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Frühe Autonome
Als sich in West-Berlin und West-Deutschland Anfang der
achtziger Jahre die Szene etablierte, deren Protagonisten sich
Autonome nannten, war ich schon ein paar Jahre kein Autonomer mehr.
Denn anzunehmen, dass der Begriff Autonomie in der radikalen Linken
erst in den achtziger Jahren geprägt worden sei, ist eine
ignorante Geschichtsbetrachtung.
Bereits seit Mitte der 70er Jahre erschien die Zeitschrift
"Autonomie", die von undogmatischen Linksradikalen, später
"Spontis" etikettierten Gruppen vor allem aus München, Hamburg
und Frankfurt gemacht wurde. Verlegt wurde die Autonomie vom
Münchner Trikont-Verlag; erheblichen intellektuellen Einfluss
hatte der Hamburger Arzt Karl-Heinz Roth. Theoretisch bezogen wir
uns stark auf den Italiener Toni Negri, der im Rahmen seiner
neo-marxistischen Klassenanalyse im akademischen Proletariat,
marginalisierten Jugendlichen, Migranten und jungen Arbeitern ein
neues revolutionäres Subjekt ausmachte. Praktisch gab es
Ansätze von Fabrikarbeit, Stadtteilarbeit und Arbeit mit
Immigranten.
Diese autonome Szene war in den siebziger Jahren eine
Alternative zu den maoistischen und trotzkistischen Kleinparteien
und den Moskau-Kommunisten, die dem undemokratischen Leninschen
Organisationsprinzip anhingen und ? je nachdem - Leonid Breschnew,
Mao Zedong, Enver Hodscha, Pol Pot und andere Lichgestalten des
Weltkommunismus glorifizierten. Wir Autonomen lehnten den Griff in
die Requsiten-Kiste der internationalen Arbeiterwegeung ab und
versuchten stattdessen die libertären, gegenkulturellen und
antiautoritären Elemente der Studenten- und Jugendbewegung der
sechziger Jahre weiterzuentwicklen.
Nicht uninteressant ist, was aus manchen dieser frühen
Autonomen später so wurde. In der Frankfurter Szene gab es
Thomas Schmid, damals eine Art Chefideologe, der heute
schwurbelig-staatstragende Leitartikel in der FAZ verfaßt.
Matthias Beltz (der traurigerweise letztes Jahr gestorben ist)
machte eine steile Karriere als Kommödiant. Joschka Fischer
war meiner Erinnerung nach noch eher eine Randerscheinung.
Aus der Münchner Abteilung ist Gisela Erler zu einer
renommierten Soziologin avanciert. Herbert Röttgen wurde zum
Verleger und Propagandisten esoterischer und spiritueller Ideen.
Achim Bergmann bringt nach wie vor mit dem unabhängigen Label
"Trikont ? Unsere Stimme" mehr oder minder abseitige und
genialische Musik unter die Leute.
Im Sommer 1977 war ich länger in Italien unterwegs, unter
anderem mit Autonomen in Mailand. Was mich neben der relativ
ahnungslosen Idealisierung der RAF bei den italienischen Genossen
irritierte, war, dass sie sich die PCI, die kommunistische Partei,
zum Hauptfeind erkoren hatten. Nachts, beim Parolen-Malen, waren es
nicht die Bullen, vor denen wir auf der Hut sein mußten,
sondern die jungen PCI-Kader. Sie auszutricksen und eine Parole auf
den Mauern eines PCI-Büros zu plazieren, war das höchste
Ziel.
Mir erschien das Weltbild der italienischen Genossen, obwohl sie
sehr nette und solidarische Typen waren, ziemlich abseitig und ohne
politische Perspektive. Dazu kam noch, dass die autonome Szene in
Italien von einer wahren Heroin-Epidemie erfasst worden war ? mit
allen destruktiven Folgen. Bizarr war auch die Mystifizierung von
Gewalt durch einige Genossen, deren Fraktion, wenn ich mich richtig
erinnere, "P 38" gennannt wurde, weil sie aus Demos heraus mit
Pistolen schossen - ironischerweise am liebsten mit einer Walther P
38, der Standardhandfeuerwaffe der deutschen Wehrmacht im Zweiten
Weltkrieg.
Im Herbst 1977 kam ich vor diesem Hintergrund einigermassen
desillusioniert nach West-Berlin zurück, und nach dem
"Deutschen Herbst" (der Schleyer-Entführung und den RAF-Toten
in Stammheim) war es meine Konsequenz, aus dem hoffnungslosen Krieg
gegen den Staat und seinem Repressionsapparat auszusteigen. Der
Tunix-Kongress im Februar 1978 diente bald als Katalysator für
den Aufbau selbstverwalteter Projekte. Schließlich
gehörte ich zu den vielen Leuten, die die taz
gründeten.
Als Anfang der achtziger Jahre im Kontext des West-Berliner
Häuserkampfes Autonome auftauchten, und ich als taz-Redakteur
über diese Bewegung schrieb, kam es permanent zu bösen
Konflikten. Mich, der ich in West-Berlin aufgewachsen war,
störte bei den Autonomen schon die Dominanz der
Süddeutschen, die eine umso größere Klappe hatten,
umso weniger sie die West-Berliner Linke und Politik allgemein
kannten. Ich hatte zudem den Verdacht, dass viele von ihnen,
nachdem sie ein zeitlang den wilden Mann markierten, sich aus der
Politk verabschieden und ordentliche bürgerliche Karrieren
anstreben würden.
Die Autonomen der achtziger Jahre waren eine neue Generation,
deren Aktionskult, Arroganz und Ahnungslosigkeit ich gut aus
eigener Erfahrung nachvollziehen konnte, aber deshalb umso mehr
ablehnte. Vor allem aber sah ich im Häuserkampf keine
revolutionäre Situation, hielt die Zuspitzung des Konflikt auf
einer militärischen Ebene für hoffnungs- und
verantwortungslos. Stattdessen lag für mich - als Prototyp des
reformistischen Verhandlers - das entscheidende Ziel darin, die
durch das Versagen der staatlichen Wohnungspolitik und die Breite,
aber auch die Militanz der Bewegung entstandene Stärke zur
Absicherung möglichst vieler Freiräume zu nutzen. Das ist
bedingt auch gelungen.
Michael Sontheimer, SPIEGEL-Korrespondent in London
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