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Autonome, Reformismus, IWF

Wenn einer wie ich, der 1988 Reformist (bei der AL / jetzt Grüne) war und sich 1992/93 mehr oder weniger ins Privatleben zurückgezogen hat, ohne mental letztlich die Seiten gewechselt zu haben, zu ´Autonome in Bewegung´ Stellung nehmen soll, ist dies erst mal eine

Reise in die Vergangenheit.

Die Vergangenheit fängt allerdings vor der Berliner, genauer WestBerliner Zeit an, wohin ich 1984 gekommen bin. Ein Blick zurück nach Augsburg (Studienzeit von 77 – 84) ist allerdings wichtig, weil der Berliner Mikrokosmos in dem die Autonomen in Bewegung spielten und immer noch spielen (oder der sich vielleicht mit ganz wenigen anderen Großstädten Deutschlands vergleichen lässt) durch einen Blick von außen anders bewerten lässt. In Augsburg kämpften alle Linken (also von Spontis, Autonome im wirklichen Sinn gab (und gibt) es dort nicht über Grüne, Jusos bis Realsozialisten) in einem Boot gegen das rechte Boot (an der Uni RCDS) und behielten meistens knapp die Oberhand. Natürlich gab es auch in diesem linken Boot (besser Nussschale) Meinungsverschiedenheiten, aber letztlich arbeitete mensch zusammen um die kleinen linken Spielräume nicht den Rechten zu überlassen. Ähnlich war es dann ab Anfang der 80iger Jahre in der Friedensbewegung, wo die Aktionen gemeinsam organisiert wurden.
Als ich dann 84 nach Berlin kam, kam ich mit der Vorstellung, dass dies dort so ähnlich sei, wenn auch das linke Spektrum stärker und weiter nach links verschoben sein musste, soweit mensch dies aus der süddeutschen Provinz überhaupt zur Kenntnis genommen hatte. Doch weit gefehlt.
Die Linken in der WestBerliner Metropole bekämpften und fraktionierten sich in vorher gar nicht vorstellbarer Weise und es lag ein tiefer Riss zwischen den sog. Autonomen und den sog. Reformisten.

Eine kleine Anekdote: ich trat gleich 1984 in die AL ein (von Augsburg aus gesehen weit links von allem was es in Augsburg gab) wollte aber gleichzeitig – als Jurist – einer linken JuristInnen-Gruppe beitreten und lief beim Ermittlungsausschuss auf. Da mir keineR sagte, dass ich dort als AL´ler nichts zu suchen hat, ich mir dies aber gar nicht vorstellen konnte, dauerte es einige Treffen, bis ich erkannte, dass ich als Reformist bei einer revolutionären Organisation nichts zu suchen hatte. Ich hatte verstanden und traf zukünftig die wirklichen Revolutionäre (= Autonome, oder noch weiter links, wie Antiimps) nur noch auf Bündnistreffen oder als MandantInnen in meiner Funktion als Strafverteidiger.

Da wirft sich die Frage auf
wer ist überhaupt ein Reformist und wer ein Revolutionär.
Eine Frage die schon in der Mitte des vorletzten Jahrhunderts ihre Rolle spielte und sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Linken seither zielt (wie mensch schon festgestellt hat, verwende ich das Wort Linke ganz allgemein und meine erst mal Alle, die irgendwie mit dem herrschenden System ihre grundsätzlichen Schwierigkeiten haben).
Nun gab es damals (also 1984 – 1989 (= Koalitionsbeschluss der AL mit der SPD)) in der AL einige, die zwar dort Politik machten, aber trotzdem das kapitalistische, patriarchale und rassistische System überwinden wollten (hoffnungslose Idealisten, wie damals schon die Autonomen wussten und wie ihnen die Geschichte Recht gegeben hat). Wir, die wir somit objektiv dem System in die Hände spielten aber subjektiv dieses überwinden wollten, waren damit zumindest subjektiv eins mit den meisten Autonomen. Bleibt die Frage der Mittel (= Gewaltfrage), letztlich eine taktische Fragen und eine Frage des individuellen Muts des/der einzelnen, was die konkrete Aktion anging, so dass ja auch AL´erInnen (wenige) Steine und Mollis warfen und Autonome (einige) dies gerade nicht taten. Bleiben weiter links nur diejenigen, für die als RevolutionärInnen nur die galten, die mit der Waffe in der Hand kämpften; die lassen wir im Folgenden mal beiseite. (Hier ist in Autonome in Bewegung viel Vernünftiges ausgeführt).
Hätten wir also zwei Fraktionen, die Autonomen und diejenigen die subjektiv zwar das System überwinden wollten, es aber objektiv z.B. qua Mitgliedschaft in der AL stützten. Logisch ist, dass Letztere mit den Autonomen zusammenarbeiten wollten, da sie ja davon ausgingen, das Gleiche zu wollen, was eine Zusammenarbeit sinnvoll erscheinen ließ. Logisch auch, dass die Autonomen dies nicht wollten, warum hätten sie auch mit denen, die das System stabilisierten, zusammenarbeiten sollen.
Führen wir eine andere Gruppe ein: die Linksradikalen, eine Gruppe die in Autonome in Bewegung ebenfalls vorkommt. Gehen wir mal davon aus, dass hier Leute gemeint sind, die auch das System überwinden wollen, nicht dort organisiert sind, wo das System stabilisiert wird, aber doch organisiert politisch arbeiten wollen (anders also als der/die reine Autonome). Nehmen wir aus späteren Zeiten als Beispiel für diese Strömung FELS, zur Zeit direkt nach 1989 die damals sog. Radikale Linke, die z.B. gegen die Vereinigung zwischen BRD und DDR war, zu der ich mich nach meinem Austritt aus der AL 1989 gesellte, die dann aber bald zerfiel (bzw. von der Bahamas Gruppe, mit der ich nun gar nichts zu tun haben wollte, übernommen wurde).
Auch hier tun sich die Autonomen mit einer Zusammenarbeit schwer, ohne wirklich klar begründen zu können, dass diese Gruppen objektiv dem System in die Hände arbeiten; der Abgrenzungspunkt bleibt die Organisationsfragen, eine in Wirklichkeit - meine ich - taktische Frage, die jedoch in der autonomen Praxis den Stellenwert des unangreifbaren Prinzips erhalten hatte.
Dann gibt es noch die Reform-Autonomen, eigentlich ein Widerspruch in sich, aber gemeint waren wohl die, die mit den Linksradikalen und objektiv reformistischen Gruppen Bündnisse eingehen wollten und damit nach Ansicht anderer Autonomer objektiv ebenfalls dem System in die Hände arbeiteten und arbeiten, also in Wirklichkeit keine Linksradikalen oder wirklichen Autonomen sein können – oder doch?

Eine Bilanz: am Beispiel der IWF-Kampagne
Schauen wir zurück ins Jahr 1984, die HausbesetzerInnenbewegung in Berlin ging zu Ende, bundesweit ging die Friedensbewegung zu Ende, auch wenn in 1984/85 noch einige Aktionen (z.B. Blockade-Aktionen im Fulda-Gap) auf der Tagesordnung standen. Danach versank auch ich in den WestBerliner Spezifika, als da waren die alljährlichen Besuche von Reagan, Busch, bzw. 1988 des IWF in Berlin, als alljährlicher Anlass für die zentralen Gegenaktionen aller Linken in Berlin. Daneben gab und gibt es die zwischenzeitlich ritualisierten ´1.-Mai-Feierlichkeiten´, auf die ich jedoch nicht eingehen möchte.
Gewohnt in zwei Kategorien zu arbeiten, nämlich in der Form der Kampagne (war an der Uni schon so, von Streik zu Streik) und im Bündnis, tummelte ich mich schnell dort, wo die Bündnisse verhandelt wurden, das war zunächst die Friko und beim IWF dann ein bundesweites Bündnis von BUKO (die Linksradikalen) bis hin zu christlichen Gruppen, Naturfreundejugend usw.. Das klappte 1987 beim Reagan-Besuch erstaunlich gut, waren doch auch die Autonomen mit im Bündnis, was zu einer guten Demo führte, die die gesamte Linke zusammenführte und am Ende Reagan keine gute Presse und auch ansonsten kein gutes Bild für die Herrschenden machte.
Dies schien mir eigentlich auch das Normalste. Warum waren die Autonomen dabei? Eigentlich einfach, wenn ich (hier die Autonomen) selbst zu schwach bin ein gewünschtes politisches Ziel zu erreichen suche ich mir Bündnispartner die ein gleiches oder ähnliches Ziel haben, damit wir es – vielleicht - gemeinsam erreichen. Klar war ja, dass auch Reformisten (warum auch immer) etwas gegen den Besuch von Reagan und den üblichen WestBerliner Jubel über die Schutzmacht hatten und hier ein entgegengesetztes Zeichen (nicht alle WestBerliner Jubeln der Schutzmacht USA zu) setzen wollten. Da selbst die Verhinderung des Besuches das System nicht gestürzt hätte (stand in dem Moment also auch für die Autonomen nicht auf der Tagesordnung) konnte mensch ja gemeinsam eine Aktion (= Demo) machen. Klappte auch ganz gut. Trotzdem konnten ja die einen Antiimps, die anderen Autonome, die dritten Linksradikale, wir Al´ler Al´ler und andere sogar SEWler, Jusos und und und bleiben. Dann kam der IWF, eine ganz besondere Kampagne und danach ?

Zurück zum IWF:
Die Autonomen wollten nicht an Reagan anknüpfen, sondern explizit kein Bündnis mit allen anderen eingehen, obwohl selbst beim Erreichen der Maximal-Forderung: verhindern wir den IWF und Weltbank-Kongress, das System immer noch bestanden hätte. Dies wurde nun so begründet, dass die Autonomen eigentlich den IWF zerschlagen wollten, während wir Reformer ihn reformieren und damit das System stabilisieren wollten. Auch diese Forderung griff natürlich viel zu kurz, da das Verschwinden von IWF und Weltbank die Schulden und weltwirtschaftlichen Strukturen beibehalten hätte. Aber soweit, gleich die Zerschlagung der spätkapitalistischen Wirtschaftsweise zu fordern, gingen in der Kampagnen-Praxis selbst die Autonomen nicht, wäre ja auch zu voluntaristisch gewesen. Der Wille den IWF reformieren zu wollen stimmt für einige, aber nicht alle, z.B. den BUKO, der den IWF auch zerschlagen wollte, da er aber im Bündnis mit den Reformisten stand, konnte mit ihm auch kein Bündnis gebildet werden. Immerhin forderten die Reformisten die Streichung aller Schulden, was natürlich den gleichen Kreislauf von vorne hätte beginnen lassen, aber auch schon ganz weitgehend als Forderung war. Falsche Gemeinsamkeiten schwächen, verwischen und nützen dem Gegner hieß es bei den Autonomen. Richtig, aber nicht jede Forderung und nicht jede Aktion die nicht gleich die Zerschlagung des herrschenden Systems bedeutet, ist eine falsche Forderung oder eine falsche Gemeinsamkeit, sonst wären ja auch alle autonomen Aktionen nur systemstabilisierend gewesen, sondern solche Forderungen und gemeinsamen Aktionen können ein Schritt in Richtung eines offenen oder unterschiedlich angestrebten Ziels sein.
Trotzdem blieben Reformisten und Autonome (vielleicht nur die Reformautonomen?) dennoch im Kontakt, informell, da ja kein Bündnisgespräch möglich war. War irgendwie auch egal, da mensch den kleinsten gemeinsamen Nenner fand, jeder macht, was er für richtig hält, wir informieren uns gegenseitig, koordinieren uns zeitlich und versuchen unsere Aktionen nicht gegenseitig madig zu machen, sondern konzentrieren uns auf den Kampf gegen den eigentlichen Gegner, also den IWF und natürlich die Repression durch die WestBerliner Bullen nebst deren Unterstützung aus dem damaligen Westdeutschland. Einfach gesagt, funktionierte im Ergebnis auch gut, wer sich aber an die konkreten Absprachen, bzw. Nicht-Absprachen usw. erinnert, hat – zumindest mir geht es so – die Erinnerung, dass es mit einem wirklichen Bündnis doch einfacher gegangen wäre. In Wirklichkeit war es ja ein Bündnis, es durfte nur nicht so genannt werden. Damit waren die Autonomen zufrieden und wir hatten es – zugegebenermaßen – auch manchmal einfach, wenn innerhalb der AL/Grünen die Frage der Gewalt aufgeworfen wurde, konnten wir immer sagen, mit den Autonomen machen wir nichts zusammen und fertig. Am Ende gab es dann die informellen Kungelrunden, die niemand oder wem auch immer zur Rechenschaft verpflichtet waren, ein transparenter Prozess fand auf alle Fälle nicht statt – und ich denke das gilt für beide Seiten. So heißt es, wenn auch nicht auf die Anti-IWF-Kampagne bezogen, ganz richtig, in den ´Leiden eines Nicht-Autonomen´: „so gab es von beiden Seiten zwar GrenzgängerInnen und Überschneidungen, doch zu keinem Zeitpunkt einen öffentlichen Diskurs zwischen kollektivem und selbstorganisiertem Alltag in Sozial-, Kultur- und Arbeitsprojekten einerseits und der damaligen radikalpolitischen, autonomen Aristokratie (andererseits)“. Es gab also ein Zu-Wenig.
Die Wirklichkeit war dann sowieso anders als die Strategen beider Seiten sich dies ausgerechnet hatten. Ein Dritter, das Büro für ungewöhnliche Maßnahmen (weder Autonom, noch reformistisch – oder doch, zumindest nicht im Reformisten-Bündnis) veranstaltete jede Mitternacht ein Trommeln auf dem Breitscheidplatz, illegal und doch gewaltfrei, von den Bullen nicht abzuräumen, von Nacht zu Nacht lauter und unüberhörbarer, wo sich alle trafen, quasi das praktische Bündnis ohne jedes Bündnisgespräch. Und weiterhin gab es illegale Demos der Reformisten, ganz spontan, ungeplant und unangemeldet, als die Autonomen noch auf ihren VVs saßen und sich überlegten, ob das Repressionspotential des Staates ein Verlassen Kreuzbergs überhaupt möglich machen würde.
Ich denke alle haben diese Woche als gelungene Aktion in Erinnerung, auch wenn der IWF-Kongress stattfand und das System überhaupt weiterbestand – machte nichts, wir hatten alle das Gefühl einen Zipfel der Geschichte der Gegenmacht gewebt zu haben.

Und nach der „Wiedervereinigung?“
kam eigentlich nichts mehr, was auch nur im Ansatz an diese Aktion heranreichte, na ja, es kam die Vereinigung, die den Linksradikalen wohl insgesamt eine tiefen Rückschlag versetzte, von dem wir uns bis heute nicht erholt haben.
Es waren uns zwei Dinge abhanden gekommen:
- das eine wirklich zum Zeitpunkt 1989/90, nämlich der Rückhalt im Realsozialismus, nicht in dem Sinn, dass wir uns den als Systemalternative vorstellten, aber als System, das sich (weitestgehend) dem kapitalistischen Weltsystem entzogen hatte (auch da gibt es allerdings Linke, die anderer Meinung sind) und als Unterstützer für verschiedene revolutionäre Experimente (bei aller Vieldeutigkeit und Zweifelhaftigkeit) zur Verfügung stand. Heute entzieht sich niemand mehr dem Weltsystem und wer es versucht wird mit Krieg überzogen und wieder ins System hineingezwungen (Afghanistan, Irak)
- das revolutionäre Subjekt, nicht zeitgleich, da wir ja schon lange wussten, dass der Arbeiter es nicht ist. Ein anderes hat sich allerdings bis heute nicht eingefunden. Die Triple-Opression beschreibt zwar das System in seinen unterschiedlichen Facetten der Ausbeutung, die Ausgebeuteten spiegeln jedoch nicht das revolutionäre Subjekt. Wir haben keins, vielleicht brauchen wir auch keines oder finden es auf dem Weg zur Revolution, da sie aber irgendjemand ja machen muss, werden wir ganz ohne doch nicht auskommen.

Der Katzenjammer kam, wie gesagt, mit dem Fall der Mauer gut ein Jahr später. Wer jedoch wie ich im Zentrum der Bündnisgespräche und der Organisation stand glaubte damals und auch im Nachhinein, also auch heute noch, dass das informelle Bündnis das unzureichende Minimum der Absprache aller Linken war und hätte es damals, wie in nachfolgenden Kampagnen vorgezogen, wenn die Absprachen klar, ausgesprochen und durchschaubar gewesen wären und in Zukunft sein würden. Hier muss sich ja niemand aufgeben, es werden jedoch Kräfte gebündelt, was angesichts unserer Schwäche nötiger denn je ist.
Gut gut, etwas theoretisch, ich bin schließlich auch nicht bei Attac, weil ich nicht mit Lafontaine in einer Organisation sein will und die immer gleichen Diskussionen über z.B. kann mensch den IWF reformieren (geht natürlich nicht) führen will, aber wir müssen sehen, dass der BUKO (auch dort gibt es ausreichend Reformisten) vor sich hin dümpelt, während Attac als die System-Alternative dasteht. Klar, das System schafft sich seine Alternative immer selbst (einstmals die SPD, dann die Grünen, jetzt Attac), um sie bei Zeiten offen auf seine Seite ziehen zu können. So schreibt die IG-Metall ganz offen: „Unterstützend könnte sich für die Linke in den Gewerkschaften und Parteien das langsame, aber doch sichtbar werdende Wiederaufleben sozialer Protestbewegungen und Selbsthilfeinitiativen sowie die beeindruckende transnationale Vernetzung der Bewegung der Globalisierungskritiker erweisen.
Das dem System die Integration derjenigen Individuen, die ja gerade in diesen Organisationen arbeiten, gelingt, liegt aber nicht zuletzt an unserer Schwäche. Da die Autonomen und Linksradikalen allein zu schwach sind, müssen sie einzelne Individuen auf ihre Seite ziehen, also sich genau mit den genannten Organisationen auseinandersetzen, anstatt in Abgrenzung isoliert zu bleiben.

Thomas Fruth ex-Reformist, März 2004

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