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aus :radikal nr.111, Dezember 1982
Hitparade für Stammheim
In hunderten von bundesrepublikanischen Polizeirevieren lief in
den letzten Wochen das gleiche Ritual ab: ein fetter Wachtmeister
nähert sich mit erregtem Grinsen in der Kehle und
überdimensionalen Filzstift in der feuchten Hand dem
vergilbten Fahndungsplakat. Als er sich eine Minute später
tief befriedigt wieder hinter seinen Schreibtisch fallen
läßt, sind die Gesichter von Brigitte Mohnhaupt,
Adelheid Schulz und Christian Klar nur noch undeutlich hinter den
klobigen Kreuzen zu erkennen. Was diesen Wachtmeister betrifft,
soll, er uns nicht weiter kümmern. Gönnen wir ihm diesen
seltenen Moment sexueller Ersatzbefriedigung. Doch unser eigenes
Verhältnis zu den drei oben erwähnten Personen und vor
allem die Frage, wem die Gesichter auf den nächsten Plakaten
gehören werden das soll uns ein paar Zeilen mehr wert
sein.
Ganz gleich, wie wir zur RAF im Allgemeinen oder Brigitte,
Adelheid und Christian im Besonderen gestanden haben – oder
stehen – die erste Reaktion war bei allen Unglaube und
Mißtrauen gegenüber den verbreiteten Versionen ihrer
Festnahme. Zu viele Ungereimtheiten verdarben selbst dem
unbescholtenen Publikum den widerspruchsfreien Genuß des
dargebotenen Schauspiels. Zeugt es nicht von ungewöhnlich
schlechter Regie, wenn der böse Bube während des ganzen
Films alle Häscher an der Nase rumführt und am
Schluß wie ein tölpelhafter Komparse in die Falle
läuft?
Diese und andere Fragen wurden heiß diskutiert, doch
Antworten fand man keine. Zuwenig wissen wir in der Szene über
die innere Logik und Logistik von RAF und BKA. Doch eins scheint
sicher. Die Lettern leuchten auf der Leinwand, während die
Titelmelodie verklingt: The End.
Aber ähnlich wie Hollywood, so hat auch Wiesbaden seine
Eigendynamik. Längst hat sich das BKA nach einem neuen Partner
umgesehen. Die Public Relation läuft auf vollen Touren. James
Bond auf der blutigen Spur der Revolutionären Zellen, lautet
der Arbeitstitel für den neuen Schocker. Doch bevor wir uns
seiner ersten Folge widmen " gedacht wird vorerst wohl an 37 Teile
" lehnt euch zurück und laßt das bisher letzte Kapitel
der Roten Armee Fraktion noch mal Revue passieren.
Zögernde Annäherung
Zum Zeitpunkt wiedererstarkter sozialer Bewegungen und militanter
Auseinandersetzungen, besonders mit der amerikanischen
Kriegspolitik, tritt die RAF mit dem Anschlag in Ramstein nach
einer längeren “Pause" wieder aktiv in Erscheinung. In
der dazu abgegebenen Erklärung zeichnet sich eine für die
RAF neue Tendenz, sich den sozialen und in lokalen Kämpfen
eingebundenen Widerstandsbewegungen anzunähern, ab.. Der
Imperialistische Krieg in seiner höchsten Abstraktion, wie ihn
die RAF bis zu diesem Zeitpunkt ständig propagiert hat, wird
nicht mehr als das Allein-seeiig-machende bezeichnet. Er wird zum
Überbegriff erhoben, unter den sich die Kämpfe gegen
seine konkreten Auswirkungen subsumieren lassen: Die
US-Militärstrategie ist das äußerste Mittel der
Politik der imperialistischen Staatenketten. Alle politischen,
ökonomischen und sozialen Mitte! sind auf sie abgestimmt. Sie
bestimmt die gesellschafllche Entwicklung in den NATO-Ländern
und in ihr kommt dieses System - imperialistischer Politik
insgesamt - wie in einem Brennpunkt auf den Begriff. Der
schleichende Tod im 24-Stunden-Tag der Metropolen, die
Zerstörung im Existenzkampf, Perspektivlosgkeit, Entfremdung,
die Entmenschlichung der Arbeit, die Tendenz zur Eleminierung der
Menschen durch die Maschine aus der Produktion überhaupt, die
Vernichtung von Lebensbedingungen durch Atomindustrie, Chemie und
Beton. Die Gefängnisse, die Kontrolle und Kanalisierung aller
Lebensäußerungen und ihre Repression, wenn sie nicht
für das System umgedreht wer
Diese Tendenz der Annäherung kam in der Erklärung zu
Kroesen noch deutlicher in einem ungewohnt intimen "Kämpft mit
uns" zum Ausdruck. Die Annäherung war nicht nur einseitig.Die
Auseinandersetzungen um die Bewegungsgefangenen hatten im
Knastkampf der Gefangenen von RAF und 2. Juni wieder näher ins
Bewußtsein gerückt und weit über den Hungerstreik
hinaus wurde "Eine Front mit der Gerilja!" zum Schlachtruf auf
Demos. Aber gerade in dem "Kämpft mit uns!" lag die Wurzel des
Konflikts, der die rasche Wiederabtrennung dieser beiden
Widerstandsformen beschleunigte und was bei dem letzten
RAF-Positionspapier - als ein Versuch die Gemeinsamkeiten zu
betonen - erneut deutlich wurde und so quer durch die Szene auf
Ablehnung stieß: Die RAF hatte ihren Führungsanspruch
nie aufgegeben, es wurde nie zu einem "Laßt uns gemeinsam
kämpfen!", sondern blieb ganz klar beim "Schließt euch
uns an!".
Guerrilla in der Isolation
So wurde die Isolierung der RAF nicht aufgehoben, da sie erstens,
nur zu einem halben Schritt auf die Bewegung bereit war - obwohl
ihnen hätte klar sein müssen, daß die Verbindung zu
den Basiskämpfen für eine Guerrilla lebensnotwendig ist -
und zweitens, galt das Prinzip und Selbstverständnis der RAF
bei den in den lokalen Kämpfen Stehenden zu Recht als
historisch überholt - für eine andere Situation wurde
eine andere Form des bewaffneten Kampfes gesucht und in dem Prinzip
der RZs gefunden. Die Geschichte der RAF hatte Lernprozesse in Gang
gesetzt , die auf sie selbst zurückschlugen, da sie viel zu
spät (oder nie?) eine offene Auseinandersetzung über ihre
eigene Geschichte und Fehler gesucht hat.
Dazu kam, daß die Imperialismusanalyse der RAF für
viele nicht so platt zu übernehmen war. "Jankees verjagen
-NATO zerschlagen" war dem schon etwas differenzierteren "Aufruhr
in Ost und West -gegen Warschauer Pakt und NATO-Pest" gewichen.
Die Gräben zwischen Anarchisten und RAF konnten nie
zugeschüttet werden, wenn auch so mancher Bewegte um das A bei
RAF ein Kringelchen machte. Die einzige Möglichkeit wäre
eine wirkliche Auseinandersetzung und ein Erfahrungsaustausch
gewesen, was zu einer flexibleren Position der RAF hätte
führen können, doch so blieb es immer bei einem
abstrakten gegenseitigen Überarbeiten von Positionspapieren
zwischen den Untergrundguerrilleros und den militanten
Basisbewegungen.
Hierfür war sicherlich auch ein Grund, daß die RAF
u.a.. durch die ausgesetzten Kopfgelder nicht mehr vor Verrat aus
den eigenen Reihen und aus der Szene sicher sein konnte und es so
oft unmöglich war, zu der mit Spitzel durchsetzten Szene
direkten Kontakt aufzunehmen.
Die "Opas" und die "Newcomer"
In der Phase hochgradiger Isolation schnappte nun der
Fahndungsapparat zu - nicht, daß es jetzt erst zum erstenmal
möglich gewesen wäre. Der Ablauf der letzten Festnahmen
legt die Vermutung nahe, daß sich die Fahnder keine weiteren
Information von einer Observation bezüglich Plänen und
Verbindungen zum sogn. Umfeld versprachen. Für die (immer
noch) nötige Legitimation des ständig expandierenden
Fahndungsapparats waren auch längst schon "geeignetere
Objekte" aufgebaut worden. Spätestens seit Anfang des Jahres,
wenn nicht schon seit Karry, führten in den bürgerlichen
Medien die Revolutionären Zellen die Hitliste der Staatsfeinde
an.
Da es der bürgerlichen Gesellschaft, mittels ihres
Medienmonopols, so leicht zu gelingen scheint, "Staatsfeinde" fast
nach belieben auf oder abzubauen, müßte die alberne
Ansicht, der militante Widerstand legitimiere die Repression des
Staates, ein für alle Mal auf dem Müllplatz des
reformistischen Angstgeschreis verbannen. Der Staat ist fast immer
in der Lage, einen inneren Gegner seinen Bedürfnissen
entsprechend aufzubauen - und dafür können selbst mal
Alternative oder Grüne herhalten.
Solange die RAF als Hauptfeind ausgewiesen werden konnte, stand
sie ein Stück weit als schützender Puffer zwischen uns
und der Repression. Nun, die gesamte Reaktion der bürgerlichen
Presse zeigt es, bilden RZ und Guerilla Diffusa die Spitze des
“terroristischen" Eisbergs. In der Logik des Systems
muß es immer eine solche Spitze geben, denn Abschreckung -
das Grundprinzip der bürgerlichen Justiz - funktioniert nur
auf der Basis, daß es einige Wenige trifft und der Rest aus
Angst, man könnte als nächster an der Reihe sein, aufgibt
oder den eigenen Widerstand reduziert.
Die Zwiebel-Doktrin
"Nach dem Ende der RAF - die neuen Terroristen - wie die
Revolutionären Zellen den Staat zerstören wollen" lautet
der Titel des STERNS und auch der SPIEGEL widmet sich sogleich der
neuen Terroristengeneration. Die Zerschlagung von Widerstand in der
jetzigen historischen Situation-in der BRD, scheint wie das
Schälen einer Zwiebel zu funktionieren. Die äußere
Schale wird aufgebaut, abgetrennt und vernichtet. Diesem "Spiel"
sind bis zur vollständige Zerschlagung jeden Widerstands
theoretisch keine Grenzen gesetzt. Im gegenwärtigen
"Entwicklungsstadium" der BRD sind einer fundamentalen Repression
noch einige rechtsstaatliche Schnörkel im Weg, so bleibt
vorerst das Prinzip der Spaltung und Abschreckung - Search &
Destroy.
Den Zusammenhang von System, Widerstand und Zwiebelschale machte
Herold neulich im SPIEGEL deutlich:
SPIEGEL: Werden die Terroristen Ihre Ziele und Aktionsformen
ändern?
Herold: Wenn junge, intelligente Menschen mit einem hohen
moralischen Anspruch derart vehement und natürlich in
schrecklicher Weise kriminell, gegen die bestehenden
Verhältnisse anrennen, muß das auch mit den bestehenden
Verhältnissen selbst etwas zu tun haben. Die subjektive Seite
des Terrorismus, der Knick in den Lebensbahnen jung Leute, die
eheliche Fehlanpassung, die Berufsfindungsschwierigkeiten liefern
nicht allein die Erklärung für ihr Verhalten.
SPIEGEL: Sondern?
Herold: Auch die objektiv gegebenen Strukturdefekte verursachen den
Rigorismus. Erst mit der Beseitigung der objektiven Faktoren wird
der Terror verschwinden. Da sich unsere historische Situation in
überschaubarer Zeit nicht erkennbar ändern wird, werden
sich die Widersprüche und Defekte in unserer Gesellschaft eher
verschärfen, wird also der Terrorismus fortbestehen.
Allerdings wird er andere Formen annehmen. Die alte RAF ist 1981 zu
Ende gegangen, aber eine neue Terroristengeneration wird sie
ablösen.
SPIEGEL: Sind das die "Revolutionären Zellen"?
Herold: Ja. Die Zahl der Anschläge, die Revolutionäre
Zellen verübt haben, geht schon in die Hunderte. Die
RZ-Aktionen haben sich flächenbrandartig ausgebreitet. Die
Anschläge sind zur Normalität geworden, die Informationen
darüber besitzen keinen Neuigkeitswert mehr und daher auch
für die Medien keinen Marktwert als verkäufliche Ware.
Wegen der fehlenden Widerspiegelung sind die Aktionen der RZ dem
öffentlichen Bewußtsein leider entrückt. Die
ungesteuerte Spontanität ihres Auftretens hat jedoch Züge
beginnender Massenhaftigkeit,setzt Frühsignale einer nicht zu
unterschätzenden Gefahr.
Die "neue Gefahr"
Damit nun die "neue Gefahr" besser ins öffentliche
Bewußtsein rücken kann, mühen sich die
bürgerlichen Medien ab, den Mythos der OpaGuerrilla (STERN)
fallen zu lassen und den der RZ aufzubauen. BKA und
Bundesanwaltschaft müssen seit acht Jahren Niederlagen gegen
eine andere Terroristenorganisation einstecken... Noch vor dem
Erfolg gegen die RAF hatte Rebmann zugeben müssen: Die
Revolutionären Zellen sind die gefährlichste deutsche
Terroristengruppe!
Die propagandistischen Weichen sind gestellt - und wir sind
sicher, das ist nur der Anfang. Wenn die gesamte, noch sehr
breitgestreute Szene des Widerstands, das Zwiebelprinzip nicht
begreift, wird sie es selbst sein, die weitere Genossen an die
Schlachtbank der Repression ausliefert. Wenn es dem Staat gelingt,
den gährenden Haufen von Leuten, die alle nach ihren
Möglichkeiten Widerstand leisten, zu differenzieren und
einzelne Teile zu isolieren, dann ist die Zerschlagung des gesamten
Widerstands nur noch eine Frage der Zeit. Es soll sich keine/r
einbilden, der/die sich noch in Sicherheit wiegt, daß nicht
unter jeder Schale die nächste hervor kommt.
Wir sollten höllisch aufpassen, denn zu der Phase des
Aufbauens gehört auch die Phase der Diffamierung mit dem Ziel
der Distanzierung. Konkret heißt das, daß uns in
nächster Zeit viellleicht einige Aktionen von angeblichen RZs
etwas “spanisch” vorkommen könnten; und das
wiederum könnte daran liegen, daß sie ihren
Ausgangspunkt in der Computer-Zentrale des BKA genommen haben -
vielleicht, wie gesagt. Jedenfalls wird der Staat versuchen, das
Image der RZs ein bißchen in Richtung “brutale
Terroristen" zu polieren, damit's einigen Linken etwas leichter
fällt “nichts damit zu tun zu haben". Wenn die
schwelende Distanzierung - die hin und wieder ja schon zu riechen
ist - zu stinken beginnt, wenn das deutsche Volk wieder nach Blut
schreit, dann ist Frühling im Deutschen Herbst.
Und die Gesichter auf den neuen Fahndungsplakaten scheinen
merkwürdig bekannt - es sind unsere.
Sicherheit der 80er Jahre
Wir halten es deshalb für so wichtig, das staatliche Prinzip
de; Widerstandszerschlagung zu durchschauen, weil wir sonst
ohnmächtig einer Situation ausgeliefert sein werden (sind),
der wir sonst (hätten) begegnen können. Und diese
Situation kostet nicht nur einigen das Leben oder zumindestens die
Freiheit, sondern kann leicht zur Aufgabe des eigenen Widerstands
und somit des eigenen Lebens führen. Wenn wir es schaffen,
unlogisch und unberechenbar zu bleiben, wird der perfektionistische
Apparat des BKA weiterhin auf einem Berg unaufgeklärter
Kommandoerklärungen stehen. Das ist für uns Sicherheit
der 80er Jahre. Es gibt für die Bullen keine Methode unsere
Struktur aufzurollen. Man kann dafür kein Fahndungsraster
aufstellen, das einzige, was uns das kreuz brechen kann, ist ein
dicker Fehler) oder ein gottverdammter Zufall, zitiert der STERN
den Revolutionären Zorn, und dem muß das BKA sicherlich
zähneknirschend zustimmen. Doch dabei sollten wir bedenken,
daß ganz gleich ob es dem Staat gelingt diese Struktur zu
knacken, oder nicht, er seine Opfer brauchen wird und versucht, sie
sich zu gegebener Zeit zu holen - zum Beispiel diese gottverdammte
Zeitung.
- RAZ & RÜBE |