Ursprünge des autonomen Antirassismus
Die Ursprünge der Autonomen, so stellt beispielsweise
Geronimo in "Feuer und Flamme" fest, haben ihre Wurzeln in der
68er-Studentenbewegung. Nachfolgender Artikel aus der Frankfurter
Rundschau von 1969 zeigt, dass man auch die Ursprünge des
autonomen Antirassismus, seinen Aktionsformen, -ideen und -zielen
dort findet. (n.)
Schwere Ausschreitungen auf Rhein-Main
ApO verhindert Abschiebung des Persers Taheri /
Selbstmordversuch / Flughafeneinrichtungen demoliert
Der im Zusammenhang mit der Festnahme von Hans Jürgen Krahl
bekannt gewordene persische Soziologiestudent Achmed Taheri ist am
Freitagabend nach dramatischen Zwischenfällen auf dem
Rhein-Main-Flughafen nicht, wie vorgesehen, aus der Bundesrepublik
abgeschoben worden, sondern in Frankfurt geblieben. Etwa 250
Angehörige der Außerparlamentarischen Opposition hatten
zunächst mit Worten und später mit Gewalttaten gegen die
Ausweisung des Persers demonstriert, der sich gegenwärtig nach
einer Mitteilung von Polizeipräsident Littmann im Gewahrsam
der Ausländerpolizei befindet. Taheri hat kurz vor dem
beabsichtigten Abflug einen Selbstmordversuch unternommen, indem er
sich die Pulsadern öffnete. Die Maschine einer
tschechoslowakischen Fluggesellschaft, die Taheri offensichtlich
zunächst nach Prag bringen sollte, nahm den Perser nicht an
Bord. Polizeipräsident Littmann: ?Der Pilot weigerte sich,
Taheri mitzunehmen, weil der Passagier flugunwillig war." Die
Maschine wurde mehrere Stunden über den für 19 Uhr
vorgesehenen Start hinaus festgehalten, da angeblich das Flugzeug
von Sprengstoff-Experten durchsucht wurde.
Etwa 100 Demonstranten waren gegen 18.30 Uhr auf das Flugfeld
gelangt und riefen ?Freiheit für Taheri - keine Deportation!"
Später setzten sie diese Kundgebung in den Passagierhallen
fort. Gegen 19 Uhr kam es dann zu den ersten Ausschreitungen. An
verschiedenen Stellen klirrten plötzlich die Glasscheiben der
Eingangshallen am Flughafen. Verschiedentlich wurden Steine als
Wurfgeschosse benutzt. Bei den Attacken gingen mehrere Transparente
zu Bruch. Die Demonstranten zerstörten außerdem die
Einrichtungen der niederländischen Fluggesellschaft KLM und
der iranischen Fluggesellschaft.
Kurz darauf zertrümmerten Gruppen der Demonstranten, die
mit Privatautos zum Flughafen gefahren waren, die Scheiben der
Flughafen-Polizeiwache. Mehrere Personen wurden festgenommen; ihre
genaue Zahl ist noch unbekannt. Vor dem Revier ging auch die
Heckscheibe eines zivilen Polizeiwagens zu Bruch. Unterdessen
entwickelten sich an den Eingangshallen zum Flughafen Handgemenge
zwischen Demonstranten und Flughafenpersonal. Auf beiden Seiten
soll es Verletzte gegeben haben. Nach vorläufigen
Informationen mußten sich sechs Angestellte ärztlich
behandeln lassen.
Verhältnismäßig spät schritt die offenbar
überraschte Polizei ein. Die Beamten riegelten die
Eingangshallen ab. Kurz zuvor hatten Demonstranten dem
Pressefotografen der FR im Foyer den Film aus der Kamera gerissen.
Andere Demonstranten saßen zu diesem Zeitpunkt schon
abfahrbereit in ?getarnten" Autos: Sämtliche Fenster, bis auf
die Frontscheibe, waren wie die Karosserie auch mit grauer Farbe
zugestrichen. Einer dieser Wagen beschädigte beim Anfahren ein
Privatfahrzeug. Als Polizeibeamte auf Ersuchen des Halters die
Tür des graugestrichenen VW-Kombis öffneten, entdeckte
sie im Laderaum mehrere Personen. Man versuchte, das Auto
anzuhalten. Der Fahrer gab jedoch Gas und brachte dadurch
Polizisten und Passanten in Gefahr. Der Wagen jagte davon; das
amtliche Kennzeichen ist der Polizei bekannt.
Über die Gesamtschäden konnten noch keine näheren
Angaben gemacht werden. Ein Sprecher des Flughafens teilte am Abend
mit, daß die Demonstranten den Schalter der ?Iran Air" und
mehrere Telefone in der Inlandhalle zerstört hatten. Taheri
habe den Selbstmordversuch im Büro des Bundesgrenzschutzes am
Flughafen unternommen und sich dabei mi dem Teil einer Rasierklinge
die Pulsader des linken Armes geöffnet. Die Schnittwunde sei
jedoch nicht lebensgefährlich. Der Perser wurde dann mit einem
Rettungswagen der Flughafengesellschaft in eine Nervenklinik
gebracht.
Einen schweren Zwischenfall hatte es nach Auskunft des Sprechers
auf dem Vorfeld gegeben, als Demonstranten einen Sanitätswagen
anhielten, mit dem ein kranker Passagier zur Rampe gebracht wurde.
Demonstranten hatten geglaubt, der Perser befinde sich in diesem
Fahrzeug. Der Fahrer stieg aus und wurde nach kurzer
Auseinandersetzung niedergeschlagen.
Der Perser Achmed Taheri soll sich kurz nach den Vorkommnissen
am Flughafen von den Aktionen der ?Außerparlamentarischer
Opposition" distanziert haben.
Von studentischer Seite wird die Abschiebung Taheris als ein
Versuch angesehen, sich ?des Hauptbelastungszeugen im
Strafverfahren gegen Beamte der politischen Polizei" zu entledigen.
Dies teilte ein Sprecher des Club Republikanische Hilfe,
Gerichtsreferendar von Plottnitz, auf Anfrage mit. Der persische
Student sei Zeuge gewesen, wie Krahl nach seinem Abtransport im
Polizeiwagen von den Polizisten ?nochmals mißhandelt wurde
und dabei einen doppeltem Nasenbeinbruch erlitt. Krahl hatte noch
am selben Abend Strafanzeige erstattet.
Plottnitz berichtete auch, daß Staatsanwalt Uchmann Krahl
selbst geraten habe, die schlagenden Polizisten zur Rechenschaft zu
ziehen. Uchmann, der Krahl im Polizeipräsidium getroffen
hatte, sei erschüttert gewesen über dessen Verletzungen,
Dies ist der FR auch von anderer Seite bestätigt worden. Der
Staatsanwalt selbst sagte am Freitag zur FR: ?Ich kann dazu nichts
sagen." Beobachter sind der Ansicht, daß der Staatsanwalt von
höherer Stelle dazu aufgefordert worden ist, zu schweigen.
Während Krahl aus der Haft entlassen wurde, behielt man
Taheri in Untersuchungshaft, da der erst vor kurzem eingereiste
Perser keinen angemeldeten Wohnsitz vorweisen konnte. Taheri soll
auch bisher noch nicht immatrikuliert sein. Auch besaß er
keine Aufenthaltsgenehmigung. Achmed Taheri soll sich bereits
zwischen 1960 und 1968 sporadisch in der Bundesrepublik aufgehalten
haben, ohne jedoch eine behördliche Genehmigung zum Aufenthalt
in der Bundesrepublik zu besitzen.
Der Perser habe Krahl, dem er vor dem Walter-Kolb-Haus ?zu Hilfe
geeilt" sei, nicht näher gekannt, sagte von Plottnitz. Allein
die ?brutale Art", wie die Zivilpolizisten gegen den angetrunkenen
Krahl vorgegangen seien, habe den Soziologie-Studenten dazu
bewogen, handgreiflich zu werden.
Rechtsanwalt Riemann, der die Interessen Achmed Taheris
vertritt, hatte am Freitag bei der Behörde Widerspruch gegen
die Ausweisungsverfügung eingelegt, der jedoch abgelehnt
wurde. In der Verfügung war ?aus Gründen der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung" - so der Wortlaut - die
sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes ausgesprochen
worden. Eine Frist war nicht genannt, deren Überschreitung
nach Meinung Riemanns erst die juristische Grundlage für die
Abschiebung hergestellt hätte.
Nach dem deutschen Ausländergesetz darf niemand in ein Land
abgeschoben werden, wenn ihm dort, etwa aus politischen
Gründen, ein Nachteil erwächst. Zwar galt Taheri bisher
nicht als Schahgegner, doch kann aus seinen losen Kontakten zur
Außerparlamentarischen Opposition - der iranische Student
gehört keiner studentischen Organisation an - sowie zur
oppositionellen Konföderation iranischer Studenten leicht der
Verdacht konstruiert werden, daß Taheri als Schahgegner zu
betrachten ist.
Dieser Verdacht schon macht Achmed Taheri zum potentiell
Gefährdeten.
wf/mu
zurück
zur Übersicht
|