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hallo ihr

ich habe gerade zusammen mit Ulrich Zander "das kleine Westberlin-Lexikon" herausgebracht, "von Autonome bis Zapf, die alternative Szene der siebziger und achtiger Jahre", bei Scharzkopf&Schwarzkopf, Taschenbuch, über 300 Seiten, hoffentlich vergnüglich zu lesen, sicher auch für Eure LeserInnen.

Jetzt wurde ich auf Euer Buch aufmerksam gemacht, habe es mir endlich besorgt und kann nur meinen ersten Eindruck mitteilen: verdammt gut. Mit ein klein bißchen Neid muß ich sogar gestehen: In vielerlei Hinsicht besser als das kleine Westberlin-Lexikon. Oft präziser im Detail und anschaulicher in der Illu, authentischer im Tonfall. Man merkt dem Buch an: eben ein autonomes Projekt. Was ich ja von meinem nicht behaupten konnte, da ich es in einer Mischung aus Hobby und Brotjob betrieben habe. Hier nun ein Buch von Leuten, dem anzusehen ist, dass es Leuten gemacht ist, die ihre eigene Geschichte dokumentieren und dabei auf gute alte Tradition nicht verzichten wollen. Historiker der Zukunft, in der Menschen auf das Zeitalter des Raubtierkapitalismus herabschauen wie unsereins auf die Feudalzeit, werden reichlich belohnt, und auch wir Heutigen, so wir denn als "Autonome in Bewegung" oder deren Sympathisanten in den letzten 23 Jahren sich gefühlt haben, können wehmütig-lüstern auf soviel politische Entschiedenheit, raumgreifende Aktionistik und Phantastik einer "kleinen radikalen Minderheit"zurückblicken angesichts einer Gegenwart, in der Untote eine gespenstische Ruhe verbreiten und die Masse in ängstlicher Lethargie verharrt, obwohl derzeit einiges dafür spricht, dass die Parole von der BeeRDigung viel aktueller ist, als sie es in der geld- und wohlstandsstrotzenden Kohl-Republik war.

Was Fakten und Materialien angeht: sowas können nur Insider unter den Outsidern. Auch die Selbstironie kommt nicht zu kurz - hab ich gelacht bei der Dialogstelle: "Die Autonomen, das waren doch damals die, die immer ihre Kippen in Marmeladegläsern ausgedrückt haben."

Gratulation also an A.G. Grauwacke, hinter dem ( bzw. der) sich ein fünfköpfiges Verfasserkollektiv verbirgt. Namen sind Schall und Rauch, und Insider aus der Szene wissen sowieso Bescheid. Potentielle Strafverfolgung kann nicht das Motiv der Anonymisierung sein (oder habe ich die Gewalraufrufe überlesen?) - ist es Bescheidenheit in der Tradition der Kirchenmalerei oder eben nur das Festhalten an der guten alten Tradition - um der lieben Tradition willen?

Und noch ein weiterer kritischer Hinweis: Am Ende (beim Ausblick) stört mich beispielsweise die unklare Sprecherperspektive ( mal ich, mal wir) und die Schwammigkeit der Thesen. Leider komme ich aus Zeitgründen gerade nicht dazu, das genauerr auszuführen – vielleicht demnächst...

Ulf Mailänder, exHausbesetzer, exTaxifahrer, Autor, Persönlichkeits-Coach

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