aus: Interim Nr.1, 1.05.1988
Das Vorwort...
Die Zeitungen und Zeitschriften der undogmatischen Linken in der BRD kommen
und gehen. Sie begleiten die Entwicklung und Verwicklung dieser Politik: einige
kommen gar nicht zur Geltung, viele Überleben ihre politische Notwendigkeit.
Es ist aber gerade die Kurzlebigkeit und Spontaneität dieser linken Medien,
die ihre Stärke ausmacht. Sie sind keine Institution, sondern das Produkt eines
politischen Prozeßes und gleichzeitig ihr Spiegel. Ihre Inhalte sind nicht
diktiert, sondern kristallisieren sich aus der politischen Realität heraus.
Mit dieser Zeitung versuchen wir an die neuen Strömungen der radikalen
undogmatischen Berliner Linken anzuknüpfen und gleichzeitig zwei Lücken zu
schließen: ein fehlendes Berliner Info der undogmatischen Linken und der politische
Abgang der taz.
Seit dem 1. Mai letzten Jahres wächst das Bewußtsein in der linken Szene
über ihre eigene politische Situation. Gerade als es aussah, als ob über die
IWF-Kampagne das Schielen nach dem revolutionären Subjekt der Marginalisierten in
der Peripherie das nach den angeschlagenen nationalen Befreiungsbewegungen
ersetzen würde, wurde die eigene politische Subjektivität verstärkt wahrgenommen.
Berliner Alltag als politischer Alltag wurde von vielen neu entdeckt.
Ein politischer Wendepunkt war die Forcierung der Patriarchats-Frage durch
die Frauen. Mit einem Mal brachen die Bauklötze der linken TheoretikER an diesem
so elementaren und praktischen Ansatz zusammen. Wo der freie Facharbeiter durch
den entgarantierten, sporadisch notierende Subsistenzbauern ersetzt wurde, stand
nun die Frau im Mittelpunkt der politischen Analyse, was auch in der Metropole
kein bißchen Relevanz einbüßt.
Weiterhin wurde durch die taz- (Gerd Nokrawallski, Seitenklau), Kübel-,
Sputnik- und Stattbau-Aktionen die Szene zu neuen Überlegungen über sich selbst
gezwungen: ein Klärungsprozess. Die alternative Kultur wird zur Rechenschaft
gezogen: Freiraum oder Integration? Wessen Verbündete wollen sie sein?
Wir wollen hier keine Analyse liefern, sondern nur einige Bereiche anführen,
in denen eine lebendige Auseinandersetzung bei uns zur Zeit läuft. Lebendig, weil
sie die Bereitschaft zeigt, eigene Institutionen und Positionen infrage zu
stellen, trotz der Ungewißheit, in der ein solcher Prozess mündet. Darin aber liegt
gerade die Stärke einer undogmatischen linken Bewegung.
Wir denken, daß diese Zeitung gebraucht wird. Die "radikal" ist weg, und
nicht erst seit der letzten Nummer. Sie hat sich in der Illegalität versteinert.
Die "unzertrennlich" hat ihr Versprechen, Diskussionsforun zu werden, nie
eingelöst. Sie scheint sich in ihrem Anspruch, allen Seiten gerecht zu werden und
nur fertige Positionen weiterzugeben, selbst mundtot gemacht zu haben. Die "wildcat"
und die Wiederauferstehung der "Autonomie" sind zu Fachschriften der
Theoretikerlnnen geworden. Die verschiedenen anarchistischen Medien beschäftigen sich
wenig mit der Analyse des politischen Alltags. Über die taz brauchen wir in diesem
Zusammenhang gar nicht mehr zu reden. Auch die pseudo-folkloristische muz
aus 36 (Hoffentlich habt ihr euch teuer verkauft, GenossInnen!) ändert nichts
an deren politischer Öde.
Um der Lebendigkeit der Auseinandersetzungen gerecht zu werden, haben wir
uns für eine wöchentliche Erscheinungsweise entschieden. Wir sehen uns aber
nicht als die neueste Dienstleistung der Berliner Linken. Deswegen werden wir
ein Minimum an Arbeit reinstecken. Wir schreiben keine Artikel, das Layout geht
uns einen Scheißdreck an und die Inhalte wollen wir schon gar nicht bestimmen.
Die Zeitung soll aus drei Teilen bestehen: Dokumentation, Nachrichten und
zugeschickte Artikel. Unter Dokumentation verstehen wir Flugblätter und
Aufklärungsberichte zur Umsetzung von politischer Praxis. Diese werden wir in
Originalform reproduzieren.
Mit Nachrichten meinen wir die wichtigen Informationen, die uns immer
irgendwie vorenthalten werden. Täglich finden hier und in der ganzen Welt Ereignisse
statt, die Ausdruck von Klassenkämpfen sind und deshalb für uns eine politische
Relevanz haben.
Um uns den Streß der "richtigen Linie" zu ersparen und einen Haufen
redaktioneller Arbeit loszuwerden, haben wir uns entschieden, alle Artikel
abzudrucken, die uns zugeschickt werden, solange sie nicht sexistisch, faschistisch
oder rassistisch sind. Wenn viel Scheiße und Anpisserei kommt, wird uns allen
mindestens klar werden, wie der Stand der Diskussion tatsächlich ist. Wir hoffen,
daß dieser Teil der Zeitung auch von der Anti-IWF/Weltbank-Kampagne genutzt wird.
Es sind nur noch fünf Monate, bis die Schweine hier sind, und Infos sind bisher
kaum rübergekommen.
Wie immer gibt es einen Haken bei der Sache. Aus finanziellen Gründen können
wir nur garantieren, Artikel bis zwei Dinavier-Seiten abzudrucken. Ihr könnt uns
auch längere Artikel schicken, und wenn es geht, drucken wir die auch ganz ab.
Legt aber auf jenen Fall eine zwei-seitige Version bei. Das Layout müßt ihr
selber machen, wir übernehmen die Sachen so, wie sie kommen. Denkt dran,
anderthalb Zentimeter links und rechts frei zulassen.
Da wir immer noch auf eine feste Kontaktadresse warten müssen wir euch für
die nächsten Wochen bitten, Artikel, Programme, Comix, etc. bei den einschlägigen
bekannten Buchläden abzugeben.
PS: Ein Haufen unerwarteter Schwierigkeiten hat uns vor der Fertigstellung des
Infos überrollt. Fazit: Wir sind mit dieser Ausgabe überhaupt nicht zufrieden,
bringen sie aber trotzdem heraus. Das ganze hätte eher die Bezeichnung 0-Nummer
verdient.
Nächste Woche gibt es die nächste Ausgabe, u.a. und hoffentlich mit
einer Einschätzung der Ereignisse um die Rosa Luxemburg-Demo mal aus anderer
Sicht.
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