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aus: Verzeichnis alternativer Medien [ID-Verlag], 1989

INTERIM (wöchentliches Berlin-Info): Ein Interview

INTERIM ist eine wöchentlich erscheinende Zeitung aus Berlin. In INTERIM werden Flugblätter, Erklärungen, Diskussionsbeiträge zur linksradikaler Theorie und Praxis unzensiert veröffentlicht. INTERIM erscheint (halb)illegal, d.h. die Redaktion ist schriftlich von außen erreichbar, sie tritt jedoch öffentich nicht in Erscheinung. Angesichts zunehmender Repressalien und Gesetzesverschärfungen (§129a, §130b) gegen Zeitungen, die Texte zur Auseinandersetzung um Positionen und Perspektiven militanter Politik veröffentichen, sehen wir dieses Interview als einen notwendigen Beitrag zur Mediendiskussion in der BRD. Das Interview wurde schriftlich geführt.
ID-Archiv im IISG/Amsterdam

ID-ARCHIV:
Seit dem 1. Mai 1988 gibt es eine neue Zeitung aus dem linksradikalen Spektrum in Berlin. Warum erscheint die 1. Nummer gerade an diesem historischen Datum? Ist das ein Zufall oder gibt es einen politischen Bezug zu diesem Tag?

INTERIM:
1. Mai - das war durchaus kein Zufall. Erstens sollte an dem Tag das erste Mal seit langer Zeit eine eigenständige revolutionäre Demo stattfinden. Außerdem waren vom vorangegangenen Jahr natürlich eine Menge Erwartungen da. Es zirkulierten ein Haufen Flugblätter, die mit der ersten Nummer gesammelt vorlagen. Es war der Versuch, die Anliegen, die am 1. Mai 87 geballt ans Licht kamen nun strukturiert wiederzugeben. Mit dem 1. Mai begann auch - zumindest in unserer Erwartung - sozusagen die ,heiße Phase der IWF-Kampagne, für die wir den kontinuierlichen und auch kurzfristigen Austausch von Diskussionen aus den verschiedenen Zusammenhängen besonders wichtig fanden.

ID-Archiv:
Der Name INTERIM klingt ja fast schon akademisch. Auf der Rückseite der Nummer 1 dokumentiert ihr den Duden (?) und erklärt das Wort. Interim bedeutet Zwischenlösung, aber was heißt das für Euch ? Soll es den Stand momentaner linksradikaler Bewegungen darstellen? Wohin geht dann eurer Meinung nach die Entwicklung dieser Bewegungen - und in welchem Zusammenhang sieht sich die Zeitung ?

INTERIM:
Obwohl die Namensgebung eher ein Zufallsprodukt war, finden wir heute den Namen gut gewählt. Einerseits ist die INTERIM nicht das Ergebnis unserer Vorstellungen, Ansprüche und Wünsche, sondern ein Produkt, in dem diese Vorstellungen und Wünsche erstmal gegen Null reduziert werden, dafür aber als technisches Medium real existent und offen für fast Alles ist. Uns hindert niemand daran, mehr redaktionelle Beiträge zu wollen und zu drucken - nur wir müssen sie eben aus unseren Köpfen rausquetschen. Die Strukturen dafür sind da. Ebenso wie jeder LeserIn sich hinsetzen und etwas schreiben kann.

Gleichzeitig haben wir im ersten Vorwort ja ausgiebig erläutert, warum wir nicht den Ehrgeiz haben, eine Zeitung von historischem Format zu werden. Erstens wissen wir sehr gut, daß sich so ein Medium früher oder später zwischen den Widersprüchen zerreiben muß, in die es notwendigerweise gerät: Kontroversen auslösen zu wollen und die dann auch gegen sich gerichtet zu sehen, politisch mitzudenken, Stellung zu beziehen und dann doch wichtige abseitsliegende Positionen auszublenden, die gerade wichtig wären. Die eigenen Ansprüche an ein gutes Kommunikationsmedium immer weniger erfüllen zu können, und schließlich der hohe Arbeitsaufwand, die vielen Diskussionen.

Wenn der Reiz des Neuen aufhört und wir nicht mehr das Gefühl haben, auch selber was davon zu haben, dann wissen wir noch nicht, woher wir die Kraft für den wöchentlichen Streß nehmen können. Wenn wir ausgelutscht sind, dann müssen wir eben aufhören und andere kommen nach uns.

Zweitens weist die Zwischenlösung aber auch darauf hin, daß wir die INTERIM als einen Schritt auf der Suche nach neuen Kommunikationsformen innerhalb der radikalen Linken begreifen. Vielleicht ergeben sich da in den nächsten Jahren noch ganz andere Strukturen, als das traditionelle Mittel einer Zeitung. Wir wünschen es uns eigentlich. Deshalb wären wir nicht enttäuscht, wenn die iNTERIM aus diesen Gründen mal überflüssig werden sollte.

Es soll keine Illusionen geben. Die INTERIM war das Produkt einer damaligen politischen Schwäche - der Zusammenbruch der politischen Diskussionen auf einer breiteren Basis - die in jener Zeit in Westberlin (und im Bundesgebiet) herrschte. Warum die verschiedenen Gruppen und Fraktionen nicht in der Lage waren, Auseinandersetzungen miteinander zu führen, wissen wir nicht.

Vielleicht standen alle unter dem Druck von zu hohen Erwartungen, Lösungen für die damaligen lähmenden Fragen zu finden. Vielleicht war die Kritik, als Stellung bezogen wurde, so massiv, daß das Sich-Zurückziehen in den eigenen Kreis vorgezogen wurde. Viele isolierte Gruppen befanden sich im Leerlauf, in der Sicherheit des abgeschlossenen Kreises.

Durch das einstimmige Schweigen wurde der Mythos des Schwarzen Blocks weiter verstärkt: ein Block, eine Farbe, eine Politik. Dabei wußte jede/r, daß dies nicht stimmte. Die Zahl der verschiedenen Meinungen und Vorstellungen unter uns waren fast so viele wie die Zahl der an einer Diskussion teilnehmenden Menschen. Es kann sein, daß die Angst vor der Feststellung dieser Uneinigkeit die Entstehung einer Diskussion verhinderte. Die VVs in Westberlin waren katastrophal. Niemand bezog sich auf den anderen. Es wurde rumgebrüllt und demonstrativ gegangen, weil die Anderen alle, voll daneben waren. Statt Auseinandersetzung gab es Schweigen.

Die INTERIM war deswegen eher das Ergebnis eines strategischen Rückzugs: der Versuch einer Diskussion auf einer alltäglichen, breiten, überschaubaren, regionalen, Ebene wiederherzustellen.

ID-Archiv:
Der Untertitel Berlin Info zeigt einige Parallelen zum info-Bug auf. Das Info entstand Anfang der 70er Jahre, in ihm wurden Berichte, Termine, Aktionen und Analysen der undogmatischen Szene unzensiert veröftentlicht. Seht ihr euch in der Tradition vom info-Bug, gibt es sowas wie eine historische Linie (Info-Bug - Radikal - Interim ?) und was gibt es Ende der 80er Jahre für Ansatzpunkte und Beweggründe für ein solches Blatt ?
Steht das wöchentliche Erscheinen, mit dem enormen technischen und organisatorischen Aufwand, im Verhältnis zur politischen Bedeutung der Zeitung ?
Was hat die Begrenzung auf Berlin für Gründe, eine Metropolenzeitung findet doch durchaus auch überregionales Interesse ?

INTERIM:
Zur Zeit des Info-Bugs gingen wir z.T. noch in den Kindergarten, viele haben noch nie ein Exemplar davon gesehen. Daher können wir uns zwar ideell in einer Kontinuität sehen, faktisch kaum. Anders schon bei der Radikal, die wir wenigstens hin und wieder in irgendwelchen westdeutschen Provinznestern zu Gesicht bekamen und die sicher viele unserer Sehnsüchte und Träume mit produziert hat.
Jede historische Situation produziert ihre Zeitungen, die authentischer Ausdruck des jeweiligen Entwicklungsstandes sind. So wie die radi sich seit Sommer 80 zum Sprachrohr des militanten und sozialrevolutionären Flügels der (Hausbesetzer-) Bewegung entwickelte, dies jahrelang blieb, es aber spätestens ab Herbst 82 nicht mehr schaffte, eine politisch weiterführende Antwort auf den Zerfall der Bewegung zu finden, sondern sich verlebt hatte. Letztlich aber doch überlebte (ebenso wie die Autonomen), weil Menschen, die weiter in den politischen Fragmenten der Szene lebten und kämpften, sie weitermachten, so ist die INTERIM ein Ausdruck des wiederaufgenommenen Versuchs neue Kraft und Stärke zu entwickeln. Eine politische Struktur, die zur Zeit eine tatsächliche - wenn auch kleine - politische kraft ist und an wichtigen Punkten (1.Mai, IWF) 8.000 Menschen zu revolutionären Demos mobilisieren kann, braucht einfach ein wöchentliches INFO. Und Mann/Frau merkt schnell, ob er/sie das Richtige macht, es innerhalb von einem halben Jahr schafft, sich als Bezugspunkt in der Szene zu verstehen, oder ob die Zeitung in der Luft hängt.

Zum Aufwand: Umgekehrt - die politische Bedeutung steht in einem Verhältnis zum Aufwand. Wir glauben, daß gerade die wöchentliche Erscheinungsweise ganz wichtig ist für den Gebrauchswert der Zeitung. So können Diskussionen tatsächlich über mehrere Nummern laufen. In einem Monat hat frau/mann schon wieder andere Sorgen und Themen. Die Erfahrung aus dem ersten halben Jahr gibt uns darin recht. Dies verlangt eine Menge Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit.

Berlin-Begrenzung: Erstens hat das technische Gründe. Wir haben keine Lust, jede Wochen ein paar Kisten Zeitungen, getarnt als DDR-Mastschweine durch den Transit zu schmuggeln. Zweitens ist das auch politisch unser Ansatzpunkt: Bewegung entzündet sich auf lokalen Kämpfen und verbindet sich erst dann überregional. Strukturen aufbauen heißt erstmal im Nahbereich anfangen. Wenn Zeitungen mit ähnlichem Konzept in Westdeutschland entstehen, was wir uns natürlich sehnlich wünschen, dann werden wir sicher einen regen Austausch mit ihnen haben.

ID-Archiv:
Im Editorial der 1. Nummer schreibt ihr, daß die Radikal sich in der Illegalität versteinert hat, gleichzeitig betont ihr in der Nr.10, "daß es jedem einleuchten wird, daß wir diese Zeitung klandestin machen müssen". Bleibt also die Frage, was ihr unter Klandestinität versteht? Gibt es eine notwendige Illegalität, die trotzdem eine lebendige Diskussion dokumentiert? Wie ist denn eine Zeitung vor drohender Repression zu schützen, die gleichzeitig in der aktuellen Diskussion bleibt und nicht in der Illegalität versteinert?
Mittlerweile gibt es ja einige Zeitungen, die (halb) illegal erscheinen bzw. erschienen (Frefraum, de Knispelkrant, Radikal, Sabot, Blättle...). In der Diskussion über Sinn und Notwendigkeit illegaler Zeitungsproduktionen ist die Repression des Staates eine Sache, die in der linksradikalen Szene vorherrschende Mystifizierung und das konspirationsgehabe ein anderer Punkt. Inwiefern beeinflussen solche Zeitungen (so auch ihr) eine Diskussionskultur, die politische Auseinandersetzungen(fast) nur noch in Kleingruppen ermöglicht, denn größere Treffen (Vollversammlungen, Plenen) enden ja nicht selten in allgemeiner Sprachlosigkeit ?

INTERIM:
Klar ist es ein komisches Rumlavieren zwischen Konspirativität und offenem Auftreten. Zum Teil bekommen wir von anderen die nötige Rückkopplung für unsere Arbeit, zum anderen sind wir auf unsere eigenen Diskussionen angewiesen. Wenn wir das ausschließlich wären und wenn wir alle nicht noch in anderen Zusammenhängen steckten, an denen schließlich die Themen der INTERIM zusammenfließen, dann wäre tatsächlich bald die Versteinerung in der Klandestinität da. Im übrigen ist es natürlich auch wichtig, wie direkt und wie massiv wir kriminalisiert werden. Wenn wir an einem Punkt angekommen sind, wo wir uns hauptsächlich mit der Logistik des klammheimlichen Zeitungsmachen beschäftigen müssen, dann wäre es wahrscheinlich besser aufzuhören. Aber da sind wir zum Glück noch nicht.

Auf der anderen Seite ist es schwer, zwischen Konspirations-Gehabe und notwendiger Vorsicht zu unterscheiden, wenn mann/frau (noch) keiner direkten Verfolgung ausgesetzt ist. Strukturen aufzubauen, die so konspirativ wie nötig und gleichzeitig so offen wie möglich sind, ist im übrigen kein Problem nur der INTERIM, sondern der ganzen Szene. Insofern sind wir da auch an den kollektiven Erfahrungen aus anderen Zusammenhängen, in denen wir stecken, beteiligt.

ID-Archiv:
Zum Schluß noch eine Frage zur Perspektive, auch wenn das in dieser Kürze natürlich nur knapp beantwortet werden kann. Orientiert sich eine Zeitung, wie ihr sie macht, an der Bewegung, wo doch die Bewegung oft orientierungslos ist ?
Kann eurer Meinung nach eine Zeitung die Bewegung positiv beeinflussen, neue Ideen hineintragen und Diskussionen entfachen oder ist eine Zeitung nur ein Spiegelbild allgemeiner Entwicklungen ?

INTERIM:
Wir sind genauso orientiert oder orientierungslos wie die Bewegüng oder einzelne Teile von ihr. Wir versuchen, aus der Ratlosigkeit Fragen zu formieren, die sich sicher stellen, z.B. die nach möglichen Organisationsformen. Wir tun das nicht explizit, sondern durch eine Auswahl der Papiere, die wir bekommen oder irgendwo aussuchen. Eine Zeitung kann die Bewegung genauso vorantreiben wie andere Gruppen, die sich zusammensetzen und zu dem Ergebnis kommen: das ist der Punkt, da geht's weiter, das muß gemacht werden, und das dann eben anpacken und so anderen die Möglichkeit geben, sich daran zu orientieren oder sich eben daran zu reiben. Unsere Möglichkeiten dafür sind begrenzt. Sie liegen hauptsächlich in der Auswahl und allenfalls Kommentierung von Papieren, die von anderen kommen.

Gleichzeitig sind wir durch unseren Anspruch kursierende Flugblätter und Erklärungen soweit wie möglich zu dokumentieren natürlich auch ein Spiegelbild. Wenn wir nur das wären und auch nichts anderes wollten, dann wären wir bessere Fotokopierer oder jedenfalls keine politisch denkenden und handelnden Subjekte. Wir glauben das ein Spiegelbild die Bewegung vorantreiben kann, wenn es kein schönfärberischer Schneewittchenspiegel ist (...ihr seid die radikalsten hier) sondern eben auch ein schonungsloser Spiegel, der Fragen unausweichlich macht. Wohin wir ihn lenken, darin steckt die politische Subjektivität der Zeitung. Aber als ein Teil der Bewegung sind wir nicht besser oder schlechter als diese. Oder wie wir es mal in einer alten Radi gelesen haben: "von der Bewegung - für die Bewegung". nach oben