logo Home Projekt Buch Archiv Diskussion E-Mail

Beiträge

Rezensionen

Materialien

Gegenseite

Ferne nahe Welten

Es war 1990/91, als wir, Frauen aus dem Osten, unser Redaktionsteam der Frauenzeitschrift YPSILON um Westfrauen erweitern wollten. YPSYLON erschien im BasisDruck Verlag, dem Verlag der Bürgerbewegungen, und war eine der Unwägbarkeiten, die die Herren Editoren sich geleistet hatten, vermutlich, weil genug Geld mit dem Buch "Ich liebe Euch doch alle" über Erich Mielke, den Stasi-Chef, hereingespült worden war. Also - Westfrauen her, damit die Erweiterung unseres Leserinnen- und Verkaufskreises leichter fiele. Auch, damit wir thematisch nicht zu lange vom West-Feminismus abgekoppelt blieben. Wir bekamen hochkarätige West-Redakteurinnen, wahrscheinlich, weil unsere Zeitschrift für viel Aufsehen gesorgt hatte auch im Westen, weil sie ein hervorragendes Layout hatte und Möglichkeiten verhieß, von denen die Westfrauen lange geträumt hatten. Unsere ersten Redaktionssitzungen brachten es an den Tag: Die Ostfrauen hatten alle Kinder, die Westfrauen hatten alle keine. Außerdem waren zwei der Westfrauen Lesben und hielten, unter der Hand, Lesbentum für das wahre Unterpfand des Feminismus. Ich glaube nicht, daß "wir aus dem Osten" daran irgendeinen unbewußten Anstoß nahmen, im Gegenteil, wir verhielten uns ausgesprochen lesbophil, da dieser Aspekt unsere Ostgruppe völlig gefehlt hatte. Schwierig wurde es, einen Rhythmus zu organisieren für unsere Redaktionsarbeit. Wir Ostfrauen, jahrelang frühes Aufstehen und Gänge in die staatlichen Kindereinrichtungen gewöhnt, saßen morgens um acht Uhr in der Schliemannstraße und warteten, die Westfrauen wollten aber frühestens zwei Stunden später beginnen. Wir Ostfrauen hauten gegen fünfzehn Uhr ab, um die Kinder wieder aus Kindergarten und Krippe zu holen, die Westfrauen liefen zu dieser Stunde zur Höchstform auf und mokierten sich, weil wir nicht dablieben. Wir kamen schließlich in den Abend- und Nachtstunden wieder zurück, da waren aber die Westfrauen schon weg... (Ich machte deswegen sogar meinen Führerschein, denn ich wohnte weit draußen, in Hellersdorf, und es war manchmal schwierig gewesen, nach einem solchen Nachteinsatz, der auch Gänge in Druckereien enthielt, wieder nach Hause zu kommen.) In den (wenigen) gemeinsamen Vormittagsstunden dann gegenseitiges Belauern, wer denn was gemacht hätte. Alles in allem muß ich sagen, daß die Ostfrauen allein wegen ihres zweimaligen Erscheinens am Tag den überwiegenden Teil der Arbeit schafften, die Westfrauen das aber gar nicht so sahen und immer wieder überrascht waren davon, was alles schon fertig war. Die allgemeine Mißstimmung hielt an, bis wir uns zusammensetzten und uns in einer (dokumentierten) Runde "unser Leben" erzählten. Was da an gegenseitigem Verständnis wuchs, war enorm, und wir haben diese Gesprächsrunde, freilich mit veränderten Namen, auch in der Zeitschrift als Ost-West-Begegnung verwurstet. Von da an gings bergauf in unserer Redaktion, was das gegenseitige Verständnis betraf, aber leider bergab hinsichtlich der Verkaufszahlen - der Verlag hatte kein Geld mehr und konnte für unsere Werbung nichts aufbringen. Trotz enormer Verschlankung, der Übernahme der Druckkosten durch die Regenbogenstiftung und anderer versuchter Tricks und Finessen mußten wir irgendwann aufgeben - und waren traurig. Das waren wir alle zusammen, da machte es keinen Unterschied mehr, ob wir aus dem Westen oder aus dem Osten stammten. Obwohl wir uns in den kommenden Jahren aus den Augen verloren, denke ich oft an diese Zeiten zurück. Vor drei, vier Jahren las ich aus meinem damals erschienenen Roman in einer Westberliner Frauenbuchhandlung. Eine der ehemaligen West-Redakteurinnen war unter den Gästen. Sie, eine Lesbe, erzählte mir, daß sie sich zu einem (späten) Kind entschlossen hätte, das zu Hause auf sie warte, und sie hätte das auch getan, weil ich ihr immer vorgeschwebt hätte als Beweis, daß das doch gehen muß. Mit meinen damals vier Kindern ...

Kathrin Schmidt, Schriftstellerin

zurück zur Übersicht

nach oben