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meine Erfahrungen
1980 bin ich davon ausgegangen, daß sich in den
kapitalistischen staaten die gesellschaft auflöst, das letzte
drittel wird abgekoppelt, versinkt in drogen und armut und bildet
gleichzeitig den nährboden für eine erfolgreiche
revolution. Wir besetzen häuser, 10.000de gehen auf die
strasse gegen das spekulantenpack in westberlin, lohnarbeit ist
überflüssige scheiße, weil es gibt ja geld vom
staat – und den rest klauen wir. In den armutsgebieten
enstehen die inseln der seeligen, es geht nicht nur um die
bekämpfung von staat und kapital, sondern es geht konkret um
räume, gebiete, no-go-areas für bullen, staat,
zuhälter, dealer, nazis und was es sonst noch an feindbildern
gibt. Wir machen die soziale revolution, befreiung ist nix
abstraktes, sondern konkrete tägliche arbeit im kollektiv,
selbstbefreiung.
1980 besetzen wir mit 11 leuten ein haus in kreuzberg, die
besten lagen in „so36“ sind schon vergeben, aber wir
finden was passendes auf der anderen seite vom kanal wir schlafen
in einem zimmer, essen im anderen, waschen uns selten (meistens
1xwöchentlich in einem institut der fu, wo wir ungestört
die duschen „besetzen“ können...), organisieren
hauswachen für die nächte, feuerlöscher im
treppenhaus, knüppel neben dem funkgerät – die
revolutionäre garde in aktion, nein, nicht
„garde“, aber die anderen sollen uns in ruhe lassen,
die können ja ihren scheiß machen, wie sie das für
richtig empfinden, sie sollen uns nur nicht in die quere
kommen.
Samstags sind demos, jeden samstag sind demos oder
besetzerräte oder treffen oder kiezküche, kiezdisco oder
walter am heinrichplatz, wichtige treffen mit wichtigen leuten zu
wichtigen fragen. Wir schaffen es eine ganze weile einmal
wöchentlich morgens um 4 (oder war es doch erst um 5?) mit
einem lastwagen auf den fruchthof zu fahren: obst abgreifen und
gemüse für eine ganze woche für 3 häuser, ist
viel billiger, genauso, wie die kohlenaktionen: uralte
transportgefährte werden auf dem güterbahnhof gemeinsam
mit briketts vollgeladen, bis die karren fast auf den
radkästen aufsetzen. Wir schaffen mit 10, 12 oder 15 leuten am
tag so viel, wie die profis, die kohlenschlepper zu dritt an einem
vormittag – die amüsieren sich auch köstlich, aber
sie machen uns wenigstens nicht an.
Mittlerweile sind so viele zimmer im haus so weit renoviert,
daß wir aus der funktions-wg in unsere eigenen zimmer
flüchten können:
schritt eines auflösungsprozesses.
2. schritt: neueinzug ins haus von einer bande punks. Die
studieren nicht, die haben meistens nicht mal einen
schulabschluß, die trinken ganz viel, kiffen noch mehr, denen
ist anscheinend völlig egal, wie ihre zimmer aussehen. Die
haben aber immer hunger, nie geld und auch keine besonderen
politischen interessen, klar, staat is voll scheiße ehy und
überhaupt, aber verhandeln um das haus oder kämpfen?
Patriachale strukturen in den eigenen reihen angreifen? Echt arbeit
stecken inne hütte die eh bald geräumt wird?
Schöner wohnen?
Eine war mit 14 aus einer norddeutschen stadt getürmt,
weggerannt vor prügel, suff und mißbrauch in elternhaus
und heimen, hatte sich einen ganze weile auf der strasse
rumgeschlagen, war in berlin gelandet und letztendlich bei uns
untergekommen. Da sitzt sie nun auf unserem plenum und soll damit
klarkommen, daß von ihr erwartet wird, sie möge doch
bitte genauso kochen, wie die anderen auch. Und wenn sie für
den einkauf kein geld habe, dann solle sie sich halt was einfallen
lassen, so gehe das nicht, überhaupt, ey, wir gehen ja auch
nicht nur studieren, wir arbeiten ja auch noch nebenher, also? Also
geht punki arbeiten: morgens um 6 die kotze aus den
ausnüchterungszellen in der friesenwache wegputzen, nen
anderen job hat sie nicht gekriegt... aber ihr liegt ja an einem
zuhause.
Die revolution findet nicht statt, es entstehen keine neuen
formen von zusammenleben, die alten, ach so gehassten
verhältnisse stellen sich auch bei uns ganz schnell wieder
her:
spiel nicht mit den schmuddelkindern, sing nicht ihre
lieder...
1982: der bulleneinsatz anläßlich der räumung
unseres hauses incl. etwas müder randale am kotti als
erlösung (da isse wieder dabei, die punkfraktion...).
es gibt kein richtiges leben im falschen.
Aber:
Ich will es gar nicht hinkriegen, ich will nicht meine liebe mit
einem anderen teilen, die freie liebe scheitert an meinen
kleinbürgerlichen strukturen, mordgedanken im kopf,
heiße tränen im gesicht (hoffentlich siehts niemand) und
möglichst große mengen alkohol im blut –
emotionale unausgeglichenheiten in kombination mit zacken
feurigster eifersucht sind das ende jedes revolutionären
gedanken. Was hat er was ich nicht habe? Scheint eine, zumindest
für mich entscheiden größere bedeutung zu haben,
als die frage, warum unsere sozialen beziehungen eigentlich nichts
weiter waren, als ein abklatsch der erfahrungen und vorurteile, die
wir zuhause vermittelt bekommen hatten. Der revolutionäre
impetus verschiebt sich mangels fähigkeit, supervision,
revolutionärem bewußtsein oder was auch immer von der
konkreten ebene sozialen miteinander lernens hin zum
theoretisierenden gespräch und der praxis der strasse. Die
demos werden militanter, der habitus auch und das fröhliche
gefühl von aufbruch, neuen welten und befreiung weicht einer
schwarzen uniformierung. Aus besetzerräten mit eingebauter
„hier darf jede(r) reden“-garantie werden
kaderveranstaltungen, auf denen radikalgebildete junge und nicht
mehr so junge frauen und männer über den richtigen, den
einzig wahren weg zur befreiung schwadronieren.
Der bunte menschenhaufen zerlegt sich in fraktionen, einige
bringen sich um oder werden umgebracht oder sie verlagern ihren
traum von einem menschlicheren umgang der menschen nach el salvador
oder nicaragua, als wäre ein befreiungskrieg mit der befreiung
von der eigenen biographie und den eigenen unfähigkeiten oder
von der geschichte der eigenen familie verbunden.
Viele finden sich in ballerburgen wieder, täglich auf der
strasse und auf der suche nach gelegenheiten, um an geld für
den stoff zu kommen. Viele verschwinden in der normalität
eines alltags, den sie nur für kurze zeit, sozusagen im rahmen
eines „schnupperkurses alternatives leben“ verlassen
hatten, wenige verlassen die psychiatrieen nur noch
phasenweise.
„Wir können hinter dem Annehmen eines Schmerzes oder
eines wichtigen Mangels unsere Sehnsucht entdecken. Ich möchte
mich mit dem Schmerz über die kolonialistische Grenzziehung
quer durch alle Völker zur Absicherung der Ausbeutung vieler
nicht abfinden - mir erscheinen viele Menschen sogar ganz
abgeschrieben (nicht mehr ausbeutbar) und des Lebensrechtes
beraubt. Mit ihnen will ich nach der Würde aller Menschen
suchen und dafür kämpfen.“
Für mich ist mit dem ende revolutionärer utopie die
revolution noch nicht begraben: wer sucht der findet, ich finde
feierabendterroristen super anziehend, tarne mich bürgerlich
und studiere brav, aber ohne engagement weiter.
Je größer die inneren widersprüche zur jetzt
genauer gesehenen realität gesellschaftlichen lebens und den
lauthals singend vor sich hergetragenen glaubenssätzen werden,
desto größer wird das bedürfnis nach einem
theorie-skelet, das man mit den fetzen fleisch behängen kann,
die die szene-nachrichten als die wirklichkeit ausgeben.
Anläßlich von sabra und shatila war ich noch gnadenlos
revolutionär genug, um von der endlösung der
palästinenserfrage durch den zionismus zu faseln.
Die praxis ist was andres: die praxis ist das, was die szene
nicht in bewegung setzen kann, sind soziale verhältnisse, die
in der szene immer mehr verkrusten und ähnlich vernagelt
werden, wie das nach 1968 schon mal passiert war. Drumherum tobt
das leben und die zahl an ausgegrenzten, armen, obdachlosen,
hilflosen steigt von jahr zu jahr.
1987 explodiert ein strassenfest in unserem kiez und die szene
feiert das ereignis, als wäre es ein akt der befreiung
gewesen. Übersehen wird, daß in der mariannenstrasse
eine frau vergewaltigt wird, daß jede menge
krämerläden platt gemacht werden, daß im
bolle-freudenfeuer menschen nur deshalb nicht sterben, weil noch
ein wenig nüchternere sie aus dem brennenden inferno auf die
tobende strasse schleifen.
„Meine Hoffnung ist nicht eindimensional, ich kann nicht
auf eine Idee alleine setzen. Doch sie wird angestachelt von dem
Wunsch nach Einheit in mir, mit anderen und mit der ganzen uns
bewusstwerdenden Geschichte.
Meine Vision heißt Heilung, Respekt vor Trauer,
während Totes losgelassen und Lebendiges neu angenommen werden
kann.“
Armut und elend machen nicht klug, menschlicher, respektvoller
im umgang mit sich oder den anderen, die klasse ist für solche
begriffe kein bezugsrahmen, rassismus, menschenverachtung,
judenhass, ausbeutung der menschen durch den menschen sind
gemeinsam getragener alltag von fast allen.
Vorbei die zeiten umfassend gewünschter veränderungen,
angekommen im kompromiss und auf der suche nach bündnissen mit
den mächtigen, da, wo sie vielleicht doch auch was gegen nazis
haben könnten zum beispiel. nazis sind kein randproblem, sie
sind die bleibende kraft aus der mitte, ein eckpfeiler deutschen
bluts und deutschen denkens – um mal ihren eigenen
pathetischen slang zu gebrauchen. (Deshalb ist es auch meistens
sinnlos nazis zu schlagen, es gibt einfach zu viele davon und
für alle reicht die eigene kraft nicht ...)
Andere länder haben andere probleme, schmutzflecken auf der
weste, massenmorde in den kramecken ihres unterbewußtseins,
abteilung geschichte. Oder sie praktizieren ihn weiter, den
massenmord, er findet an vielen ecken der welt weiter statt.
Aber wir deutschen haben den massenmord erstmalig in der
geschichte der menscheit zu einem verwaltungs- und
organisationsproblem mit industrieller lösung fortentwickelt
und zum staatszweck erhoben. Die kämpfende verwaltung hat
ihren führerauftrag mit der unterstützung der massen auch
noch wahrgenommen, als klar war, daß der krieg verloren ist:
die judenvernichtung als übergeordnetes ziel, wichtiger, als
das eigene überleben und die eigene zukunft.
Diesen hass streift man nicht ab, wie kreuzberger
hundescheiße vom schuh, der lebt weiter, beweist sein
generationenübergreifendes vorhandensein auch bei den linken.
Und bei meinen patienten, die zu der gruppe gehören, von denen
du sagst, ihnen werde in neokapitalistischen zeiten die
existenzberechtigung abgesprochen. Letztens hat mir jemand, den ich
schon sehr lange kenne und der jahrelang mein patient war,
erklärt, die juden seien an allem schuld, die seien die pest
auf dieser erde. Ich hab ihm gesagt, daß er mich mit solchem
dreck in ruhe lassen soll – seitdem ist er nicht mehr
aufgetaucht und ich bin ihm kein stück böse darum.
Ich sehe die taten der opfer der taten der opfer der taten
Ich sehe meine kinder und suche gott. Ich kann nicht vergessen
und die toten nicht ruhen lassen, ich sehe ihre spuren und die
spuren der täter in den anderen und auch in mir. Eine vision
habe ich nicht, höchstens einen traum die meinen und mich
retten zu können in eine heilere welt.
Juli 2003 in berlin kreuzberg, wo sonst?
c.
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