Telepolis ,14.8 2003
Episoden einer Bewegung
Ein kombiniertes Buch- und Internetprojekt eines
Autorenkollektivs versucht die Geschichte der autonomen Bewegung
darzustellen
Vor 20 Jahren waren die Autonomen mit
ihren Sturmhauben ein Schreckgespenst in den Medien und den
Verfassungsschutzämtern. Heute ist es um diese Bewegung
hingegen ruhig geworden. Auch die Verfassungsschutzämter geben
Entwarnung. Selbst bei den traditionellen Kreuzberger Maikrawallen
seien [1] nicht die
gefürchteten Berliner Autonomen, sondern hauptsächlich
unpolitische Jugendgangs beteiligt.
Fast schien es so, als seien die Autonomen ausgestorben. Doch da
melden sich in einem Buch- und
Internetprojekt [2] fünf autonome Protagonisten
unter dem Pseudonym A.G. Grauwacke zu Wort, die 23 Jahre der
autonomen Bewegung episodenreich erzählen. Die Autoren legen
Wert auf die Feststellung, auch in Zukunft weiter Teil der
autonomen Bewegung zu sein. Wer das Buch studiert, wird es gerne
glauben. Denn dort haben sie wesentliche autonome Grundsätze
umgesetzt, beispielsweise die ganz und gar subjektivistische
Geschichtsaufarbeitung.
Die 5 Protagonisten beschreiben Stationen ihrer politischen
Sozialisation, wie die Hausbesetzer-, die Anti-AKW- oder
Startbahnbewegung oder die monatelang vorbereitete Kampagne gegen
den IWF-Gipfel 1988 in Westberlin. Die dokumentierten
Diskussionspapiere und politischen Statements der einzelnen
Kampagnen machen das Buch zu einem einzigartigen Nachschlagewerk.
Schließlich sind die Papiere in der Regel nur in wenigen
Archiven ehemaliger autonomer Hochburgen wie Berlin, Hamburg und
Göttingen öffentlich einsehbar.
"Aus den ersten 23 Jahren" heißt der Untertitel des
Buches. Damit wollen die Autoren einerseits deutlich machen, dass
die Autonomen für sie kein abgeschlossenes Kapitel sind.
Andererseits ist natürlich die Zahl ziemlich willkürlich
gewählt. Sicherlich hat die Hausbesetzerbewegung im Jahr 1980
viel zur medialen Wahrnehmung der Autonomen beigetragen. Doch kam
der Begriff "die Autonomen" schon Ende der 70er Jahre in der
Anti-AKW-Bewegung auf. Vorläufer war unter anderem die Spontibewegung der frühen 70er
Jahre [3], in der etwa auch unser heutiger
Bundesaußenminister politisch sozialisiert wurde.
Sicher wäre es interessant gewesen zu erfahren, was die
Noch-Autonomen zu einer solchen Karriere zu sagen haben. Nur im
Konjunktiv formulierte dagegen einer der Autoren:
Alle autonomen Politmanagerinnen
hätten auch in der "normalen Welt" Karriere gemacht, wenn sie
es denn gewollt hätten. Sie sind in der Lage, teamfähig
zu arbeiten, Diskussionen zusammenzufassen, Konzepte für alles
Mögliche zu entwerfen, andere zu motivieren und zu
überzeugen. Sie sind innovations- und
improvisationsfähig, flexibel, mobil.... |
Nicht zufällig gehören viele diese Adjektive zu den
Schlüsselbegriffen der postfordistischen Arbeits- und
Lebenswelt. Die Autonomen haben diese Flexibilität auch im
Arbeitsleben schon ihrer Bewegungszeit vorgelebt und später -
wie die Mehrheit der Autoren - in der Neuen Ökonomie ihr
Auskommen gefunden.
Dass die Autonomen aller Vorurteile zum Trotz nie Feinde
moderner Technik waren, zeigt das Buch ebenfalls. Zahlreiche der in
den Kapiteln erwähnten Dokumente und Quellen sind im Internet [5] zu finden. Auch die
Debatte über das Buch wird dort recht lebhaft
geführt.
Ein Kritik drängt sich geradezu auf. Die fünf Autoren
sind sämtlich männlich. Wie können sie beanspruchen,
eine Bewegung zu beschreiben, die sich zeitweise den Kampf gegen
das Patriarchat geradezu dogmatisch auf die Fahnen geschrieben hat?
"Wir sind alles Männer und haben uns schwer getan mit der
Darstellung des Geschlechterkonflikts." Diese lapidare
Erklärung würde heute wahrscheinlich selbst bei
Gewerkschaftskongressen nicht mehr ohne Proteste akzeptiert. Aber,
wie es der Zufall will, auch die autonomen Frauen haben einen Teil
ihrer politischen Geschichte veröffentlicht. Der Film Die Ritterinnen [6], der die
Gründung und Auflösung einer autonomen
Frauen-Wohngemeinschaft in Westberlin Ende der 80er Jahre aus der
Binnensicht der damaligen Protagonistinnen zum Thema hat, kommt
Ende August in die Kinos. Sowohl dem Buch als auch dem Film ist
erfreulicherweise eines gemein: in beiden steckt eine gehörige
Portion Humor und Selbstironie.
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A.G. Grauwacke: Aus den ersten 23 Jahren. Autonome
in Bewegung. Berlin 2003. Verlag AssoziationA. 408 Seiten. 20
Euro. |
von Peter Nowak
Copyright by Heise Verlag
Links
[1]
http://www.berlin.de/SenInn/Verfassungsschutz/Publikationen/jb_akt.html
[2] http://autox.nadir.org/index.html
[3] http://www.free.de/dada/dada-p/P0000891.HTM
[4] http://www.umbruch-bildarchiv.de/willkomm1.html
[5] http://autox.nadir.org/
[6] http://www.programmkino.de/QRST/Ritterinnen/ritterinnen.html
Original-URL: Episoden einer Bewegung (externer Link )
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