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Göttinger Drucksache Nr. 461 vom 24.10.2003

Autonome in Bewegung - aus den ersten 23 Jahren -
Geschichte wird gemacht, es geht voran(Fehlfarben)

Zu einem Zeitpunkt, an dem die autonome Bewegung zum Objekt wissenschaftlichen Forschungsdrangs und akademischer Veröffentlichungen geworden ist, stellt sich die Frage ob die Autonomen selbst schon Teil der Geschichte sind oder diese noch mit schreiben, sprich: sie aktiv gestalten. Vorweg genommen: eine Antwort darauf geben die fünf Autoren des Buches „Autonome in Bewegung“ nicht – und das ist auch gut so. Mit ihrem Anspruch, die vergangenen 23 Jahre streng subjektiv Revue passieren zu lassen, leisten sie ihren Beitrag zur Geschichtsschreibung der Autonomen. Der ist männlich und bezieht sich hauptsächlich auf Berlin, Anfang der 80 er Jahre mit mehr als 160 besetzen Häusern die Hauptstadt der Häuserkampf-Bewegung. Von diesem Ausgangspunkt geht es in vier Streifzügen durch die Geschichte der (West-)Berliner Autonomen. Dabei kommen die Ereignisse im fernen Frankfurt/Main und Wackersdorf ebenso zur Sprache wie die Themen, die die Bewegung in Berlin geprägt haben: der 1. Mai 1987 und seine Folgen, Kampagnen gegen den IWF, Shell und Olympia, Mainzer Straße. Bis hinein in die 90 er Jahre der Castor-Transporte und Globalisierungsbewegung sowie vieles mehr. Ein lustiger Kessel Schwarz-Rotes also, um sich zurück zulehnen und von den „guten alten Zeiten“ zu plaudern? Dazu kommt es –Autonomix sie Dank – jedoch nicht. Um es schon einmal jetzt zu erwähnen: “Autonome in Bewegung“ ist ein grafisch hervorragend gestaltetes Werk, dem es über rund 400 Seiten gelingt, die Geschichte der Autonomen mit viel spaß und Selbstironie zu skizzieren, ohne sie zu historisieren. Dies ist nicht zuletzt der Mischung aus persönlichen Erlebnissen und Berichten sowie der eigentlich erzählenden Geschichtsschreibung der Autoren zu verdanken, die dafür sorgt, dass das Buch nicht zur trockenen Schulstunde für jüngere LeserInnen verkommt.

Diese Stärke kann dem Buch jedoch nicht auf seiner gesamten Länge attestiert werden. Gewicht und Authenzität erhält es für die Zeiträume, in denen auch die autonome Bewegung stark war: dies gilt für ihre politische Arbeit und die Bedeutung als sozial-kultureller Gegenentwurf. Nicht umsonst widmet sich der überwiegende Teil den Jahren bis zur Räumung der Mainzer Straße im (dann schon) ehemaligen Ost-Berlin. Unter dem passenden Motto“ Strömungen, Turbulenzen und Strudel“ skizziert der vierte Teil die Zeitspanne Anfang der 90 er bis heute. Hier wird die Distanz der älteren Autonomen zu einer jüngeren Generation deutlich, die sich neu artikuliert und ihre politische Arbeit anders gestaltet: eine Fremdheit, die sich im Buch in Sprachschwierigkeiten ausdrückt. Sprachlosigkeit herrscht scheinbar auch beim Kapitel „was man zum Patriarchat zu sagen hat“. Trotz der Vorbemerkung, das Buch erweise sich hier als das was es ist, „ein Buch von Männern,“ lässt die bloße Sammlung der Texte der fünf Autoren einiges vermissen, was die Geschichte der Autonomen im Bereich „Patriarchat“ geprägt hat.

Ihrem Ziel, sich nicht zur Ruhe setzen zu wollen und aus dem Ohrensessel darüber zu plaudern, wie wild es damals zur Sache ging, verleihen die Mitglieder der AG Grauwacke in ihrem Ausblick unter dem Motto“ ... die nächsten 23 Jahre“ Ausdruck. Leider hätte man sich in dieser Bilanz mehr Analysen gewünscht statt persönliche Befindlichkeiten der Autoren: “Weder schwebt uns die große vereinheitlichende Bewegungstheorie vor, noch der endgültige Rundumschlag zum Zwecke des Beweises, dass wir sowieso alles besser durchblicken.“(S. 380) Ein solcher Ausspruch mag zwar ehrlich gemeint sein, auf dem Weg zum Morgenrot ist er jedoch wenig hilfreich.

Dies alles sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit „Autonome in Bewegung“ ein Buch entstanden ist, dass Lust macht: Lust auf die Geschichte(n), Lust auf radikale Politik und Bewegung sowie auf die Diskussion untereinander. Hilfreich zur zeitlichen Einordnung von Geschehnissen ist die sorgfältig recherchierte, wenn auch manchmal etwas wahllose, am untern Seitenrand fortlaufende Zeitleiste von 1980 bis 1999. Und als Schmankerl im Glossar: “Autonomendeutsch als Fremdsprache“ – von AAB bis Zyklus. Ein Werk, das einen großen Teil zur Geschichte der Autonomen beiträgt und dabei hilft, die eigene Geschichte zu schreiben, um daraus mit analytischen Blick für die Zukünfte hervor zu treten. Sollte in keinem Bücherregal, in keinem Diskussionszirkel und in keinem Infoladen fehlen. Und wenn die Nacht am tiefsten ist und schon früher auch nichts besser war, kann man sich ja wenigstens über die Bilder freuen.

A.G. Grauwacke: “Aus der ersten 23 Jahren. Autonome in Bewegung. Berlin/Göttingen/Hamburg. 406 Seiten, 20 Euro

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