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aus: grundrisse - zeitschrift für linke theorie &
debatte , 8/2003 ( Wien )
Buchbesprechung
Fünf autonome Männer aus Berlin haben ein Buch
über die ersten 23 Jahre der Bewegung ge-schrieben. Sie
schreiben über beinahe alle Bereiche, in denen Autonome aktiv
waren, von der Anti-AKW- Bewegung über den Häuserkampf
bis zu den Auseinandersetzungen um Kleingruppenmilitanz und
Feminismus. Das aus subjektiver Sicht ge-schriebene Buch wird
ergänzt durch persönliche Erlebnisse und Berichte von
weiteren autonomen AktivistInnen. Die Autoren zeigen zwar die
Turbu-lenzen und Strudel der 1990er auf, für sie ist die
Geschichte aber keineswegs zu Ende, es seien erst die ersten Jahre
der autonomen Bewegung. Es gibt die Aufforderung, die Diskussionen
um die autonome Geschichte weiterzuführen, woraus dann ein
umfassenderes Bild entstehen kann als durch eine objektive
Beschreibung: http://autox.nadir.org
Teilweise erscheinen die Autonomen, z.B. in der
Anti-AKW-Bewegung, nur als der militante Flügel der
BürgerInneninitiativen. Es gab zwar immer wie-der Versuche,
andere Inhalte einzubringen, im Bild nach außen blieb aber
die Militanz in beiden Bedeutungen, sowohl als Aktivismus wie auch
in Verbindung mit Straßenkampf und konspirativen Aktionen
(wie z.B. die Anschläge auf Strommasten zur Unterstützung
der Anti-AKW-Bewegung). Der Mythos der Militanz ist dabei nicht nur
von außen gekommen, er wurde auch von den beteiligten
Autonomen gepflegt. Trotz der teilweisen Theorie-losigkeit sind die
autonomen Gruppen nicht nur Teil der Bewegungen, sondern die
sozialrevolutionäre Bewegung in der Bundesrepublik, besonders
in den 1980ern in Berlin. Darum ist es sinnvoll, dieses Buch zu
lesen und dadurch an der Geschichte teilzunehmen, gerade weil sie
so subjektiv geschrieben ist. Mensch kann sich identifizieren oder
auch über die Blödheit der damaligen AktivistInnen
ärgern, einfach miterleben, wie es war, aber auch für die
zukünftigen Kämpfe, Auseinandersetzungen und Bewegungen
etwas mitbekommen.
Die Beiträge sind von unterschiedlicher Länge, es ist
genau zu erkennen, bei welchen Auseinandersetzungen und Kampagnen
die Autoren beteiligt waren und an welchen sie nur einen Blick von
außen hatten. Der Text beginnt in der Phase zwischen 1980 und
1984 mit der Anti-AKW-Bewegung, dem Häuserkampf in Berlin, den
Autonomen als militanten Teil der Friedensbewegung und gegen den
Ausbau der Startbahn West in der Nähe von Frank-furt.
Besonders in der relativ detaillierten Beschrei-bung der
Entwicklung der HausbesetzerInnen-bewegung wird eine weiteres
Charakteristikum der Autonomen deutlich. Es ging nicht nur um die
Durchsetzung irgendwelcher politischer Forderungen, sondern um die
Organisation des ganzen Lebens. So wird nicht nur über die
spektakulären Aktionen berichtet, sondern auch über die
Schwierigkeiten mit dem Leben und Überleben in den besetzten
Häusern.
Der nächste Teil berichtet über den Rückgang der
Bewegung Mitte der 1980er mit der Dominanz der autonomen
Kleingruppenmilitanz. Auch wenn es die Autoren nicht so direkt
ausdrücken, wird dabei deutlich, wie diese Art der Militanz
teilweise Ersatz für die fehlende Bewegung ist, die
Schwächephasen überbrücken soll. In diesem
Zusammenhang geht es dann auch um die Auseinandersetzungen mit
anderen Zusammenhängen: einmal mit den AntiimperialistInnen,
mit denen immer gemeinsame Aktionen gemacht wurden - die so
genannten Blöcke der autonomen und antiimperialistischen
Gruppen - die aber auch wegen ihrer unkritischen Verteidigung der
Aktionen der RAF (Rote Armee Fraktion) kritisiert wurden und
werden. Dann mit den RZ (Revolutionäre Zellen), die ein
Konzept der Kleingruppenmilitanz vertraten, das sich nicht von der
Bewegung abheben sollte. Trotzdem werden sie kritisiert, weil sie
zwar die autonome Bewegung beeinflussten, aber auf Kritik und
Auseinandersetzung nicht reagierten, sich dadurch entgegen ihrem
Anspruch als Avantgarde sahen.
In einem dritten Teil geht es um die Kampagnenolitik in der
zweiten Hälfte der 1980er. Ein Einschub behandelt die
Auseinandersetzung der Autoren mit dem Feminismus. Ich halte diese
Beiträge für ausgezeichnet, weil es in ihnen nicht nur
darum geht, die feministischen Parolen gut zu finden, wie sonst in
der autonomen Bewegung sehr verbreitet, sondern weil über die
persönlichen Verhältnisse und Beziehungen geschrieben und
dadurch erst eine Auseinandersetzung möglich gemacht wird.
Sonst geht es um die weitere Entwicklung in Berlin, besonders aber
um die Kampagne gegen die Tagung des Internationalen
Währungsfonds (IWF) im September 1988. Die nicht nur autonomen
Aktivitäten wurden ein voller Erfolg, weil sich die autonome
Militanz mit fantasievollen und gewaltfreien Aktionen, aber auch
einer inhaltlichen Auseinandersetzung verband. Nach dem Mauerfall
im November 1989 kam es zu einer neuerlichen Welle von
Hausbesetzungen, diesmal im östlichen Teil von Berlin, der in
den militanten Kämpfen um die besetzten Häuser in der
Mainzer Straße seinen Abschluß fand.
Die 1990er werden mit der Überschrift Strömungen,
Turbulenzen und Strudel überschrieben. Es gab mehr
Diskussionen in der autonomen Bewegung, z.B. um die
Organisationsfrage. Jüngere, die nicht mehr die Bewegung aus
der Zeit kennen, wo es um die Abgrenzung von den K-Gruppen ging,
hatten weniger Probleme mit einer strafferen Organisierung. Im
Zentrum der Aktivitäten standen der Antifaschismus (Antifa),
das militante Auftreten gegen die massiv auf der Straße
präsenten FaschistInnen, später dann auch Antirassismus.
Die Kriege gegen den Irak 1991 und in Südosteuropa
führten in Teilen der Linken zu Verwirrungen, die dann zur
Unterstützung der jeweiligen Kriege führten - auch zum
ersten bundesdeutschen Kriegseinsatz gegen Jugoslawien. Die
Globalisierungsbewegung mit den Eckpunkten Seattle im November 1999
und Genua im Juni 2001 kommt nur am Rand vor, was zeigt, wie sehr
die autonome Bewegung um diese Zeit mit ihren eigenen Verwicklungen
und Auseinandersetzungen beschäftigt ist und damit kaum
aktionsfähig - bis die Antirepressionsarbeit nach den
Festnahmen in Göteborg und Genua wieder wichtig wurde.
Zum Schluß noch einige Anmerkungen über die
äußerliche Form des Buches. Neben dem durchgehenden Text
gibt es auch Einschübe mit persönlichen Erlebnissen,
Bildern und Plakaten und einer Zeitleiste mit internationalen
Ereignissen, die von der Bewegung rezipiert wurden. Das Layout ist
ein bißchen an das Autonomenlayout der 1980er ange-lehnt,
aber nicht so, daß es nicht mehr lesbar wäre. Ich
persönlich habe nur die Zeitleiste etwas lästig gefunden.
Da sie eigentlich nichts mit dem übrigen Text zu tun hat,
hätte sie auch an das Ende des Buches gepaßt. Die
Autoren sehen noch nicht das Ende der Autonomen gekommen, sie
werden militant in Bewegungen auftauchen, in der ersten Person
handeln, sowohl als Propaganda der Tat wie auch in der
Auseinandersetzung der Veränderung des eigenen Lebens. Es
werde auch irgendetwas undefinierbares geben wie eine Revolution,
wo aber nicht behauptet wird, daß die Autoren
wüßten, wie sie ausschaut.
Da wir nicht wissen, wie die utopische Welt aussehen wird [...],
ordnen wir unsere alltägliche Politik nicht dieser ungewissen
Zukunft unter, sondern tun hier und heute das, was dem Ziel am
nächsten scheint. Wir wollen keine Macht erobern, da wir sie
irgendwann ja doch wieder loswerden wollen. Wir wollen keinen
Reichtum, es sei denn reich an Erfahrungen, Freundschaften und
sozialen Kompetenzen werden. Wir wollen nicht warten auf bessere
Zeiten. Wir sind ungeduldig.
Robert Foltin
weitere Infos zur Zeitschrift:
www.grundrisse.net (externer Link )
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