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SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2003
Buch: A.G.Grauwacke: Autonome in Bewegung. Aus den
ersten 23 Jahren, Berlin: Assoziation A, 2003, 300 S., 20 Euro
Film: Die Ritterinnen, BRD 2003, Regie: Barbara Teufel
In diesem Jahr erschienen ein Buch und ein Film über eine
linksradikale Bewegung, die wie keine andere von den
bürgerlichen Medien diffamiert und dämonisiert wurde: die
Autonomen. Es handelt sich um Selbstbildnisse, beide aus Berlin,
einmal aus weiblicher und einmal aus männlicher Sicht. Beide
Darstellungen sind streng subjektiv, aus der Sicht derer, die dabei
waren. Bei einer Bewegung, von der große Teile zum Teil bis
heute die Politik der ersten Person propagieren, ist dies eine
konsequente Herangehensweise.
Das Buch wurde von fünf Männern verfasst, die sich den
Kollektivnamen A.G.Grauwacke zugelegt haben. Am Anfang des Buches
wird erklärt, dass Grauwacke eine Gesteinsart ist, aus der
Pflastersteine hergestellt werden. Schon im Autorenkollektivnamen
also eine (ironische?) Anspielung auf eines der vielen Klischees
über Autonome.
Der Film heißt Die Ritterinnen, da sich die
Kollektivheldin des Films — eine WG autonomer Frauen (oder
FrauenLesben, wie es im Szenedeutsch heißt) — in der
Kreuzberger Ritterstraße oder (laut Verleih, siehe
www.neuevisionen.de) im Ritterhof, einer ehemaligen Fabrik in
Kreuzberg, befindet. Die Regisseurin hat in den 80er Jahren selber
in einer solchen WG gewohnt. Auch dieser Titel ist eine Anspielung
auf eine autonome Besonderheit. Es gibt keine autonome Partei oder
Organisation, auch autonome Kleingruppen haben zumindest in der
Hoch-Zeit der Bewegung in den 80ern selten feste Namen. Stattdessen
spielen die Orte — besetzte Häuser, WGs, Zentren,
Szene-Kneipen etc. — eine zentrale Rolle. Die Plätze
also, wo sich die Bewegung ihre Freiräume erkämpft zu
haben glaubt.
Eine wichtige Rolle spielen sowohl im Buch als im Film die
Proteste gegen die IWF-Tagung in Westberlin im September 1988.
Diese Kampagne bezeichnet nach der Hausbesetzerbewegung am Anfang
der 80er Jahre den zweiten Höhepunkt der autonomen Bewegung.
Außerdem wirkt sie wie eine Vorwegnahme der heutigen Proteste
gegen die kapitalistische Globalisierung.
Ein bemerkenswertes Phänomen dieser Kampagne war die
Trennung des autonomen Vorbereitungsplenums in ein Männer- und
ein Frauenplenum. Die Frauen traten aus, weil sie die zentrale
Rolle des Patriarchats in Kapitalismus und Imperialismus von den
Männern nicht genug erkannt glaubten. Zum ersten Mal gab es in
einer linksradikalen Kampagne eine eigene Frauenorganisation mit
einem antipatriarchalischen und feministischen Schwerpunkt. Hier
waren die autonomen Frauen Vorreiterinnen im Abbau von zähem
Denken in Haupt- und Nebenwidersprüchen, das auch in
libertären Zusammenhängen verbreitet ist. Für die
Macherin des Films war das das zentrale Ereignis dieser Kampagne
und das Frauenplenum der Hauptaktivposten bei den Protesten.
Das sehen die Grauwacke-Männer anders. Sie schildern zwar
die Spaltung, haben aber offensichtlich immer noch Schwierigkeiten
damit, dass sie bei dieser Gelegenheit von den Frauen in die Rolle
der Unterdrücker gedrängt wurden. Das kommt auch in dem
Kapitel »Was man zum Patriarchat zu sagen hat« zum
Ausdruck. Im Gegensatz zu allen anderen Kapiteln konnten sich die
fünf hier auf keinen gemeinsamen Text einigen und geben
stattdessen fünf Einzelstatements ab.
>Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass es sowohl im Buch als
auch im Film sowohl durchgehende Erzählung als auch
Dokumentation gibt. Im Film gibt es eine Spielhandlung, in der
Schauspielerinnen (und Schauspieler) die Ereignisse in der und um
die Ritterinnen-WG nachspielen. Desweiteren werden Frauen (und
Männer) interviewt, mit denen die Regisseurin damals zusammen
gelebt und gekämpft hat. Auch im Buch gibt es einen
Fließtext, der sehr subjektiv die Geschichte der (Berliner)
Autonomen erzählt und grau unterlegte Texte, in denen
Flugblatttexte, Erinnerungen an besondere Ereignisse u.ä.
abgedruckt werden. Die DarstellerInnen im Film agieren manchmal
etwas hölzern und die Dialoge kommen manchmal zu phrasenhaft
daher. Trotzdem vermittelt der Film einige Wahrheiten über
»die Szene«. Wer jemals auf einem linksradikalen Plenum
war, wird im Film das eine oder andere
Déjà-vu-Erlebnis haben. Viel spannender sind aber die
Interviews mit den damaligen Aktivistinnen (und Aktivisten). Vor
allem ihre ebenso selbstkritischen wie selbstbewussten Reflexionen
sind sehr wohltuend.
Der darstellende Text im Buch ist ein gutes Beispiel für
leicht lesbare Geschichtsschreibung. Aufgrund der gewollten
Subjektivität kann er zwar keinen wissenschaftlichen Anspruch
erheben, er ist aber ein interessanter Quellentext. Auch im Buch
zeichnen sich die Reflexionen durch jene angenehme Mischung von
Selbstkritik und Selbstbewusstsein aus. Weder im Film noch im Buch
gibt es jemanden, die es bedauern würde, linksradikal aktiv
(gewesen) zu sein. Vielleicht könnte hier so manche ehemalige
Aktivistin der hochgejubelten 68er-Bewegung, die heute ihren Arsch
auf Minister- oder anderen wichtigen Sesseln wärmt, etwas von
der linksradikalen Generation X der 80er Jahre lernen.
Die Regisseurin des Films und ihre früheren
MitstreiterInnen sind heute nicht mehr politisch aktiv, sie haben
aber auch keine bürgerliche Karriere gemacht. Sie haben ihre
künstlerische oder sonstige Nische gefunden. Die fünf
Männer von Grauwacke sind allesamt noch aktiv, als
»Altautonome« versuchen sie in einer Szene zurecht zu
kommen, die auch heute noch stark von Jugendlichen und jungen
Erwachsenen geprägt ist.
Den unterschiedlichen Möglichkeiten der verschiedenen
Medien und den unterschiedlichen Biografien ist es geschuldet, dass
das Buch umfassender ist als der Film. Es behandelt einen Zeitraum
von den Anfängen der Autonomen 1979/80 bis zu den Protesten
gegen die kapitalistische Globalisierung in jüngster Zeit.
Dabei kommen auch linke Netzwerke wie Peoples‘ Global Action
(PGA) in den Blick, die in der BRD neben dem mehrheitlich
reformerischen Netzwerk Attac nicht so bedeutsam sind. Aber auch
Attac wird von den Autoren eher als Chance für eine linke
Erneuerung gesehen denn als »reformistischer« Gegner.
In dem sehr lesenswerten Kapitel »Zeit der Verwirrung«
werden die zu Unrecht so genannten »Antideutschen« und
andere (pseudo-)linke Verirrungen der 90er Jahre und des
beginnenden 21.Jahrhunderts zutreffend kritisiert.
Der Film hat seinen Schwerpunkt auf der Zeit von 1987 bis 1990.
Das hängt damit zusammen, dass in einem Film die Konzentration
der Handlung auf einen überschaubaren Zeitraum dramaturgisch
von Vorteil ist. Desweiteren endete Anfang der 90er die politische
Aktivität der Protagonistinnen. So wird im Film kein Bogen zu
heutigen Bewegungen geschlagen. Er bekommt dadurch einen
melancholischen Touch. Irgendwie war die wilde radikale Zeit
schön, aber sie ist vorbei. A.G.Grauwacke ist da
optimistischer: Radikale Politik ist heute nötiger den je und
es gibt immer noch genug Leute, Junge und Alte, Männer und
Frauen, die sie machen.
Allen Autonomen, die über sich selbst und ihre Politik
nachdenken wollen und allen aufgeschlossenen Menschen, die jenseits
gängiger Klischees und Vorurteile etwas über die
Autonomen erfahren möchten, seien sowohl Film als auch Buch
empfohlen. Denn es wird in beiden trotz aller Subjektivität
kein Helden- und Heldinnenepos gedichtet, sondern es wird
(selbst-)kritisch und differenziert erzählt. Der Untertitel
des Buches heißt: »Aus den ersten 23 Jahren«. Wir
dürfen auf die nächsten 23 Jahre gespannt sein.
Andreas Bodden
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