ist, der Rest des Konvois sollte warten und gegebenenfalls der Grenzübergang, noch vor den Bullen, blockieren. Das war der Plan. Aus ihm wurde aber nichts. Nacheinander, schön aufgereiht im Konvoi und die Bullen vor Augen fuhren wir in die Falle. Keiner hielt an, keiner tat was Auch wir in unserem Auto waren nicht mehr fähig, uns rechtzeitig zu entscheiden anzuhalten, alles ging sehr schnell, ich war hauptsächlich nur erschrocken, und die Klarheit über unsere Möglichkeiten, den Schweinen eine Grenzblockade politisch entgegenzusetzen, war nicht da. So fuhr dann einer nach dem anderen auf die Bullen zu und ließ sich von ihnen auf einen Parkplatz einwinken.

Da standen wir nun. Bei mir machte sich ein Gefühl breit das sich dann im Laufe der Zeit auch noch verstärkte, absolut nichts tun zu können, dem Schicksal ausgeliefert und machtlos zu sein. Links, vorne und hinter uns die Bullen, rechts eine steile Böschung, die Grenze etwas weiter weg und somit noch nicht einmal Öffentlichkeit. Die Bullen - dachte ich mir - konnten also innerhalb ihrer politischen Möglichkeiten mit uns machen, was sie wollten. Wo diese politische Grenze lag - nachdem wir als anreisende "legale RAF" aufgebaut worden waren -, war mir unklar eine Einschätzung unserer Lage fast unmöglich.

So war es dann ein Warten und Beobachten der Initiative die die Bullen ergriffen. Sie hatten den Befehl, alle Wagen nach "passiver Bewaffnung" zu durchsuchen. "Passive Bewaffnung", das war unser Schutz: Gasbrillen, Helme Sturmhauben, technische Mittel, um unseren Widerstand durchführen zu können. Mit diesen "Waffen" in der Hand suchten sie wohl einen realen Vorwand, möglichst viel Leute festzusetzen.

Ein Wagen nach dem anderen wurde durchsucht; in Arbeitsteilung zuerst von den Bullen und dann nochmal gründlicher vom Zoll. Uns blieb außer verbalem Protest und dem Versuch, noch einige Sachen (die Helme usw.) zu verstecken, nichts anderes, als die pigs machen zu lassen. Einige von uns standen abseits, guckten sich die Szenerie schweigend an, andere versuchten Autos zu schützen, und die Helme noch vor der Durchsuchung raus zu schaffen. An einem Wagen gelang das auch. Aber auch dies eine Niederlage, die Brillen, Helme etc. jetzt schon auf dem Straßenpflaster zu präsentieren.

Mir war inzwischen so ziemlich alles egal, bloß so schnell wie möglich hier weg, daß die andauernden Festnahme aufhören, daß wir uns wieder bewegen können. Die Bullen nahmen so viele Leute mit, wie sie nur konnten, aber daß sie mich mitnehmen würden, daran dachte ich nicht.

Um den Verhaftungen ein Ende zu setzen, wollten wir mit den Bullen verhandeln. Wir geben alles raus, was wir dabeihatten, und die pigs hören dafür auf, jeden, dem eine Brille/Helm zugeordnet wurde, festzunehmen.
Dafür wurde ein Typ bestimmt, das auszuhandeln, der wurde erstmal festgenommen, später zwar freigelassen aber ausrichten konnte er auch nichts. Die Bullen - wie sich später rausstellte , gedrillte Kerle aus Kreuzberg, versuchten ständig, uns durch provokatorische Machtdemonstrationen den letzten Funken Mut zu nehmen. Sie prügelten in die Leute rein, schrieen rum, nahmen welche fest ... Schließlich kreisten sie uns vollständig ein und bildeten eine Kette zwischen uns und unseren PKWS. Von denen waren wir inzwischen weggegangen, damit sie nicht mehr feststellen konnten, wer zu welchem Wagen und den darin gefundenen Sachen gehörte bzw. damit niemand da war, der den PKW aufschließen konnte.

Wir waren also jetzt umzingelt. Das Gefühl, wenn Reagan kommt, ist das unser Tag, da drehen wir die Propaganda gegen sie, war verpufft. Und dabei die Gewißheit, eine riesengroße Dummheit begangen zu haben, für die jetzt viele zumindest einen Tag, in den Knast gehen.

Die Autos sollten ein zweites Mal kontrolliert werden. Die Bullen wußten wohl nicht so recht, wen sie schon durchsucht hatten und wen nicht. Wir weigerten uns aber. Es sollten nicht noch mehr von uns abgegriffen werden.

Die Schweine fingen nun an, sich einfach Leute rauszuholen, sie zu durchsuchen und festzustellen, zu welchem Auto sie gehörten. Wir sollten jetzt nämlich vom Grenzpunkt verschwinden. Anscheinend dauerte ihnen ihre Prozedur zu lange, sie drohten an, Wagen abzuschleppen. Irgendeiner dieser Kreuzberger Kerle schnappte mich dann, meinte, ich sollte nicht so zappeln, er wolle mir ja nichts tun (wie lächerlich!), durchsuchte mich und fand auch was.

Den Rest des Ablaufs bekam ich dann nur noch durchs Transportwagenfenster mit. Es wurden noch sehr viele festgenommen, insgesamt waren es über 70. Die restlichen wurden einzeln zu ihren Autos gelassen und durften falls bei ihnen nichts gefunden wurde - abfahren. Der Platz leerte sich allmählich.

Hauptsächlich ärgerte ich mich, am nächsten Tag nicht bei der Demo sein zu können, und überlegte mir, was die anderen wohl machen. Eine, die ich kannte, wurde dann in unseren Transporter gesteckt. Wir grinsten uns an, sagten na, und da war's schon nicht mehr so schlimm. Am nächsten Tag, als ich dann doch unerwarteterweise auf dem Nolli stand, da war dann auch das Gefühl der Machtlosigkeit verschwunden. Wir handelten.

siehe auch:    Häuserkampf - Chronologie   /   Chronologie 1982 nach oben