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[ der folgende Text stammt von der Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus ]
Allgemeine Infos zur Radikal
Bemerkungen:
Die Berliner Stadtzeitung radikal wurde 1976 als ein Diskussionsforum für die verschiedenen Fraktionen,
Gruppierungen und Parteien der Linken gegründet. Seit der stärkeren Ausbreitung der Basisbewegungen
gegenüber den bis dahin dominierenden K-Gruppen bestimmten immer mehr Berichte von und über undogmatischen,
autonomen und anarchistischen Gruppen den Charakter der Zeitschrift. Radikal verstand sich von Anfang an als
"Zeitung von der Bewegung - für die Bewegung". Dementsprechend wurde die zum Teil anspruchsvolle
Theoriediskussion immer in Verbindung mit der Mobilisierung zu Aktionen geführt.
Durch die offensive Thematisierung
von militanten Aktionsformen wurde die radikal vor allem in den Jahren 1980-1984 zum Organ des Häuserkampfes in
der autonomen Bewegung. Wegen anhaltender Verfolgung (s. unten) wurde die Zeitschrift 1984 zunächst kurzzeitig
eingestellt, dann aber mit neuem Konzept illegal weitergeführt. Dieser Übergang vom legalen zum illegalen
Erscheinen der Zeitschrift war mit vielen Schwierigkeiten und Problemen verbunden, so daß die radikal erst nach vier
Jahren "Aufbauarbeit", d.h. internen Diskussionen und Erfahrungen, wieder relativ regelmäßig viermal im Jahr
herausgegeben werden konnte. Ein Versuch neue Ideen und Konzepte umzusetzen, war das "radikal-Info Nr.1", das etwa
monatlich als dünne Infosammlung zur Vermittlung unterdrückter Nachrichten des Widerstandes erscheinen sollte,
aber nach dieser Nummer wieder eingestellt wurde. Das Scheitern dieses Konzeptes und die Probleme mit der Nummer 132,
die auf der letzten Seite einen Gruß zur Liquidierung des Siemens Managers Beckurts enthielt - Anlaß zu
bundesweiten Durchsuchungen von linken Buchläden und Wohnungen von Wiederverkäufern, die durch
gravierende Fehler im illegalen Vertrieb möglich wurden - löste in der folgenden Nummer 133 eine umfangreiche
Diskussion zur Konzeption der Zeitschrift aus.
Die so entstandene "neue" radikal "...ist der versuch, genaue und
verbindliche strukturen zu organisieren, die von bewegungskonjunkturen unabhängig sind", d.h. "die verbreitung
radikaler inhalte [...] und die vermittlung eines revolutionären bewußtseins [...] mit gleichzeitigem bezug zur praxis."
Dabei sieht sich die neue Redaktion durchaus in der Kontinuität zur alten radikal: "es ist kein zufall, daß die
zeitung weiter so heißt. wir verbinden damit nicht nur einen namen, sondern eine gemeinsame entwicklung und ein
selbstverständnis." Allerdings "gab [es] so gut wie keine vermittlung von erfahrungen, die zuvor in jahrelanger
zeitungsarbeit oder während der kriminalisierung gemacht wurden. der bruch zwischen der legalen und illegalen
radi fand auf allen denkbaren ebenen statt, außer beim vertrieb." [...] "heute überwiegen in der radi themen,
wo es um die bedingungen und persönliche entwicklung für militante praxis geht." (radikal. 1984-1989. Ein
Interview. 1989, S. 12, 16, 23, 48) So auch das Selbstverständnis nach 10 Jahren in Nr.156 vom Juni 1999:
"Wir wissen aber auch, daß wir die radikal als einen antagonistischen und materiellen Ausdruck unserer Selbst
sehen, unseres politischen Selbstverständnisses, einen subversiven Raum haben zu wollen, in dem
Kommunikationsprozesse stattfinden sowie militante Strategien verhandelt und organisiert werden können. Vielen von
uns geht es nicht allein ums Zeitungmachen, sondern darüber hinaus um den Aufbau und Erhalt einer bundesweiten
verdeckten Struktur, die verschiedenen Gruppen aus dem linksradikalen und im weiteren Sinne militanten Spektrum an einen
Tisch bringt und über politische Teilbereiche hinaus Verbindlichkeiten aufbaut." (S.4) Weiter heißt es auf S.11:
"obwohl der weg entscheidend ist zum erreichen unseres ziels, kann der weg eben nicht das ziel ersetzen. unser ziel ist
die radikale - weil "an die wurzeln gehende" - umwälzung dieses systems. die aufhebung aller herrschaftverhaltnisse.
hier sei bemerkt, dass wir nicht an ein paradies auf erden glauben, auch nicht nach der revolution. herrschaftsfreiheit heisst
somit nicht konfliktfreiheit, sondern eine im wahrsten sinne des wortes gleichberechtigte gesellschaft mit orientierung an den
bedürfnissen der menschen, und nicht an profit und macht." (gh)
Repression:
Die Verfolgung der Zeitschrift setzte bereits 1978 mit kleineren Verfahren wegen dem Nachdruck des "Buback-Nachrufs"
ein. Dies wurde fortgesetzt mit der Anklage im Februar 1982 nach § 129a wegen "Werbens für die terroristische
Vereinigung 2. Juni". Im Dezember des gleichen Jahres fanden Durchsuchungen in zahlreichen Privatwohnungen, besetzten
Häusern, Druckereien und Buchläden zum "Auffinden von Beweismitteln" statt. Als Höhepunkt der Verfolgung
wurden stellvertretend für die unbekannten Redaktionsmitglieder 1983 Michael Klöckner und Benny Härlin
wegen "Werbung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" verhaftet und 1984 zu je 30 Monaten Haft verurteilt.
Gegen Auflagen wurde eine Haftverschonung gewährt und 1985 erhielten sie durch die Initiative der GRÜNEN die
Immunität als Abgeordnete des Europaparlaments. Erst 1989 wurde das Urteil durch den Bundesgerichtshof aufgehoben
(Aktenzeichen: 3 StR 278/89). Wegen der anhaltenden Repression wurden zunächst hunderte Mitherausgeber in
den Heften 121-126/127 (1983/84) abgedruckt. Da aber auf Dauer unter diesen Bedingungen eine kontinuierliche Weiterarbeit nicht möglich war, wurde in der Nr.126/127 die Einstellung bekanntgegeben. Bereits einige Monate später
m gleichen Jahr (1984) erschien die Zeitschrift jedoch wieder mit fortlaufender Numerierung (ab Nr.128) von einem
neuen Redaktionskollektiv illegal herausgegeben. In den Jahren 1986 bis 1989 wurde durch über 100 bundesweite
Razzien in linken und alternativen Buchläden der öffentliche Verteiler der radikal zerstört. Die Nr.132 aus
1986 wurde beschlagnahmt, deshalb kaum im Bestand der Bibliotheken (im AFAS Duisburg vorhanden). (Zur
Kriminalisierung vgl.: radikal. 1984-1989. Ein Interview. 1989, S.4-5 und Chronologie. - In: Schwarze Texte. Amsterdam, 1989)
Im weiteren Verlauf bis 1995 werden neu erscheinende Ausgaben der radikal verboten und einzelne Verfahren gegen
HandverkäuferInnen eröffnet. Als vorläufigen Höhepunkt der Verfolgung müssen die bundesweiten
Durchsuchungen und Verhaftungen am 13.6.1995 angesehen werden, in deren Folge die Zeitschrift insgesamt kriminalisiert
wurde, so daß eine Prüfung der Einzelartikel entfallen kann und die MacherInnen der Zeitschrift automatisch
einer kriminellen Vereinigung angehören. Nach dem Erscheinen von radikal im Internet hatten sich T-Online,
Compuserve, AOL DFN und andere Provider sowie Privatpersonen nach Ansicht des Generalbundesanwalts beim
Bundesgerichtshof in Karlsruhe durch den Zugriff auf die von dem niederländischen Provider XS4All eingestellte
Zeitschrift dem Vorwurf der "Beihilfe zum Werben für terroristische Vereinigungen" ausgesetzt. Nach eineinhalb J
ahren wurden die Verfahren im Januar 1998 hauptsächlich wegen Geringfügigkeit (§ 153 Abs. 1 StPO) eingestellt. Es wird jedoch weiter die Auffassung vertreten, daß sich Internetprovider strafbar machen, wenn sie bewußt
Informationen strafbaren Inhalts zugänglich machen. Als interessantes Detail ist anzumerken, daß Dirk
Schneider, vormals Mitarbeiter von "Agit 883" und Herausgeber der radikal sowie von 1983 bis 1985 der erste Berliner
Grüne im Bundestag, mehrere Jahre Sprecher der Alternativen Liste (AL) in West-Berlin und ab Juli 1990 Mitglied
der PDS, als Krönung seiner politischen Laufban im Oktober 1991 von ehemaligen DDR-Oppositionellen als
langjähriger STASI-Spitzel enttarnt wurde (s. Der Spiegel (1991), Nr.46, S.80-85). (gh)
Der komplette Text mit vielen bibliographischen Angaben ( externer Link )
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