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Mir war so schlecht
Ich heiße Marina, bin 48 Jahre alt und lebe seit 1988 in
Berlin-Hohenschönhausen. In der DDR wuchs ich behütet und
in ordentlichen Verhältnissen auf. Von Beruf bin ich
Bauzeichnerin und Diplomingenieurin für Lebensmitteltechnik.
Nach der Wende nutzte ich die Gunst des Augenblicks und war in
anderen Bereichen tätig oder arbeitslos. Ein gewisser Witz ist
mir deshalb nicht abhanden gekommen, was bedeutet, ich bin
belastbar und lerne gern. Die neuen Aussichten hatten mich
beschwingt und ich war gespannt auf alles Mögliche.
Einmal hörte ich von einem Autonomen-Treffen. Das klang
geistreich, frei und abenteuerlich. So fuhr ich dorthin nach
Potsdam. Gutgelaunte junge Leute in dunkler schmuddeliger
Aufmachung begegneten mir. Einige hörte ich angeregt über
Studienprobleme diskutieren, einzelne rauchten Selbstgedrehte,
andere verständigten sich englisch oder spanisch. Dazwischen
liefen Hunde rum, unglaublich viele. Plakate wurden getragen, deren
Aussagen ich heute nicht mehr weiß.
Wie in einem Traum sah ich mehr und mehr junge Leute mit
verstrubbelten Frisuren, anderer Hautfarbe, bunten
Haarsträhnen... Ich war überwältigt und perplex von
der Selbstsicherheit die sie trotz dreckiger Fingernägel und
Nasenringen ausstrahlten. So eklig ich das auch fand, sie
faszinierten und irritierten mich gleichermaßen.
Dann wurde mir übel. Ich habe mich in die Büsche
verdrückt und gekotzt was das Zeug hält. Mir war so
schlecht.
Erst 2 Monate später bekam ich eine Ahnung davon, was
passierte war. Heute weiß ich, dass ich mich von alten
Vorstellungen getrennt und gereinigt hatte.
Seither bin ich immer dicht bei den sogenannten kleinen Leuten. In
meiner Freizeit begleite ich sterbende Menschen, baue Gemüse
im Garten meiner Freundin an oder kümmere mich gemeinsam mit
Freunden um Besonderheiten in meinem Kiez.
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