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aus :radikal nr.108, September 1982
Guerilla und Widerstand - eine "Front"
Vorbemerkung:
Das Theoriepapier der RAF geistert seit Mai 82 durch die
Städte. Wir drucken zwei Beiträge ab, die versuchen, mit
diesem Text umzugehen. Auseinandersetzungen damit finden nur im
kleinsten Kreis statt oder bleiben in Ansätzen stecken, was
nicht zuletzt auf die abgehobene, mißverständliche
Ausdrucksweise zurückzuführen ist. Wobei sie auch die
Frage aufwerfen, welche Bedeutung die neuen Ansätze der RAF
für sie haben.
(Es folgt nur der erste in der Radikal abgedruckte Text)
Seit Mitte der 70er Jahre hat es kein neues Strategiepapier der RAF
gegeben. Außer den bekannten dürren
Kommandoerklärungen und dem, was in den Prozessen gegen
Genossen aus der RAF an Statements bekannt geworden ist, fehlt es
an grundlegenden Äußerungen.
Bei der Lektüre des Textes kommen Zweifel auf, ob von den
Verfassern überhaupt eine Diskussion und Ausandersetzung
gewünscht wird. Wenn wir lesen, wie sie die bundesdeutsche
Geschichte der letzten Jahre auf ihren eigenen Kampf beziehen und
dabei gewaltsam zurichten, wenn wir sehen, wie sie völlig
außer Acht lassen, welche einschneidende politische
Veränderungen auch soziale Bewegungen wie die AKW-Bewegung
nach sich gezogen haben - dann ist das, was wir später an
Bereitschaft sehen, auch andere Kampfformen als legitim zu
akzeptieren, schon wieder zurückgenommen. Mit derartig
völlig inakzeptablen Vorgaben zerstören die Verfasser
gleichzeitig wieder, was sie an Vertrauen in ihre
Diskussionsbereitsschaft durch einige immerhin bemerkenswerte
Linienschwenks produziert haben. Es gibt Punkte, die uns
bemerkenswert erscheinen:
-die RAF nimmt erstmals eigenständige militante Bewegungen
in den Metropolen wahr, die sie als wichtig für eine
revolutionäre Entwicklung beurteilen (diese Entwicklung deutet
sich schon in der Ramstein-Kommandoerklärung an)
-sie setzten sich mit dieser Bewegung auseinander und formulieren
eine konstruktive Kritik, die Schwachpunkte benennend, aber nicht
gleich alles, was nicht ihre eigene Politik ist abbügelt. -sie
üben Kritik an den Gruppierungen, die lediglich
Solidarität mit der RAF proklamieren.
-sie üben Selbstkritik an ihren Aktionen 1977
Beim genaueren Lesen fällt aber dann die ungenaue
Begrifflichkeit auf, die widersprüchliche Interpretationen des
Textes zuläßt. Am Begriff des Staats wird die
Unbestimmtheit des Vokabulars besonders deutlich. (vergl. etwa die
Ausführungen zum Verhältnis SPD -CDU -USA). Und gerade
hier wäre besondere analytische Sorgfalt angebracht. Es
handelt sich schließlich nach ihrem Selbstverständnis um
den eigentlichen Gegner des antiimperialistischen
Guerillakampfes.
Auch die benannte neue positive Orientierung bleibt bei genauem
Lesen schwammig, weil sie nicht eindeutig bestimmt wird.
-Die neuen Bewegungen, von denen im Text die Rede ist, werden nicht
genauer benannt, geschweige denn auf ihre soziale
Entstehungsgeschichte hin analysiert. Ihre Erwähnung
erhält so rein deklamatorischen Charakter, zumal sie nur im
Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen Staat und Guerilla
gesehen wird. Guerilla ist für die Verfasser in altbekannter
Avantgardemanier gleichbedeutend mit RAF. Die bewaffnete Politik
der RZ und autonomer Zellen, die in der Vergangenheit wesentlich
für eine Verbreiterung des bewaffneten und militanten Kampfes
innerhalb der Linken beigetragen haben, finden nicht einmal
Erwähnung.
-In dem Papier wird neben der Guerilla erstmals auch andere
militanten Aktionen sowie ihrer politischen Vermittlung Bedeutung
beigemessen. Alle drei Bereiche sollen eine gemeinsame Front
bilden. An welchen Inhalten sich diese antiimperialistische Front
herstellen soll, dazu gibt das Papier nicht viel her.
-Dabei schlägt immer wieder durch, daß sich die RAF als
einzige mögliche Orientierung (jenseits des Reformismus)
für alle anderen Bewegungen begreift, ohne dabei irgendwelche
sozialen Anknüpfungspunkte inhaltlich zu benennen.
-Der in dem Papier verwendete Begriff der “Strategie" wird
formal und hohl, wenn er reduziert wird auf alles gegen das System
Gerichtete. Die RAF setzt sich bewußt von allen sozialen
Utopien ab. Das finden wir politisch falsch -Bewegungen leben immer
aus solchen Vorstellungen, in denen etwas jenseits der beschissenen
Wirklichkeit sichtbar wird. Für uns gilt das auch: Für
uns bedeutet Kämpfen eine Einheit von Leben und Politik
anzustreben, um damit Teile unserer Utopie heute schon zu leben,
was uns und anderen immer wieder Kraft zum Weiterkämpfen
gibt.
Die RAF bezieht sich jedoch nur noch negativ auf das System
(“revolutionäre Strategie ist hier einfach die Strategie
gegen ihre Strategie") und bleibt damit auf die Logik des System
fixiert. Der Abschnitt des Papiers, in dem eine Selbstkritik zu den
Aktionen 1977 formuliert ist, hat uns alle am meisten
überrascht. Nach dem jahrelangen hartnäckigen Schweigen
zu den Ungereimtheiten der 77er RAF-“Offensive” scheint
das Eingeständnis von Fehlern einen Prozeß des Umdenkens
anzuzeigen. Bei genauem Hinsehen, erweist sich eine solche erste
spontane Beurteilung als zu wohlwollend.
Die Selbstkritik der RAF ist rein deklamatorisch.
Das gilt besonders für einen zentralen Punkt, die Frage
nämlich der Mallorca-Urlauber im gekaperten und nach
Mogadischu entführten Flugzeug. Die Leute dort seien,
heißt es im Papier, “in die gleiche Objektsituation
gerückt" worden, “wie es die imperialistischen Staat
sowieso und immer mit den Menschen macht". Aber damit hört die
Selbstkritik an einem Punkt auf, an dem die wichtigen Fragen erst
zu stellen sind. Wir vermissen, daß nicht mit einem Wort der
Versuch unternommen wird, herauszufinden, was in der Politik der
RAF dazu geführt hat, daß solch ein eklatanter Fehler
hat passieren können.
Schließlich handelt es sich nicht um eine
Nebensächlichkeit. Im Gegenteil. Die Frage, wie sich
Revolutionäre zu den Beherrschten in den Metropolen verhalten,
ist von entscheidender Bedeutung.
Läßt man dabei den Aspekt den Aspekt der
revolutionären Moral einmal außer Acht, bleibt immer
noch das im engeren Sinne politische Problem.
Auf dem Hintergrund des Gefälles zwischen Metropolen und
dritter Welt gewinnt die Flugzeugentführung eine
unterschiedliche Färbung - je nachdem, von wo aus man sie
betrachtet.
Aus der Sicht derjenigen, die jahrhundertelang unter dem
Kolonialismus Europas zu leiden hatten und heute die am meisten
Ausgebeuteten und Unterdrückten des westlichen Imperialismus
sind, ist es von untergeordneter Bedeutung, wer in Flugzeugen
sitzt: Für sie ist es, von der Logik ihres Befreiungskampfes
her gesehen, müßig, darüber zu spekulieren, wie die
Ausbeutungshierarchie in den Metropolen beschaffen ist. Für
sie sind auch wir zunächst einmal Komplizen, weil wir alle von
der kolonialen Ausbeutung profitiert haben und von der
imperialistischen noch profitieren. Aus dieser Sicht sind die
Probleme, die wir mit der Entführung der Mallorca-Urlauber
haben, unverständlich.
Inwieweit nun Befreiungsbewegungen, die nicht nur die nationale
Befreiung, sondern auch die soziale Revolution auf ihre Fahnen
geschrieben hat, inwieweit also solche Bewegungen Klassenstrukturen
innerhalb der Metropolen zu berücksichtigen hätten,
wollen wir hier nicht diskutieren.
Eine revolutionäre Gruppe in den Metropolen, jedoch
muß sich in jedem Fall zu dieser Frage anders verhalten. Sie
hat die innere Differenzierung des Herrschaftssystems in ihrem
Konzept zu berücksichtigen. Sie muß sich der Frage auch
nach der sozialen Basis einer revolutionären Umwälzung
hierzulande stellen lassen.
Politisch standen die 77er Aktionen genau in diesem
Spannungsfeld. Eine Auseinandersetzung mit den Geschehnissen
müßte sorgfältig an den Widersprüchen
ansetzen, die aus der gleichzeitigen Orientierung an Politik in der
dritten Welt und der Verortung als Metropolenguerilla
entspringen.
Genau zu diesem Widerspruch sagt das RAF-Papier nichts. Hier
hätte man erwarten können, daß ihre im selben Text
entwickelte neue Position ihr Bezug nämlich auf militante
Kämpfe bei uns in die Kritik der 77er Politik eingegangen
wäre. Dieser Punkt ist für uns eine Nagelprobe auf die
Ernsthaftigkeit, mit der die RAF ihre bisherige Linie korrigiert.
Auch in den übrigen Bemerkungen, mit denen im Papier auf die
77er Aktionen eingegangen ist, findet sich nichts davon, daß
es ihnen tatsächlich mit ihrem neuen Knüller
-eigenständige Kämpfe in den Metropolen- ernst wäre.
Ihre Kritik handelt vor allem von taktischen Argumenten. Die
eigentliche Frage jedoch ist überhaupt nicht berührt: Die
RAF-Offensive" war eine exklusive Auseinandersetzung zwischen
Guerilla und Staat.
Diese Tatsache scheint ihnen nicht im geringsten problematisch.
Im Gegenteil, sie ist auch jetzt noch der zentrale Punkt, ihrer
politischen Analyse. Wo aber zeigt sich hier ihre an anderer Stelle
entwickeltes Konzept? Nirgends. Welche Bedeutung hat ihre
Entdeckung der militanten Massenkämpfe in den Metropolen, wenn
sie die 77er Fehler immer noch nicht akzeptieren wollen?
Wir halten das Grundverständnis, mit dem sie ihre 77er
Aktionen angegangen sind, nach wie vor für völlig
inakzeptabel. Sie haben getan, als gäbe es in ihrer Politik
außer ihnen und dem Staat nichts. Sie haben für die
politische Vermittlung der Aktionen jämmerlich wenig getan:
Nichts zu Schleyer, nichts zu Ponto, was über die formale
Beschreibung ihrer Funktion hinausging; keine Dossiers, keine
Zusammenfassung zum Beispiel ihrer Recherchen im Hamburger
Weltwirtschaftsarchiv. Und schließlich: Bis heute hat die RAF
es nicht für nötig gehalten, öffentlich zumanchen,
was Schleyer ihnen erzählt hat. Bekannt ist, daß es
Verhöre gab. Aber das Material ist ausschließlich in den
Verhandlungen mit dem Staat eingesetzt worden. Wann erfahren auch
endlich wir mal, was Schleyer an Informationen alles rausgelassen
hat?
Was bedeutet das Papier der RAF nun für uns? Inwiefern
bestimmt es unser Verhältnis zu den RAF-Genossen neu? Die
Antwort ist kurz: überhaupt nicht. Die Korrektur von Teilen
ihrer Positionen finden wir bemerkenswert vor dem Hintergrund der
bisherigen , starren Haltung. Das betrifft auch ihren Ansatz von
Selbstkritik. Aber ihr grundlegendes Verhältnis zu Leuten, die
eine andere Politik machen als sie, ist dasselbe geblieben; uns
bleibt nur, uns auf der Folie der Guerilla zu begreifen, und zwar
auf der Folie eines Guerilla-Konzepts, das sie allein als einzig
denkbar für sich reklamieren.
Uns bleibt immerhin die Möglichkeit, uns in eine Front mit
der RAFGuerilla zu stellen. Einverstanden, aber nicht unter ihrer
Hegemonie. Daß wir mit ihnen auf derselben Seite der
Barrikade kämpfen, wissen wir. Das ist uns aber auch nie ein
Problem gewesen. Der Anspruch, mit dem sie das, was sie Front
nennen, mit uns bilden wollen- das ist es, was uns mistrauisch
macht. Wir wollen mit euch zusammen kämpfen, aber nicht mit
einem Konzept, in dem Ihr uns unsere Rolle zuweist. So nicht,
Genossen!
P.S.: Sollte es euch ernst sein mit einer Neubestimmung euerer
Politik unter tatsächlicher Einbeziehung dessen, was wir
draußen machen, dann werdet Ihr Euch sicherlich mit dieser
Kritik auseinandersetzen. Öffentlich. Auf eine solche
Auseinandersetzung der Gefangenen aus der RAF mit der von uns in
der Broschüre “Sand im Getriebe der Macht”
formulierten Kritik am letzten grossen HS warten wir übrigens
immer noch.
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