aus: Interim Nr.23, 7.10.1988
Gegen IWF/WB, Aktionstage in Berlin (DDR)
Presseerklärung
Im September 1988 findet in Westberlin die Jahrestagung von IWF und Weltbank statt. BurgerInnen und Gruppen aus beiden Teilen Berlins, aus beiden deutschen Staaten haben sich auf ihre Weise darauf vorbereitet. Zu ihnen gehören auch die Unterzeichner dieser Erklärung, die damit öffentlich machen wollen, daß sie sich trotz differenzierter Auffassungen innerhalb und zwischen den Gruppen im folgenden einig sind:
1. Die Ende September 1988 in West und Ost stattfindene Aktionswoche richtet sich
- gegen IWF, Weltbank und Geschäftsbanken sowie ihre mörderischen Praktiken bei der Ausplünderung der Völker in allen Teilen der Welt;
- gegen die Aufrechterhaltung einer Weltwirtschaftsordnung die gewährleistet, daß ein Teil der Weltbevölkerung auf kosten der andern lebt.
2. Wir wenden uns gegen das kapitalistische Gesellschaftssystem, dessen Gesetzmäßigkeiten und die sich aus diessen ableitenden Institutionen die gegenwärtige Weltwirtschaftsordnung bestimmen. Dieses System beruht auf Ausbeutung und verschärft daher die Gegensätze von arm und reich. Wir wenden uns ebenso gegen Strukturen in Ländern des real-Sozialismus, die die Vöker dieses Teils der Welt den Wirkungen und Folgen der kapitalistischen Weltwirtschaft aussetzen und die Entwicklung alternativer ökonomischer Beziehungen verhindern.
3. Wir haben gemeinsame Interessen, aber wir sind uns sehr wohl der Tatsache bewußt, daß deren Realisierung in Ost und West uns vor ganz unterschiedliche Aufgaben stellt.
4. Wir wenden uns entschieden gegen jeden Versuch, unsere Kritik am jeweiligen eigenen System in eine Befürwortung des jeweils anderen Systems zu verfälschen.
Berlin, im September l988
Folgende Gruppen haben dieser Erklärung zugestimmt:
19.Juli/Nikaraguagruppe
Friedenskreis Friedrichsfelde
Gegenstimme
Kirche von unten
Umweltbibliothek
Ost-Berlin (Taz):
Etwa 800 vorwiegend junge Menschen haben am Sonntag abend in der Ost-Berliner Sophien-Kirche an einem Gottesdienst teilgenommen, in demaus Anlaß der Tagung des internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank in West-Berlin Kritik an diesen beiden Institutionen geüht wurde. Die DDR ist zwar nicht Mitglied dieser Organisitionen, doch seien die besten Hotelzimmer in Ost-Berlin mit Teilnehmern der Tagung belegt, erklärte ein Sprecher im Gottesdienst.
Der Handel der DDR mit Entwicklungsländern habe im übrigen dieselben Strukturen, wie sie im Handel westlicher Industriestaaten mit Entwicklungsländern bestimmend seien. Die DDR erziele im Handel mit den ärmsten Ländern Devisengewinne. Während des Gottesdienstes wurden unter Hinweis auf viele in der DDR beschäftigte Menschen aus einigen Entwicklungsländern wie etwa Mosambik auch Beispiele für Fremdenfeindlichkeit genannt.
Auf Transparenten, die von der Empore in der Sophien-Kirche gezeigt wurden, hieß es unter anderem: "IWF und Weltbank organisieren die Armut der Völker. Auf hektographierten Zetteln, die von einigen Teilnehmern des Gottesdienstes von der Empore geworfen wurden, wurde ebenfalls auf die Unterbringung von "Finanzhaien" in Ost-Berliner Devisenhotels verwiesen und damit der Vorwurf verbunden, die "Bonzen hier" (in der DDR) scheuten sich nicht, "eine runde halbe Million
Dollar Schmiergelder dafür zu nehmen".
Kritik wurde daran geübt, daß die staatlichen Behörden einen ursprünglich geplanten "Pilgerweg" zwischen mehreren Kirchen verboten hatten, und die Amtskirche ebenfalls einen solchen "Pilgermarsch" nicht mitzutragen bereit gewesen sei. Auch eine dreitägige Mahnwache vor der US-Botschaft konnte nicht stattfinden.
Eröffnet wurde die Ost-Berliner Aktionswoche von Autonomen und kirchlichen Basisgruppen am Freitag abend mit einem Solidaritätskonzert. Samstag und Sonntag veranstaltete dann der Friedenskreis Friedrichsfelde ein Seminar "zu Fragen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung". Eingeladen hatte man sowohl Vertreterinnen von Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt als auch Experten aus dem Ostblock.
Offensichtlich wurde einigen Gästen jedoch die Einreise verwehrt. Knapp 80 TeilnehmerInnen diskutierten zunächst das Verhältnis von kapitalistischen Industrie- und Entwicklungsländern, die Rolle des IWF und der Weltbank - ob diese Institutionen im Sinne einer gerechteren Wirtschaftsordnung "demokratisierbar" seien oder abgeschafft werden müßten.
Diskussionsschwerpunkt war die Rolle der real sozialistischen Länder im Weltmarkt. Fünf von ihnen, Polen, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien und die VR China, sind bereits Mitglieder im IWF. Bei anderen Ländern stehe der Beitritt bevor. Doch während ein Referent über die marktwirtschaftlichen Elemente der ungarischen Reform ins Schwärmen geriet, über soziale Probleme und wachsende Massenarmut weitgehend hinwegging und Südkorea als positives Beispiel für ein Entwicklungsland darstellte, sahen andere die aktuellen Wirtschaftsreformen in der Sowjetunion und anderen
Ostblockländern mit kritischem Blick.
Vorläufige Festnahmen in Ost-Berlin
In Ost-Berlin sind 30 bis 50 vorwiegend junge Menschen vorläufig festgenommen worden. Wie Augenzeugen berichteten, hatten sich am Pergamonmuseum insgesamt 50 bis 60 Menschen versammelt. Sie hatten Konferenzteilnehmer aus West-Berlin, die das Museum besuchten, außerhalb des Gebääudes mit Pfiffen empfangen und mit Geldmünzen geworfen.
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