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Die Leiden eines Nicht-Autonomen

Wilfried, 49 Jahre und so lang wie alt Westberliner; Betroffener, Akteur und Zuschauer in den politischen Auseinandersetzungen der Stadt seit Mitte der 70iger; persönlich eingebunden in verschiedene kollektive und gleichberechtigte Experimente die Bereiche Wohnen, Alltagsökonomie, Arbeit, politische Betätigung und soziale Beziehungen zu verbinden; unbeabsichtigter Sympathisant, Mitstreiter, Gegner, Kritiker und Bewunderer autonomer Politikansätze.

Es begab sich also zu der Zeit, in der die von allen Autonome Genannten den Anspruch in Berlin zelebrierten, der Maßstab für jegliche linksradikale politische Bewegung zu sein. In Berlin-West schien damit für einige Jahre ein sonst nervendes Problem in der linken politischen Auseinandersetzung aus der Welt geschafft zu sein: woran lässt sich die wahrhaftig revolutionäre und radikale Position erkennen? Antwort: an einer schwarzen Lederjacke! - So war der Unterschied zu sonstigen antikapitalistisch, kollektiv, selbstbestimmt, emanzipatorisch und politisch arbeitenden Gruppen und Bewegungen für einige Zeit klar definiert. Wir, die Anderen, firmierten nämlich in der Folgezeit unter dem Namen Reformer (damals noch ohne Innen).

Zum Reformist geboren...?

Dieses klare Weltbild ließ zu jener Zeit keine Zweifel: als ein Mitglied in einem selbstbestimmten Handwerksbetrieben traf mich das Los, leider nur zum Reformer tauglich zu sein. Durch meine Arbeit im Kollektivbetrieb sogar einer mit besonders schwerer ‘Schuld’, weil ich wissentlich und absichtlich mit solidarisch organisierter Selbstausbeutung dem Schweinesystem die Steigbügel hielt. Ich befand mich damit so ziemlich im ganzen Gegenteil zum autonomen Leitbild des Gelderwerbs. Der ständig krankfeiernde und zeitschindende Jobber/in bei Solex (bevorzugtes Unternehmen mit einem linken Betriebsrat) nämlich entsprach der damaligen Reproduktionsmode. Eigentlich stellte das Jobber-Kollektiv den autonomen Hit dar: möglichst viel Geld - in kurzer Zeit - ohne Festlegung. Über das Stadium einiger Prototypen kam das Modell allerdings nicht hinaus.

So war ich also Reformist, und wurde als solcher gelegentlich auch persönlich so angesprochen, was ich versuchte tapfer und mit Anstand zu tragen. Das linke Ghetto in Berlin sah es aber nun mal so vor, dass sich die Wege der autonomen HausbesetzerInnen und der brötchenbackenden KollektivistInnen ständig kreuzten.

Besuche in anderen Stadtbezirken, außerhalb von Berlin-Kreuzberg und allenfalls noch Schöneberg, fanden nur auf Demo-Routen im Rahmen der traditionell geschlossenen Veranstaltungen statt. So konnte jede/r nach seiner/ihrer facon nicht so richtig ungestört selig werden, denn das Auslaufgebiet für radikale Linke war - wie gesagt - selbstgewählt auf einige Quadratkilometer in Berlin begrenzt. Begegnung auf Demos, Veranstaltungen, Festen, Aktionen, etc. waren zwangsläufig, persönliche Freundschaften durch parallele Biographien häufig und Überschneidungen in Wohngemeinschaften und an Arbeitsplätzen wurden zumindest billigend in Kauf genommen.

Es nutzten einzelne Autonome durchaus Arbeitsplätze in Kollektivbetrieben und verhielten sich dort mitunter recht handzahm, waren rein äußerlich schwer auszumachen. Die Mitarbeit in Selbstverwaltungsprojekten wurde unter Autonomen selbst als rein taktische Variante zum Geldverdienen gehandelt, solange niemanden politische Ambitionen dort zu Ohren kamen. Das richtig ernsthafte (politische) Leben fand natürlich auf der Straße oder sonstwo statt! Trotzdem wurde so manches Plenum zum Marathon durch autonome Positionen. Auseinandersetzungen über persönliches Befinden, soziales Gruppenverhalten und die nie enden wollenden betrieblichen Alltagsentscheidungen z.B. über die eigene Entlohnung, waren so unglaublich unmittelbare Realität, dass autonome Bewertungsraster sie nicht richtig erfassen konnten. Mehr Kohle wäre schon o.k., aber dafür der proletarischen Kundschaft mehr Geld abknöpfen.....? Diese Verwirrung im Ortungssystem führte u.U. dazu, dass im Zweifelsfall lieber nichts entschieden wurde, weil im Zweifelsfall ein nichtautonomer Rückfall nicht nachzuweisen war. Und soziale Konflikte waren halt’ höchstens Nebenwidersprüche, etwas für die Zeit nach der Revolution.

Harte Schale - weicher Keks

Es hatte sich dann aber doch herumgesprochen, dass in den kollektiven Selbstausbeutungsklitschen phasenweise ein ganz menschlicher Umgangston gepflegt wurde, der auch Individualität und persönliche Leidenschaft gegenüber moderat blieb. Das war damals in den besetzten Häusern offenbar nicht immer selbstverständlich, so sickerte zeitweise vermehrt der Kreuzberger Hochadel zu dieser taktischen Liaison in die Betriebe. Soziale Akzeptanz in Anspruch nehmen o.k., Geldverdienen auch o.k., aber eigenes politisches Engagement einbringen? Nein, dass wäre nun wirklich Perlen vor die Säue....... So fühlte ich mich manchmal wie die Sozialambulanz für die kämpfende autonome Truppe, zuständig für den weichen Kern, der wirklich und wahrhaftig hinter manchen harten Schale zum Vorschein kam.

Andererseits verweigerten sich u.a. aber gerade die VertreterInnen autonomer Politik massiv und ausdauernd (z.T. bis heute) an kollektiven Arbeits- und Sozialprozessen - als Teil eines Alltagsexperimentes - prägend mitzugestalten, eine gewollte politische Ausrichtung zu geben. Sei es als Versuchsfeld für postrevolutionäre Produktions- und Organisationsprozesse oder für alternativ-ökonomische Gegenmodelle, jedem praktischen und alltagstauglicher Organisationsversuch wurde rundweg die politische Relevanz abgestritten. Neben den seichten Müslis waren autonome VertreterInnen die härtesten Trotzköpfe. Sie wollten ihr Primat der Politik partout nicht teilen und schon gar nicht mit solchen kollektiven Gurkentruppe!. Nun trieb uns der Gegner durch geeignete Volkszählungs- und Nato-Nachrüstungsbeschlüsse oder Reagan-Besuche häufig genug alle gemeinsam auf die Barrikaden. So blieb die Frage selten offen, ziehe ich mit meinem autonomen Zusammenhang/besetzten Haus ins Feld oder mit meinem Kollektiv dem Tränengas entgegen.

So gab es von beiden Seiten zwar GrenzgängerInnen und Überschneidungen, doch zu keinem Zeitpunkt einen öffentlichen Diskurs zwischen kollektiven und selbstorganisierten Alltag in Sozial-, Kultur- und Arbeitsprojekten einerseits und der damaligen radikalpolitischen, autonomen Aristokratie. Ein Fakt, der beiden Bewegungselemente letztlich teuer zu stehen kam, die autonome Politik mit dem zunehmenden Verlust der Nähe zur alltäglichen gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit, auch ihrer Mitglieder. Und die vielen Selbsthilfehäuser und Fahrradkollektive letztlich bezahlten ihre wackeligen ökonomische Existenz mit der großflächigen Entpolitisierung ihres (Betriebs-)Alltages.

Ich persönlich war als Reformer auch erleichtert weder autonome Rollenerwartungen im politischen Tagesgeschehen in Wort und Tat ständig originär ausfüllen zu müssen, noch jeden Volxsport schlüssig politisch begründen zu müssen. Bei Militanzdebatten konnte ich mich geschickt an meiner klammheimlichen und irrationalen Freude wärmen, während andere Fraktionen in der politischen Asche bei Bolle nach brauchbaren Argumentresten stochern mussten. Die übliche Wortradikalität autonomer Kommunikation wirkte auch befreiend, auf alle Fälle als Aufbauprogramm nach kollektiven Dauerplena mit Entscheidungsvertagung als Höchststrafe. Weg mit dem - Schweinesystem, die Silbenanzahl stimmte zwar für diesen Reim nicht, bestach dafür durch schlichte Präzision.

We want the whole fuckin...

Doch genau da begannen auch schon wieder die Probleme in der Praxis. We dont want only one cake - we want the whole fuckin bakery, yeah! Aber in der Schürze hinterm Ladentresen einer Kollektivbäckerei treibt einem das Schweißperlen auf die Stirn.....das wird doch wohl niemand ernsthaft in Erwägung ziehen?

Leben ohne Hierarchie, gut gesagt, doch im gemeinsamen Betriebsalltag mit jungen und älteren, erfahrenen und unerfahrenen GenossInnen, mit HandwerksmeisterInnen und frischen SchulabgängerInnen verlor sich die revolutionäre Erotik dieser Aussage in Streitfällen Auseinandersetzungen. Hoch die internationale Solidarität, ja sicher, aber im gemeinsamen Arbeits- und Wohnalltag mit Sprachbarrieren, kultureller Unwissenheit, unterschiedlichen Alltagsgewohnheiten (z.B. Pünktlichkeit) und einem ungewollten Aufenthalt in Deutschland nahm die Problemlawine so richtig Fahrt auf, bis autonome Bewegung und kollektive Lebens- und Arbeitsprojekte einheitlich und mehrheitlich erdrückend zu einer deutschen Angelegenheit wurden.

Geschlechteremanzipation, ist doch als Forderung selbstverständlich, allerdings bei der direkten alltäglichen Zusammenarbeit, der unterschiedlichen Sozialisationen, die körperlichen Belastung im Handwerk, die vorherrschende Geschlechterdominanz z.B. aufm Bau,.....ein schwer zu lösendes Problemknäuel.

Und so hatte ich den Eindruck ungewollt und ungefragt die verlängerte Werkbank autonomer politischer Forderungen zu sein, die Schwitzbude für alle Details, zuständig für die praktische Untersetzung der Parolen auf den Leittransparente, die Laborküche für die wortradikalen und autonomen Anspruchsrezepte.

Nachts die Schlösser von Tschibo als politische Subversivtat verkleben und tagsüber ungeniert dort selber den billigen Blutkaffee für 50 Pfennig am Stehtisch schlürfen. Diese autonome Leichtigkeit des Seins fehlte an den Lenkrädern der Taxikollektive, den Hobelbänken der selbstverwalteten Holzmanufakturen und den Beratungstischen antikapitalistischer Sozialprojekte. Bei der Rückkehr von spontanen Unterstützungsaktionen bei Räumungen besetzter Häusern erwartete uns lediglich eingetrocknete Farbe auf der Druckerwalze oder verbrannte Brote im Backofen.

Bei aller Rivalität und politischen Gegensätzlichkeit, mit einem Auge schielte ich doch immer zu den radikalen Brüdern und Schwestern. Zu bestechend und verlockend erschien mir doch die Möglichkeiten, mit steilen Thesen und gut klingender Radikalität Flublätter und Transparente zu füllen, ohne mich um die ganze Scheiß Umsetzung im normalen Leben scheren zu müssen. Was schert mich mein Geschwätz von gestern beim heimlichen Standby-Flug nach Gomera. Das muß doch ein geiles Gefühl sein!

Und so bleibt allein zurück: der Reformist mit seinem Neid auf die Autonomen!

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