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Junge Welt - 15. Juli 2003
Schwarz-rot-grau
Der erste Leitfaden zur Geschichte der Autonomen-Bewegung
Bei Agenturen und prominenten Agenten der staatlichen Sicherheit
existiert immer noch eine gewisse Verunsicherung ueber den Begriff
"Autonome". So wird im aktuellen Jahresbericht des Bayrischen
Landesamtes fuer Verfassungsschutz das, fuer grammatikalisch
beschlagene Leser doch ueberraschende, Rechercheergebnis
verbreitet: "Autonome: Gruendung Ende der 70er Jahre". Auch der
brandenburgische Innenminister Joerg Schoenbohm (Bundeswehr, CDU)
muehte sich 1998 im Spiegel mit dem Begriff. Er glaubte, dahinter
"e ine Gruppe von Menschen" vermuten zu koennen, "die sich zum Teil
ausserhalb unserer Gesellschaft stellen, die eigene Lebensformen
verwirklichen wollen und zur Verwirklichung dieser Lebensformen
einen Teil unseres Rechtsstaates in Frage stellen".
Sowohl die Beamten des Landesamtes fuer Verfassungsschutz in
Bayern als auch der Exgeneral haben nun die schoene Gelegenheit,
sich in einem gerade publizierten Buch aus allererster Hand ueber
diese "Gruppe von Menschen" zu informieren. "Autonome in Bewegung"
heisst es und wurde von einer sogenannten A.G. Grauwacke
herausgegeben. Und das ist ein "Name fuer viele Bildungen", wie
schon Goethe herausfand, die zugleich "dicht am Granite" vorkommen.
Hinter dem Pseudonym verbergen sich fuenf mehr oder minder jun
ggebliebene Maenner aus dem Berliner Stadtbezirk Kreuzberg, die
sich selbst immer noch als Autonome verstehen. Sie unternehmen auf
ueber 400 mit Plakaten, Fotos und Icons fast ueberbordend, auf
jeden Fall abwechslungsreich gestalteten, Seiten den Versuch "die
Geschichte der Autonomen" gerade nicht durch "soziologische
Forschung und akademisches Quellenstudium", sondern "streng
subjektiv" aus der Perspektive derjenigen zu erzaehlen, "die dabei
waren und sind". Sie beschreiben, chronologisch in fuenf langen
Kapiteln, die letzten 23 Jahre autonom bewegter Politik.
Abwechselnd tasten sich die Autoren mit den Stilmitteln der
Erzaehlung, des persoenlichen Erlebnisberichtes, mit Fotos und
Plakaten durch die, wie sie schreiben, "ersten 23 Jahre". Und am
Schluss dieses Buches erwartet die Leser eine Weltpremiere: Ein
Glossar zum "Autonomendeutsch als Fremdsprache".
Der Schwerpunkt des gesamten Buches liegt auf dem Jahrzehnt der
80er. Hier schreiben die Autoren auch als Protagonisten. Fuer diese
Dekade findet sich eine Vielzahl authentischer Dokumente, die heute
sowohl begeistern, aber zuweilen als Ausdruck trauriger und
trostloser Lebensrealitaeten interpretiert werden koennen.
Das vierte Kapitel, ueber die 90er, faellt in der Qualitaet
deutlich ab. Die implizit als Klammer autonomer politischer
Aktivitaeten still vorausgesetzte Militanz entspricht nach dem
Zusammenbruch des realen Sozialismus einfach nicht mehr der
Gewaltorganisation des gesellschaftlichen Lebens. Hier scheitern
die Autoren an dem Versuch, die 80er-Autonomen-Jahre irgendwie auch
noch durch die 90er fortzuschreiben. Die Grenzen des in Anspruch
genommenen individualbiographisch unterlegten "streng subjektiven"
Z uganges werden offenkundig. Liest man beispielsweise die etwas
lustlos hingeschriebenen Passagen ueber die Antikriegsaktivitaeten
der 90er Jahre, scheinen die Verfasser nicht so direkt bei der
Sache gewesen zu sein wie in anderen politischen Praxisfeldern.
Dennoch bleibt der Versuch hervorzuheben, sich aus autonomer
Perspektive erstmals eine Schneise quer durch das immer noch
unuebersichtliche 90er-Jahre-Jahrzehnt zu schlagen. Positiv ist
auch zu wuerdigen, dass an politische Geschichten aus dem Inneren d
er vielfaeltigen linksradikal-undogmatischen Protestbewegungen
erinnert wird, die in den herrschenden Verhaeltnissen bestaendig
verdraengt werden.
Ausserordentlich sympathisch ist auch die Haltung, mit der die
Autoren im Schlusskapitel die naechsten 23 Jahre autonomer Politik
vorausdenken. Trotz der sich ausbreitenden grauen
Haifischkapitalismus-Verhaeltnisse denkt keiner von ihnen ans
Aufhoeren. Selbstredend will sich keiner zurueckziehen,
Katzenjammer ist nicht die Sache von Autonomen. Amuesant ist, in
der Stellungnahme eines Autonomen nachzulesen, dass er seine Art,
"Haltung zu bewahren", in der Einsicht realisiert sieht, auch in
Zukunft davon au szugehen, "wenn ich einen Knueppel in die Hand
nehme und jemanden aus dem Haus werfe, (...) er mir das heimzahlen
wollen wird". Mit derartig anschaulichen Ueberlegungen zur Regelung
gesellschaftspolitischer Probleme wird hier eine ueberraschende
Verbindung zwischen Gedanken der Autonomie zu Theorien gestiftet,
die auch im Alten Testament nachgelesen werden koennen. Allerdings
zeigen solche Erwaegungen auch, dass ein Teil der im Schlusskapitel
versammelten Texte von einer theoretischen Selbstgenuegsamkeit
durchzogen ist. Sie stehen fuer eine bei Autonomen schon immer
existente Tendenz, sich auf diesem Kampfterrain selbst zu
entmachten.
Dennoch zeigt uns das Buch in instruktiver Weise, dass der durch
die Existenz der Autonomen in den Protestbewegungen der BRD
anhaltend verkoerperte, auch politisch profilierte Anspruch auf die
Realisierung eines anderen Lebens nach wie vor das Einfache ist,
das schwer zu machen ist. Wer weiss, vielleicht verweist das
Erscheinen dieses Buches, mit seinem auch grafisch ueberzeugend
visualisierten optimistischen Sound, darauf, dass es fuer Autonome
bald wieder mehr – hoffentlich richtige – Antworten als
Frag en gegenueber den herausfordernden politisch-sozialen Probleme
in der bedrohlichen Gegenwart des 21.Jahrhunderts gibt.
von Steffen Haacke
* A. G. Grauwacke: Autonome in Bewegung, die ersten 23 Jahre.
Assoziation A, Berlin 2003, 408 Seiten, 20 Euro
(c) Junge Welt 2003
Original URL:
http://www.jungewelt.de/2003/07-15/021.php ( externer Link
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