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Letzter Stand der Militanzdebatte

Schlusskapitel aus dem in "Kriminalistik 8-9/01" erschienenen Aufsatz: Gewaltdiskurse und Gewalthandeln militanter Szenen Teil 1
- Unterschiede am Beispiel Antifa und Anti-Antifa dargestellt / Von Matthias Mletzko

Ihren letzten Auftrieb bekam die Militanzdebatte wieder seit Winter 1999/2000. Auslöser waren am 19. 12. 1999 durchgeführte Durchsuchungen und Festnahmen anlässlich ungeklärter Sprengstoff-und Schusswaffenan-schläge der Revolutionären Zellen (RZ) . Da das Gebaren der RZ mit der Betonung von Bewegungsnähe , Zielgenauigkeit und Vermittelbarkeit militanter Aktionen schon immer vielen autonomen Gruppen als Leitbild diente,kam es nicht nur zu Solidaritätsbekundungen mit den Inhaftierten, sondern auch zu Versuchen, das RZ-Aktionsrepertoire hinsichtlich eigener Handlungsoptionen neu zu bewerten. Dies verlief bislang äußerst ambivalent wie auch schon zuvor bei kontroversen Diskussionen um das Offenhalten der Option des bewaffneten Kampfes (siehe Mletzko 1999: 98 101). Autonome Aktivisten sahen die RZ-Anschläge nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Knieschussanschläge 1986/87 voller Widersprüche ( Interim vom 13. 1. 2000: 15), warnten vor unkritischem und unreflektierten Bezug auf die RZ (ebd. 27. 1. 2000: 11) oder erneuter Mythologisierung der RZ (ebd. 24. 2. 2000: 7).

Politischer Mord und auch Knieschußanschläge zum gegenwärtigen Zeitpunkt wurden überwiegend abgelehnt. Dieses letzte Mittel könne allenfalls bei einer Verschärfung der gesellschaftlichen Verhältnisse (wie z.B. Diktatur oder Faschismus) Anwendung finden, um weiteres Verbrechen zu verhindern ( Interim Sonderausgabe Runder Tisch der Militanten vom 30. 3. 2000: 8-9). Ein sich Egon Enzian nennender Aktivist, der sich seit etwa zwanzig Jahren praktisch und theoretisch mit klandestiner Organisierung befasst haben will, hob in einer längeren Abhandlung hervor, dass die Frage nach Leben und Unversehrtheit von Menschen Grund genug gewesen sei, auf absehbare Zeit auf den Einsatz militärischer Mittel zu verzichten. Die RZ-Knieschüsse seien ein Fehler gewesen, weil hiermit einseitig eskaliert worden sei ohne sagen zu können, in welchem Verhältnis die Aktionsform zur politischen Situation gestanden habe ( Interim vom 29. 6. 2000: 19). Einige Aktivisten sehen aber verschärfte und großverbrecherische Verhältnisse schon jetzt gegeben und liebäugeln im Rahmen theoretischer Gedankenspiele wieder mit Antifa-Guerilla -Aktionen ( Interim Sonderausgabe Runder Tisch der Militanten vom 30. 3. 2000: 22-23). Andere Aktivisten weichen an diesem Punkt einer rigorosen Diskussion einfach aus.

Insofern ragen innerhalb dieses Diskussionsstranges die Verlautbarungen einiger konspirativ agierender Kleingruppen heraus, die im Unterschied zur Mehrheit autonomer Gruppen in jüngerer Zeit personenbezogene Anschläge als aktuelle Handlungsoption thematisieren. So hieß es im Bekennerschreiben einer militanten Gruppe zu einem Brandanschlag auf eine Berliner BGS-Wache am 9. 6. 1999, es müsse einem militanten Antirassismus darum gehen, den BGS materiell und personell zu attackieren ( Interim vom 17. 6. 1999: 14). Die Bekennung einer Gruppe militante Zelle zu einem Brandanschlag auf eine Berliner BGS-Inspektion vom 16.1.2000 enthielt einen Absatz, in dem unter Bezug auf die RZ-Knieschussanschläge bewusst nicht als politische Liquidation konzipierte Körperverletzungen von in der Öffentlichkeit unbekannten Technokraten als politisch sinnvoll dargestellt wurden (Interim vom 27. 1. 2000: 18). Auch die seit 1997 mit einer Serie von Anschlägen, fester Namensgebung ( Markenzeichen ) und teilweise rabiatem Sprachstil in Erscheinung getretene Berliner Gruppe autonome Miliz hielt in einer Bekennung zu einem antirassistisch begründeten Brandanschlag vom 28. 4. 2000 Knieschüsse o. ä. Verletzungen angesichts einer langen Liste staatliche(r) Morde an Flüchtlingen für legitim (Interim vom 4.5. 2000: 8). In diesen Kontext passt auch das Gebaren der norddeutsche Kleingruppe Autonome Zelle in Gedenken an Ulrike Meinhof , die bei einem Brand-anschlag auf eine Polizeistation am 10. 2000 bei Pinneberg die Gefährdung schlafender Personen in Kauf genommen hat (Innenministerium SH 2001: 26). Aus der Betrachtung des Antifa - Aktionsfeldes und der Gewaltdiskurse kann als Zwischenergebnis festgehalten werden: In der Szene militanter autonomer Gruppen lassen sich in diesem dynamischen Handlungsfeld Eskalations-, aber auch deutliche Gewaltbegrenzungsinteressen feststellen. Für fundiertere Aussagen zur erneuten Zunahme exzessiven Gewalteinsatzes bei Konfrontationen wären genauere Kenntnisse über eskalative Kontexte und exzessiv handelnde Personen erforderlich.

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