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"Schwarze Ansichten" - als Afro-Deutsche zwischen Marzahn und
Kreuzberg
1995 war ich das erste Mal in Kreuzberg.
In den betonernen Plattenbauschluchten von Marzahn
großgeworden und als Schwarze Deutsche allzu vertraut mit der
dumpf kalten Wort- und Schlagkraft vieler „armer,
orientierungbedürftiger“ Jugendlicher, erlebte ich
Kreuzberg wie in einer Art befreienden Schockzustand.
Ich weiß gar nicht mehr, was mich dazu brachte, dorthin zu
fahren – ich hatte „zu Haus“ nicht unbedingt
Verheißungsvolles gehört. Nachbarn – entfernte
Bekannte meiner Mutter – hatten mal zwischen Stulle und Bier
was von nem „ausländerverseuchten und asozialen
Ort“ erzählt, „nichts für Kinder und
Frauen“. Das war kurz nach der Wende gewesen, wenige Monate
nachdem zwei ältere Kurzhaarige mir in der Nähe meines
Wohnblocks sehr deutlich vermittelt hatten, ich (wobei sie mich
hier unter leidenschaftlichen Gesten mit dem N-Wort ansprachen)
solle mich nicht mehr in „ihrer Marzahner Jejend uffhalten,
kapiesche? - det würde mir schwarzer Schlampe ja nich jut
bekommen.“ Irgendwas ließ mich damals aufhorchen und
ich fragte meine Mutter später, ob wir mal in „dieses
Kreuzberg“ fahren könnten. Sie meinte, es wär viel
zu weit, sie müsse ja auch arbeiten, und ob sie da am
Wochenende zu Lust hätte – mal sehen.
1998 stand sie, soweit ich das beurteilen kann, das erste Mal
mitten in Kreuzberg – leicht irritiert, beeindruckt,
überfordert, aber sie erlitt kein Trauma, wurde nicht
erschlagen oder vergewaltigt.
Als ich drei Jahre zuvor da war, ging es mir im ersten Moment
ähnlich. Im Gegensatz zu meiner Mutter beschloß ich
jedoch, einfach loszugehen – ich hatte ja kein Ziel, auch
keine Freunde, zu denen ich hätte laufen können. Daher
erschloss ich mir die Gegend ums Kottbusser Tor wie ein fremdes
Land, mit vorsichtigen Schritten nach links und nach rechts,
neugierig suchenden Blicken und mit leichter Panik in der Kehle,
bei jeder Ecke, um die ich bog. Alles schien so unwirklich,
ungeordnet, unbegrenzt. Überall war Bewegung, Lärmen
– so anders als Marzahn, dass schon seit den späten
80igern für mich wie in klammer Erstarrung vor sich
hinvegetierte, mir mir darin und Menschen, die sich von mir
abwendeten, über den plötzlichen Gestank geiferten, wenn
ich mich vor sie setzte, oder mich mit stumpfen, fiesen Augen
musterten.
Als ich recht hölzern und unsicher die Oranienstraße
entlanglief und mir mehrere Leute entgegenkamen, war ich irritiert,
dass niemand besondere Anstalten machte, mich als „den
Fremdkörper“ zu entlarven, dass es niemanden zu
interessieren schien, woher ich kam, wohin ich ging. Ich habe keine
Ahnung, ob es mehr als nur Irritation war, die ich damals bei
diesem AHA-Erlebnis empfand – das Erstaunen über meine
scheinbar „unsichtbare Anwesenheit“ überforderte
mich und ich konnte nicht deuten, welche Möglichkeiten der
Bewegung, der Freiheit und des Überlebens sich hier für
mich boten.
Ich fuhr also zurück, überquerte die fühlbare
Grenze an der Warschauer Straße und stieg in die S-Bahn
Richtung Ahrensfelde, die mich „nach Hause“ brachte:
Als ich am Bahnhof Springpfuhl ankam, spürte ich das
vertrautem Ätzen in der Magengegend, die verkrampften Muskeln
und kalten Hände. Nicht zu unrecht: In den folgenden 7 Jahren
verhalf mir dieser Bahnhof zu einem erstaunlichen Rekord von drei
rassistischen Übergriffen an einem einzigen Ort...
Obwohl ich seit 2000 regelmäßig in Kreuzberg war und
dort u.a. Antira-Arbeit in der „Schwarzen Community“
machte, obwohl der Großteil meines Freundeskreis nicht mehr
in Marzahn angesiedelt war, obwohl es gar keinen sinnvollen, vor
allem aber „gesunden“ Grund dafür gab, blieb ich
bis 2002 dort wohnen – aus Trotz, bitterem Zynismus und weil
ich den Platz unter keinen Umständen räumen wollte. Die
vergangenen fünf Jahre waren eine einzige Tortur, die ich
glaubte, ausstehen zu müssen. Ich wollte den Marzahner
„Fascho-Dumpfbroten“ demonstrieren, dass sie mich nicht
„schaffen“ würden, dass ich zäher war als all
die abgefuckten Rassistenschweine, die mich kannten und die ich
kannte.
Demos gegen Naziaufmärsche in Lichteberg oder
Hohenschönhausen, zu denen Antifas aus dem Ausland (Kreuzberg)
gereist kamen und enormen Ehrgeiz und Tatwillen entwickelten,
hatten oft im Nachhinein für mich einen bitteren
Nachgeschmack. Nicht selten war ich eine von den wenigen, die sich
dann wieder in die S-Bahn Richtung Osten setzte, um „zu
Haus“ versoffenen und stinkenden Nazi-Skins zu begegnen,
denen es dann galt, mit viel Geschick auszuweichen. Im Marzahner
Alltag war ich allein und blieb es auch.
Diese bittere Erkenntnis und die Nervtiraden guter Freunde, die
mir schon seit längerem erzählten, „die letzte
Mohikanerin“ zu spielen, wäre bekloppter Wahnsinn,
brachten mich wohl dann zu der Erleuchtung: Ich entschied mich,
wegzuziehen Es war ein zäher Prozess – von der
Entscheidung bis zu ihrer Umsetzung. Seit einigen Monaten wohne ich
nun in Neukölln, fühl mich wohl und genieße noch
immer sehr bewusst den Luxus, auf die Straße zu gehen ohne
kontinuierlich gerüstet und innerlich verkrampft zu sein.
Dennoch kehre ich regelmäßig zurück
–meiner Mutter und der alten Prinzipien wegen. Auch wenn der
Gedanke, Kreuzberg oder Neukölln seien das Paradies, sehr
verführerisch ist - dieser Illusion hingeben will ich mich
nicht. Ebenso wenig sehe ich mich als „die Marzahner
Exilantin“, die es gerade noch rechtzeitig geschafft hat,
alle Brücken zur „heimatlichen Stätte der
Verderbnis“ niederzureißen und zu fliehen. Vielmehr
habe ich lediglich in nem wachen Moment der Vernunft erkannt und
eingesehen, dass eine Verhältnismäßigkeit nicht
mehr gegeben ist. Die alltägliche Bedrohung war einfach zu
groß geworden und mein trotziger Anspruch auf gleiche
Bewegungsfreiheit hatte angesichts Marzahner Realitäten schon
längst etwas lächerlich Wahnhaftes bekommen.
Natürlich ist Marzahn nicht gleich Kreuzberg oder
Neukölln und es wären schon revolutionäre
gesellschaftliche Umbrüche notwendig, um meinen Umzug
rückgängig zu machen. Ich will auch gerne zugeben, dass
ich ab und zu Pläne einer totalen Zerstörung oder
atomaren Pulverisierung Marzahns im Kopf durchspiele...
Aber trotzdem, ich habe 22 Jahre meines Lebens in Marzahn
verbracht und bin noch immer der Meinung, dass ich das gleiche
Aufenthaltsrecht in dieser Gegend habe wie all die
„blütenweißen Jungdeutschen“, die mir in den
letzten Jahren in teilweise kaum verständlicher Lautsprache
etwas anderes – sagen wir mal – „vermitteln
wollten“. Mag sein, dass dies Relikte meines Starrsinns oder
die letzten Fragmente eines zwanghaften Märtyrertums sind,
aber so recht will ich es wohl noch nicht aufgeben. Daher
ist’s mir irgendwie wichtig, dass zumindest die paar Faschos
in meiner ehemaligen Nachbarschaft noch ab und zu meine
„Schwarze Fresse“ sehen müssen und
Neuhinzugezogene - wie letztens geschehen - lieber noch mal die
Treppe hinunterlaufen, auf die Briefkästen schauen, um auch
sicher zu gehen, sich nicht im Haus geirrt zu haben. „Ja,
guten Tag auch“, habe ich da gesagt und ein verstörter
Blick gab die Antwort. Ach, habe ich mir gedacht, kann schon
schön sein - hier zu Besuch in Marzahn...
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