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Verfassungsschutz Berlin über Autonome
entnommen dem VS Bericht Berlin 2002 (Seite 168 bis 171)
Autonome
Ideologie: linksextremistisch;kommunistische und anarchistische
Versatzstücke
Entstehung/Gründung: ab 1980
Mitgliederzahl: 5 000 bundesweit (2001:6 000) 1 040 in Berlin
(2001:1 200)
Berlin bildet einen regionalen Schwerpunkt der autonomen Szene
in Deutschland.
Der Einsatz von befreiender Gewalt sowohl gegen Menschen als auch
gegen Objekte als politisches Mittel gegen die strukturelle Gewalt
der Gesellschaft und des Staates, (221 )stellt für die autonome Szene ein
unverzichtbares Element ihrer revolutionären Politik dar. (222) Während sie ihren
unversöhnlichen Hass auf das politische und gesellschaftliche
System durch gezielte militante, bisweilen terroristische Aktionen
zum Ausdruck bringt, lehnt sie zugleich das staatliche
Gewaltmonopol kategorisch ab. Ihre Aktionsfelder beziehen sich auf
Themen, die in hohem Maße polarisieren: Faschismus,
Imperialismus, Kapitalismus, Militarismus, Rassismus, Sexismus
seien wesentliche Bestandteile des herrschenden politischen
Systems,das es abzuschaffen gelte. Dem zufolge diffamieren sie den
Verfassungsstaat,lehnen das parlamentarische System ab und
vertreten Versatzstücke kommunistischen und anarchistischen
Gedankenguts.Das Ziel besteht darin,eine unterdrückungsfreie
Gesellschaftsordnung zu erkämpfen.In Selbstbezichtigungen zu
Anschlägen versuchen sie, ihre antifaschistischen,
antikapitalistischen, antimilitaristischen , antiimperialistischen,
antirassistischen und antisexistischen Aktionen der
Öffentlichkeit zu ermitteln.Die Auseinandersetzung mit diesen
Themen erläuft dabei nicht in geraden Linien: Zum einen ist
eine geschlossene theoretische Fundierung ielen Anhängern
verdächtig, da sie ihrem Anspruch,autonom zu
leben,widerspricht.Zum anderen suchen sie, Protestbewegungen zu
instrumentalisieren,um über sie mit unterschiedlichem Erfolg
ihre Ideologie zu vermitteln.Letzteres erfordert, diese
Protestbewegungen zunächst dort abzuholen, wo sie stehen, um
dieses Potenzial in Richtung der autonomen Inhalte zu bewegen.
Die Anfänge der autonomen Szene reichen zurück bis zum
Beginn der 80er Jahre. Aus Kreisen weder organisationsgebundener
noch im traditionellen Sinne ideologisch festgelegter,so genannter
undogmatischer Linksextremisten,erschienen damals Thesen und
Diskussionspapiere, deren Verfasser sich als autonom bezeichneten.
Sie sprachen von einer neuen autonomen Protestbewegung, die den
Koloss Staat mit dezentralen Aktionen,mit Phantasie und
Flexibilität, mit vielfältigen Widerstandsformen auf
allen Ebenen angreifen müsse. Es gelte, den bürgerlichen
Staat zu zerschlagen.
Als Altautonome werden jene bezeichnet, die sich der autonomen
Szene seit deren Entstehung (223)
bis Mitte der 80er Jahre anschlossen. Sie suchten die Vernetzung
mit Hausbesetzern und bürgerlichen Protestbewegungen wie AKW-
Kritikern, Startbahn-West-Gegnern und der Friedensbewegung .(224) In ihrer Selbstsicht verstehen
sie sich als gesellschaftliche Avantgarde. (225)
"Unser Problem besteht vielmehr darin, es mit einer
Bevölkerung zu tun zu haben, die zum überwiegend
großen Teil mit den hier herrschenden Verhältnissen
identifiziert ist,und zwar unabhängig davon, inwieweit diese
ihr zum Vorteil gereichen oder nicht."
Sie gehören einem zahlenmäßig
kleinen,ideologisch gefestigten und besonders theoretisch
fundierten Kreis mit engen persönlichen Verbindungen an, der
über szeneinterne Autorität erfügt und vorwiegend
klandestin,abseits om Tagesgeschehen operiert.
Von diesen Autonomen der ersten Generation sind jene zu
unterscheiden,die ebenfalls stark motiviert sind,allerdings erst ab
den späten 80er Jahren zur Szene stießen .Sie bilden
gegenwärtig den harten Kern,sind federführend bei der
Organisation von Veranstaltungen, Protestaktionen und
Anschlägen, sind ideologisch gefestigt, verfügen jedoch
nur selten über ein ähnlich theoretisch fundiertes
Wissen. (226)
Aufgrund ihrer aktionistisch ausgerichteten Vorgehensweise
binden und rekrutieren sie Autonome der jungen Generation. Deren
Mitglieder fluktuieren stark, sind zumeist im Ausbildungsalter und
haben meist lediglich vage linksextremistische Vorstellungen. (227) Sie haben ein hohes
Aggressionspotenzial, das sich ein Ventil im Hass auf das
politische und gesellschaftliche System sucht.
Verbindendes Element zwischen den Generationen der Autonomen ist
die in Teilen hasserfüllte Ablehnung der bestehenden
staatlichen Ordnung.Im Unterschied zu den Altautonomen und denen
der zweiten Generation erfügen die Jugendlichen jedoch zumeist
nicht über konkrete politische Vorstellungen, wie eine
Gesellschaftsordnung nach der beabsichtigten Zerschlagung des
bestehenden demokratischen Verfassungsstaates aussehen soll.Dieses
jugendliche Mobilisierungspotenzial instrumentalisiert die in ihrer
Weltanschauung gefestigten Autonomen zur Umsetzung ihrer Aktionen.
(228)
Seit Beginn der 90er Jahre erstärkte sich aufgrund einer
wachsenden Kritik an der Unverbindlichkeit autonomer Strukturen die
Tendenz, auch innerhalb des autonomen Lagers Organisierungsmodelle
zu erproben,um zu einer dauerhaften Umsetzung von Theorie in Praxis
zu gelangen. Insbesondere im Bereich des Antifaschismus (AAB)
wurden Vorstöße unternommen, die allerdings nur einen
Teil der Szene erfassten und sich als nicht beständig
erwiesen. Die Autonomen sind zunehmend zerstritten. Individuelle
und gruppenegoistische Interessen beeinträchtigten sie in
ihrer Handlungsfähigkeit. Die früher feststellbare
Kiezbezogenheit sowie die hohe Mobilisierungskraft der 80er Jahre
ging weitgehend verloren. (229)
Wenn auch das empirische Wissen zur autonomen Szene gering
ist,lassen sich doch einige Feststellungen treffen: Die
Angehörigen der autonomen Szene, deren Alter in der Regel
zwischen dem 16.und 28.Lebensjahr liegt,wobei ein Anstieg des
Eintrittsalters feststellbar ist, sind zumeist deutsche
Staatsbürger in Teilen aus bürgerlichen
Elternhäusern. (230) Zu einem
hohen Prozentsatz befinden sie sich in Ausbildung oder
Studium,teils sind sie ohne festes Einkommen. Als Gründe
für die hohe Fluktuation innerhalb der autonomen Szene werden
von ehemaligen Angehörigen angegeben: die selbstgewählte
gesellschaftliche Isolation, die Auseinandersetzungen mit
Altautonomen, zwischen Frauen und Männern sowie ständige
ergebnislose Diskussionen. (231)
Gegenwärtig kann der Zulauf zu autonomen Strukturen deren
Mitgliederverluste nicht mehr ausgleichen.
Anmerkungen:
221 vgl. Fridolin, wo
ist Behle ? (Es handelt sich um ein unter Pseudonym geschriebenes
Papier, das sich mit strategischen Fragen, auch dem Einsatz von
Gewalt, auseinandersetzt und im März 1998 im
Interim-Sonderheft " Bewegung-Militanz-Kampagne "
veröffentlicht wurde.)
222 Die Bandbreite an
Aktionsformen reicht von Demonstrationen, Informations- bzw.
Diskussionsveranstaltungen, Vorträgen, Ausstellungen, der
Herausgabe von Steckbriefen über politische Gegner,
Flugblättern und Broschüren über Störaktionen,
Blockaden, Brandanschläge und andere Sachbeschädigungen
bis hin zu Überfällen auf tatsächliche oder
vermeintliche Rechtsextremisten, wobei im Extremfall der Tod des
Opfers billigend in Kauf genommen wird.
223 Die öffentliche
Rekrutenvereidigung in Bremen am 6.Mai 1980, die zu schweren
Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten
führte, gilt als Geburtsstunde der autonomen Szene in
Deutschland. Die Gewaltwelle der Jahre 1980/81 blieb bisher der
quantitative Höhepunkt dieser Szene. Vgl.
Verfassungsschutzbericht Berlin 199, S.14 ff.
224 Bürgerinitiativen,
die sich den benannten Bereichen engagiert haben, sind nicht
Gegenstand der Beobachtung des Verfassungsschutzes. Jedoch haben
Vertreter des autonomen Spektrums häufig versucht,
Protestbewegungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Dies
gelang in unterschiedlicher Intensität und mit wechselnder
Nachhaltigkeit.
225 Fridolin, wo ist Behle?:
, S.24 (Internet-Ausgabe)
226 vgl. "Interim", Nr. 475
vom 22. April 1999: Die Ästhetik des Widerstands: "Soziale
Bewegungen und als ein Teil davon die Autonomen waren ein
ernstzunehmender Faktor der Gesellschaft. Dies hat sich seit Ende
der 80er Jahre geändert. Wenn man nur noch eine x-beliebige
Subkultur in einer beliebigen Gesellschaft ist, hat das keine
Sprengkraft mehr.", S.26 ff.
227 vgl. Matthias Mletzko,
Merkmale politisch motivierter Gewalttaten von militanten autonomen
Gruppen: "Die schwammige Vorstellung einer
unterdrückungsfreien Gesellschaftsordnung erschöpft sich
meistens in Forderungen nach ‚grundsätzlicher Gleichheit
der Menschen, nach Selbstbestimmung und menschenwürdigen
Lebensbedingungen’.", S. 12
228 siehe auch S. 38 ff.
229 vgl. "Interim", Nr. 475
vom 22. April 1999: Die Ästhetik des Widerstands: "[..] dass
die bisherigen politischen Konzepte der Autonomen in dieser
veränderten Welt seit Jahren nicht mehr greifen, streitet doch
heute kaum noch jemand ab.", S. 26 ff.
230 Helmut Willems betont
die heterogene sozio-demografische Struktur militant Autonomer. S.
ders., Jugendunruhen und Protestbewegungen, opladen 1997, S.
455-459
231 Vgl. Hugo Häberle,
sechs Anmerkungen zum Autonomie-Kongress, in: Interim 329 vom 27.
April 1995, S. 3: "Fertig macht mich, wenn alle paar Jahre das Rad
neu erfunden werden muss [ wegen Brüchen in der
Diskussionskontinuität durch hohe Fluktuation]. Da wird
über die Fragen von Internationalismus und nationale
Befreiungsbewegungen geredet [...], da wird über die
Widersprüche zwischen Mann und Frau diskutiert, als wäre
es die neueste Erkenntnis. Wieso sind wir nicht in der Lage, unsere
Erfahrungen und erarbeiteten Positionen so weiterzugeben, dass sie
eine Grundlage bilden, auf der weiterdiskutiert wird?"
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