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Repression
der folgende Beitrag von ag grauwacke fiel im Buch dem
Platzmangel zum Opfer.
Manche wundern sich vielleicht, wo denn in diesem Buch die
Repression vorkommt. Eilen wir nur von Sieg zu Sieg, gibt es keine
Opfer? Wo sind unsere Gefangenen, unsere Toten, oder die, die dem
Druck nicht standhielten? Wir haben sie nicht vergessen. Die
staatliche Repression spielt in der autonomen Wirklichkeit
tatsächlich eine ziemlich große Rolle. Der
Bullenknüppel auf den Kopf, die Ermittlungen von Staatsschutz
und Bundeskriminalamt irgendwo an unsichtbaren Schreibtischen,
Prozesse und Knaststrafen – all das ist jederzeit
präsent, wenn es um Politik geht. Wir legen uns an mit einem
der weitentwickeltsten Sicherheitsapparate der Welt, also brauchen
wir uns nicht zu wundern, wenn er uns Ärger bereite, und
können uns das Jammern sparen. Das ist die eine Seite. Die
andere Seite ist, dass es trotzdem nicht gerade angenehm ist, bei
der ED-Behandlung die Finger verdreht zu bekommen, für
angebliche Steinwürfe auf gepanzerte Fahrzeuge zwei Jahre
Knast zu kassieren oder morgens um sechs von SEK-Bullen mit
vorgehaltener Maschinenpistole geweckt zu werden. Das passiert
natürlich nicht dauernd, aber du mußt schon relativ
abgebrüht sein, um nicht allein von der Aussicht auf solche
Erlebnisse eingeschüchtert zu werden.
Wer die Geschichte der Autonomen anhand schriftlicher Quellen
schreiben würde, müsste sich durch enorme Stapel von
Texten zur Repression arbeiten. Zeitungen und Flugblätter sind
stets voll von Solidaritäts-Aufrufen und Berichten über
Repression und was dagegen zu tun sei. Und wer in einer
Hausgemeinschaft mit Kindern wohnt, sitzt manchmal beim gemeinsamen
Essen und denkt: Ach du Scheiße, was bekommt das Kind
eigentlich gerade von unseren Gesprächen mit – wir reden
dauernd über Bullen, Streß, Verfolgungen! Spielt es
vielleicht im Kindergarten schon Krawalldemo, träumt es von
weißen Helmen und Blaulicht in der Nacht?
Dieser Verfolgungsdruck von staatlicher Seite wird oft wie eine
unheimliche Verschwörung wahrgenommen, jede Aktion von Bullen
oder Justiz scheint Teil eines großen Planes zu sein. Die
Einsicht, dass es da auch so etwas wie Eigendynamiken,
Apparatelogik, Widersprüchlichkeiten und Fehler gibt, dringt
meistens nicht bis in die autonomen Flugblätter vor. Das etwa
ein Verfahren am Ende gar nicht deswegen eingestellt wird, weil der
politische Widerstand dagegen so heftig ist, sondern weil der
Richter zu faul oder der Staatsanwalt zu dumm ist, ist für
viele kaum vorstellbar. Oder das andersherum eine Verfolgung auf
zufälligen Erkenntnissen beruht und nicht auf politischer
Absicht .. Was nicht besagen soll, dass es solche Absichten nicht
gibt. Als 1986 etwa der Hamburger Verfassungsschutz-Chef Lochte
behauptet, die RAF verstecke sich in den Häusern der
Hafenstraße, dann tut er das natürlich aus politischen
Gründen, um die Räumung der Hafenstraße zu
erleichtern.
Die zahlreichen Einzelverfahren ergeben in ihrer Summe
selbstverständlich einen politischen Effekt der Abschreckung
und Beschäftigung. Auf jede Bewegungswelle folgt unweigerlich
die Welle der Ermittlungsverfahren (von denen die meisten wieder
eingestellt werden): Tausende von Verfahren gibt es etwa gegen die
West-Berliner Hausbesetzer-Bewegung oder im Zuge der Kämpfe
gegen die WAA in Wackersdorf. Dateien und Listen werden angelegt
("beobachtende Fahndung", "reisende Gewalttäter" etc.).
Gelöscht werden diese Daten nicht wieder, höchstens, wenn
sie durch bessere Systeme ersetzt werden. Der kriminalpolizeiliche
Staatsschutz in West-Berlin ist in den 80er Jahren allerdings
ziemlich erfolglos und schafft nicht viel mehr, als das
abzuarbeiten, was die Schutzpolizei ihm hinwirft an eingeleiteten
Verfahren in Sachen Besetzungen und Randale. Die politische
Abteilung der Staatsanwaltschaft, die "P-Abteilung", ist zwar
berühmt für ihren Beiß-Reflex gegen alles, was
links ist. Haftbefehle und hohe Strafen für Landfriedensbruch
sind Anfang der 80er durchaus schneller zu bekommen als zehn Jahre
später. Ein Richter, der mich wegen Einschmeissens einer
Schaufensterscheibe zu acht Monaten Knast auf Bewährung (nur
wegen Sachbeschädigung!) verurteilte, vertraute mir
mündlich an, er wisse genau, dass wir aus der DDR bezahlt und
gesteuert würden. Dann gibt es noch die Verfahren gegen Leute
aus bewaffneten Gruppen, von denen wir aber nicht so viel
mitbekommen, weil wir selbst beschäftigt genug sind.
Ab Mitte der 80er beginnt sich der Apparat so langsam darauf
einzustellen, dass sich zwischen bewaffneten Gruppen einerseits und
den Demo- und Besetzungsaktivitäten andererseits eine Ebene
kleiner militanter Gruppen und klandestiner Strukturen gebildet
hat. In West-Berlin hat der Staatsschutz seit Jahren weitgehend
erfolglos dem Treiben zugesehen. Die wenigen Erfolgserlebnisse hat
er Kommissar Zufall und blöden Fehler von einzelnen Leuten zu
verdanken. Ab etwa 1986 ändert sich das. Der Hungerstreik der
RAF 1985 und die darauf folgende Offensive der militanten Gruppen
"Kämpfende Einheiten", oder auch die RZ-Kampagne "Für
freies Fluten", die von anderen Gruppen unterstützt wird,
bringen zunehmend auch kleine militante Gruppen ins Fadenkreuz von
BKA und Staatsschutz. Es folgen Observationen, Durchsuchungen,
Verhaftungen und Verurteilungen, die es in diesem Ausmaß
bisher "nur" gegen bewaffnete Gruppen gegeben hat. Und es gibt
daneben Pannen mit schwerwiegenden Folgen nicht nur repressiver
Art. So kommt in Stuttgart und Hannover bei vorzeitigen Explosionen
jeweils ein Beteiligter ums Leben, in Frankfurt wird bei einer
Strommast-Fäll-Aktion eine Beteiligte lebensgefährlich
verletzt.
1986 fliegt durch einen Zufall ein Teil der
Post-Vertriebsstruktur der seit 1983 illegalen Zeitschrift
"radikal" auf, es gibt diverse Ermittlungsverfahren und Prozesse
gegen Wiederverkäufer. 1987 werden an der Startbahn-West zwei
Polizisten erschossen, danach wird die gesamte linksradikale
Rhein-Main-Szene monatelang aufgerollt, es wird verhaftet und
verhört, mehrere Leute tauchen zeitweise unter. Ende 1987
schlägt das BKA bundesweit nach längerer Observation
gegen (vermutete) Teile der "Rote Zora" und der RZ zu: zwei
Verhaftungen, diverse Untergetauchte. Ende 1988 werden in
West-Berlin aufgrund der Denunziation durch einen
Under-Cover-Bullen zwei Leute als vermutete Mitglieder einer
lokalen terroristischen Vereinigung "Die Amazonen" verhaftet und
gegen mehrere andere ermittelt.
All das bedeutet für viele die Beschäftigung mit der
gefürchteten Soli-Arbeit. Gefürchtet, weil defensiv,
immer gleich, mit wenig Erfolgserlebnissen. Jede sichtbare,
öffentlich bekannte Durchsuchung oder Verhaftung ist
normalerweise nur die Spitze eines Eisberges, unter der sich
weitere Verfahren gegen andere Personen und diverse andere
Komplikationen in ungeahntem Ausmaß ausbreiten. Es gilt,
Flugblätter und Zeitungen zu machen, die Medien oder doch
wenigstens die Szene zu mobilisieren, das ganze irgendwie politisch
offensiv zu wenden, daneben die Leute im Knast materiell zu
versorgen, mit Anwälten zu konferieren. Du mußt dich
stunden- und tagelang damit befassen, wo genau Verrat anfängt,
was gesagt werden darf und was nicht, ob du Prozesse politisch
führen willst oder rein juristisch, wie du die vielen
verschiedenen Interessen der vom Verfahren Betroffenen unter einen
Hut kriegen kannst (was fast nie gelingt), was die möglichen
noch unbekannten Interessen und Informationen der Gegenseite sein
könnten und wo das noch alles hinführen könnte; es
gibt Streit über unterschiedliche Wissensstände,
über Informationshierarchien, Verteidigungsstrategien und so
weiter. So ein Verfahren kann Jahre dauern, selbst wenn am Ende
niemand (mehr) im Knast sitzt, es kostet viel Geld, und so manche
Freundschaft oder politische Gruppe zerbricht daran. In Hamburg
bedeutet etwa die Verhaftung einiger Antifa-Leute Ende der 80er
Jahre und der mit dem ganzen Verfahren verbundene Streß
praktisch das Ende der organisierten Antifa.
In den 90ern nimmt dieser Streß eher weiter zu. Nur ein
paar hervorstechende Beispiele außerhalb Berlins: Auf der
angeblichen Suche nach "der" RAF werden in Hamburg (Hafenstr.) und
Düsseldorf (Kiefernstr.) vom BKA ganze Häuserblöcke
abgeriegelt und Massendurchsuchungen gemacht, die RAF sieht sich
genötigt, öffentlich zu erklären, dass sie
keineswegs in polizeilich observierten (ex-)besetzten Häusern
wohne.
Das Rhein-Main-Gebiet, das sich kaum von den Folgen der
Startbahn-Schüsse von 1987 erholt hatte, wird 1993 erneut
heimgesucht: Nach der BKA-Aktion gegen die RAF in Bad Kleinen, bei
der Wolfgang Grams erschossen worden ist, wird der Szene-Aktivist
Klaus Steinmetz als V-Mann enttarnt. Zu den unweigerlich folgenden
Durchsuchungen und Verfahren kommt also noch das Problem, einen
Verräter mitten unter sich gehabt zu haben. Die linksradikale
Szene ist erneut weitgehend lahmgelegt. Mitte der 90er, die RAF ist
praktisch nicht mehr aktiv, löst die kleine Gruppe
"Antiimperialistische Zelle" (AIZ) mit ihren absurden "potentiell
tödlichen Aktionen" neuerliche Verfolgungen in verschiedenen
Städten aus. Und in ganz Deutschland gibt es zahlreiche
Verfahren gegen Antifa-Gruppen, am bekanntesten dabei ist der
Versuch, die Göttinger "Autonome Antifa (M)" als kriminelle
Vereinigung zu verfolgen.
Die Berliner BesetzerInnen-Bewegung 1990/91 zieht, wieder
einmal, zahlreiche Verfahren nach sich; die in Berlin
neugeschaffene kasernierte Bereitschafts-Polizei führt zu
einer Dauerpräsenz lästiger uniformierter
Schlägertypen in den Kiezen, wie es sie zumindest vor 1987
nicht gegeben hatte. Wer heute die alljährlichen Bullenarmadas
am 1. Mai in Berlin sieht, wird sich kaum vorstellen können,
dass in den 80er Jahren die rasche Mobilisierung von mehr als 400
Bereitschaftspolizisten ein logistischer Kraftakt war.
Aber vor allem ist Berlin nicht mehr länger die
glückselige Insel der faulen Staatsschützer. 1992 wird
bei einer eher zufälligen und chaotischen Antifa-Aktion der
Nazi-Funktionär Kaindl getötet, was eine Spirale von
Durchsuchungen, Observationen und schließlich Verhaftungen
(Ende 1993) nach sich zieht. Zehn Leute ganz unterschiedlicher
Herkunft sind des Mordes beschuldigt, einige von ihnen tauchen
unter, was natürlich zu weiterem Verfolgungsdruck führt.
Die Gefahr, lebenslänglich in den Knast zu müssen
für eine spontane, ausser Kontrolle geratene Aktion, ist eine
bisher unbekannte Bedrohung, bei vielen unmittelbar oder mittelbar
Betroffenen liegen die Nerven blank. Das ganze zieht sich bis 1997
hin, als der Prozeß mit vergleichsweise erträglichen
Strafen endet - auf Kosten allerdings von Cengiz, der als
angeblicher Täter nicht nach Deutschland zurückkann und
nicht lange danach in Kurdistan im Befreiungskampf ums Leben
kommt.
1994 denunziert eine psychisch labile Frau aus Kreuzberg mehrere
ihrer Bekannten aus der autonom-kommunistischen Szene als
angebliche Mitglieder der militanten Gruppe "Klasse gegen Klasse",
was na was wohl – Ermittlungsverfahren und Observationen nach
sich zieht, die allerdings im Sande verlaufen.
Im Frühjahr 1995 kommt es dann knüppeldick: Der
Streß um das Kaindl-Verfahren ist kaum vorbei, als ein
Anschlag der Gruppe "KOMITEE" auf den Abschiebe-Knast in
Köpenick scheitert, was drei Leute zum Untertauchen zwingt und
diverse Durchsuchungen etcetera bedeutet. Nur ein paar Wochen
später folgt im Juni die Großrazzia gegen die "radikal"
in mehreren Städten, mehrere Verhaftete und Untergetauchte,
Ermittlungen gegen dutzende von Personen. Ein ehemals besetztes
Haus in Kreuzberg und ein anderes in Frankfurt/Main können
sich um den Titel "meist-durchsuchtes Haus 1995" streiten. Für
viele Linksradikale stehen 1995/96 nicht selbstbestimmte politische
Aktivitäten im Mittelpunkt, sondern Fragen der Versorgung
Untergetauchter, des Verhaltens bei Zeugenvorladungen und
angedrohter Beugehaft bei Aussageverweigerung oder der juristischen
Prozeßstrategie. Die Tatsache, daß die Gruppe KOMITEE
politische Verantwortung übernimmt und öffentlich
Stellung bezieht zu dem gescheiterten Anschlag (und sich
konsequenterweise auflöst), wird selbst in der Szene oft nicht
unter politischen Vorzeichen wahrgenommen; im Vordergrund stehen
Fragen wie "damit geben die doch zu, daß es sie als Gruppe
gibt" oder "wie wirkt sich das jetzt juristisch auf die
Abgetauchten aus" .
Im Juni 1997 folgt die "Interim"-Razzia, eine der
umfangreichsten Durchsuchungsaktionen der Berliner Polizei
überhaupt, die zwar juristisch folgenlos bleibt, aber zu dem
bekannten Rattenschwanz an Beschäftigung mit dem
zurückbleibenden Trümmerhaufen führt. Nach dem
Anzünden eines Supermarktes im Rahmen einer antirassistischen
Aktion im Herbst gibt es vor allem in Ost-Berlin Fahndungsterror
gegen diverse Leute, und Ende 1997 ist dann die organisierte Antifa
in Berlin dran, mit Ermittlungsverfahren und Durchsuchungen
belästigt zu werden. Im selben Jahr setzen auch
verstärkte Ermittlungen gegen autonome Gruppen wegen
Wurfanker-Aktionen im Zusammenhang mit den Castor-Transporten ein,
die im Juni 1998 in Durchsuchungen gipfeln (auch hier wurden die
Verfahren Jahre später eingestellt).
Die juristische Ausbeute all dieser Anstregungen der 90er ist
gering, nur im Kaindl-Verfahren gibt es einen Prozess mit
Haftstrafen. Da sah es in den späten 80ern teilweise schlimmer
aus. Wichtiger ist wohl, dass darüber die Repressionsorgane
viel Einblick in die linksradikale Szene und ihre Strukturen
bekommen und die Kraft vieler Menschen sich in der
Beschäftigung mit all dem verbraucht.
Wenn sich aus den von langer Hand geplanten
Repressionsschlägen etwas lernen lässt, dann wohl vor
allem dies: Jedes Jahr Mitte Juni und Mitte Dezember sollte man auf
alles gefasst sein.
Folgerichtig ist im Dezember 1999 das BKA wieder einmal dran.
Aufgrund der Aussagen Tarek Mouslis werden insgesamt fünf
Leute als angebliche (ex-)Mitglieder der Berliner RZ verhaftet, vor
allem die ältere Berliner autonome Szene ist schwer in
Mitleidenschaft gezogen: Viele kennen Tarek als alten Genossen, der
zwar nicht mehr politisch aktiv ist, dem aber nur wenige einen
politischen Verrat zugetraut hätten. Die folgende Mischung aus
persönlicher Enttäuschung über diesen Verratsfall,
notwendiger Beschäftigung mit längst vergangenen Zeiten
und relativ geringem Interesse von Seiten der Medien und der
jüngeren Szene führt dazu, dass die Soli-Arbeit auch in
diesem Fall nicht gerade rund läuft und politisch nicht viel
passiert – schnell wird, wie so oft, das Ganze weitgehend auf
die juristische Ebene reduziert.
Immerhin: Diese Konfrontation mit (auch eigener) Vergangenheit
und der Frage, wie damit umzugehen sei, hat eine positive Folge:
Wir machen uns an die Arbeit, und das Ergebnis ist das vorliegende
Buch.
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