aus: Stachlige Argumente Nr.51, Juli 1988 (Alternative Liste Berlin)
Eine Mordmaschine läßt sich nur bekämpfen
Je näher das politische Großereignis rückt, desto mehr ,besetzen' die politischen Parteien von
SPD über DKP bis zu den Grünen und der AL die vermeintlich entscheidenden Posten und
Felder. Es ist das alte Spiel. Bekannt aus den Vorbereitungen zum Bonner Weltwirtschaftsgipfel oder
in der Hochphase der HändchenhalteKampagne gegen die atomare Aufrüstungen.
Die IWF-Kampagne wird von den Parlamentariern vereinnahmt, die Politiker analysieren,
diskutieren vor surrenden Kameras, präsentieren Lösungsvorschläge für die Schuldenkrise.
Reform ist angesagt, eine ,Neue Weltwirtschaftsordnung' muß her, eine ganz andere
Entwicklungspolitik formuliert werden, der IWF und die Weltbank ,demokratisiert' werden.
Die Autonomen treiben in eine "gefährIiche Selbstisolation", wie der 'Arbeiterkampf' in
seiner Ausgabe vom Mai 88 schreibt.
In der Tat sind die Autonomen und Antiimperialisten mittlerweile die einzigen Kräfte in der
BRD, die darauf beharren, daß der IWF nicht reformierbar ist und unsere politische Arbeit
sich auf die Organisierung des Widerstands und des Angriffs im 'Herzen der Bestie'
konzentrieren sollte. Uns reicht es nicht aus, 'betroffene aus der 3. Welt' hier zu Wort kommen
zu lassen und den 'IWF anzuklagen'. Als krönender Abschluß dann noch eine 'machtvolle
Kundgebung' (Originalton SEW) oder 'bundesweite Großaktion' (so die Grünen und die
AL) - das kann doch als 'Kampagne' nicht alles sein.
Alle Parteien haben eine Heidenangst, etwas mit den von den bürgerlichen Medien und den
Staatsschutzagenturen hochgespielten geplanten Störungsaktionen während des Kongresses zu
tun zu haben. Deshalb beschränken sie ihre ganzen Aktivitäten auf die Zeit vor Beginn des eigentlichen Spektakels. Ich will im Folgenden begründen, warum wir aus politischen, inhaltlichen Gründen den Widerstand organisieren und welche Rolle dabei die auf der 3. Aktionskonferenz vorgestellten 'Aktionstage" haben könnten.
Zunächst ist es allerdings notwendig, kurz die Hintergründe des Entstehens von IWF und
Weltbank und ihre Funktionen zu beschreiben. Das scheint nach wie vor notwendig zu
sein, wie man/frau an einem absehreckenden Beispiel aus dem 'Kreuzberger Stachel' vom
Mai 88 ersehen kann. An diesem Artikel ist nur die Überschrift annähernd richtig: "IWF:
Weltpolizist des Kapitals", sonst strotzt der Artikel von Fehlern, politischen Fehleinschätzungen.
Der IWF und die Weltbank sind Mordmaschinen.
Wir müssen vor allem deshalb noch einmal auf die geschichtlichen Ursachen der Gründung des IWF verweisen, weil nur so verständlich wird, wieso der IWF und die Weltbank Mordmaschinen des Imperialismus sind. Bereits vor Kriegseintritt der USA machten sich führende Politiker im US-Außenministerium Gedanken über die unter Führung der USA zu gestaltende neue Weltwirtschaftsordnung nach der Niederlage des Hitler-Faschismus. Bereits 1941 wurde
in die US-Literatur ein neues deutsches Wort eingeführt: 'Großraumpolitik'. Namhafte Politiker und Wissenschaftler verwiesen auf die erfolgreiche Wirtschaftseroberungspolitik der Nazis auf dem Balkan. Die Instrumente waren die gleichen, die später auf der Konferenz von Bretton Woods Eingang in die von den USA beherrschte neue Weltwirtschaftsordnung finden sollten.
Die Nazis eroberten den Balkan vor der militärischen Besetzung mithilfe ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Machtstellung in Mitteleuropa. Auf dem Balkan wurde die Reichsmark als Leitwährung eingeführt, die bäuerliche Kleinproduktion und Subsistenzwirtschaft wurde im Interesse u.a. der IG Farben zerstört, die Landwirtschaft wurde als Rohstoffsektor für die Agroindustrie entdeckt und entsprechend zugerichtet. Das bedeutete Vertreibung, Enteignung für die bäuerlichen
Familien. Die Handwerker folgten der Landbevölkerung in die Fabriken der Agrokonzerne. Wer als billigste Arbeitskraft nicht verwertbar war, mußte verhungern - und das betraf bereits vor dem 2. Weltkrieg in Rumänien, Ungarn, der Osttschechei Zehntausende.
Dieses Konzept der Nazis, Entwicklung durch Vernichtung - nämlich Vernichtung einer dem Kapital sich bisher entziehenden Subsistenzökonomie - zwang die Bevölkerungsmassen, sich in den kapitalistischen Verwertungsmarkt zu integrieren, sich ihm zu unterwerfen. Die Profite wanderten in die Taschen der Nazi-Kanzerne und der mit ihnen kollaborierenden nationalen Bourgeoisie.
Dieses Modell der Eroberung des Großraums mit einer Leitwährung, keinen Zollschranken und einem riesigen Arbeitskräftereservoir faszinierte nicht nur die Nazis. Die 1944 beschlossene Weltwirtschaftsordnung von Bretton Woods sicherte den USA die wirtschaftliche Hegemonie mit denselben Mitteln. Demzufolge war der Abbau aller Handelshemmnisse, die Sicherung fester
Währungsparitäten auf der Dollarbasis die entscheidende Voraussetzung für die US-Wirtschaft, die gesamte Weltwirtschaft (mit Ausnahme der sozialistischen Länder) zu kontrollieren. Dabei zeichneten sich die US-Konzerne weniger durch eine Warenexportoffensive, sondern durch eine Kapitaloffensive aus. Ausländische Konzerne wurden aufgekauft, Beteiligungsfirmen gegründet, eine Unzahl von Tochterfirmen aus dem Boden gestampft.
Durch diese Strategie sicherten sich die mächtigsten Konzerne der Welt den Rohstoff- und
Agrarmarkt der aus der kolonialen Abhängigkeit entlassenen Länder Afrikas und Asiens. In
der Konsequenz wurden die profitablen Teile der jeweiligen Binnenmärkte den Gesetzen des
kapitalistischen Marktes mit unterworfen, aus Bauern wurden Tagelöhner, aus Handwerkern
Lohnarbeiter in den modernen Fabriken der ausländischen Konzerne. Der Weltmarkt
wurde durch die stärksten kapitalistischen Konzerne nach dem 2. Weltkrieg neu aufgeteilt, neue
Kartelle geschlossen, neue Märkte sich gegenseitig zugeschanzt.
Die besten Beispiele dafür sind die Chemie-, Öl-, Elektro- und Agrarindustrie. Die koloniale Abhängigkeit der unterentwickelten Länder wurde ersetzt durch die erdrückende Macht der Multis. Flankiert wurde diese Neuaufteilung und Öffnung des Weltmarkts durch eine Modernisierung imperialistischer Politik. Wesentliche Teile dieser Modernisierung stellen der IWF und die Weltbank dar.
Angetreten mit dem Versprechen, gerechtere und verläßlichere Handelsstrukturen aufzubauen,
"Frieden und Wohlstand" allen Völkern zu bringen, entwickelte sich die Politik der Weltbank und des IWF schnell zu einem Katalysator der kapitalistischen Durchdringung der Wirtschaftsstrukturen der Länder in den drei Kontinenten Lateinamerika, Afrika und Asien.
Das bekannteste Beispiel der Zerstörung nichtkapitalistischer Produktionsweise ist wohl die von der Weltbank mitfinanzierte "Grüne Revolution" in den 6oer Jahren. Es war letztendlich eine Revolution für die internationalen Agrarkonzerne wie United Fruit, Kellogs oder Cargill und eine Zerschlagung bäuerlicher Subsistenz und Eigenständigkeit in vielen Ländern. Die "Grüne Revolution" endete mit Vertreibung, Hunger und Völkermord zugunsten des großen Kapitals. Die Versuche der Weltbank in den 70er Jahren, die weitere Ausplünderung und Verarmung der Völker in den drei Kontinenten
einzudämmen und damit eine Zuspitzung der sozialen Gegensätze zu vermeiden, scheiterten.
Eine von Mc Namara geforderte Landreform scheiterte am Widerstand der Großgrundbesitzer und der
Agrarkonzerne. Die Befreiungsbewegungen, z.B. in Zentralamerika, erhielten noch größere
Unterstützung des Volkes. Den kapitalistischen Industriestaaten war an einer Veränderung des status quo nicht gelegen. Sie lieferten stattdessen immer mehr Waffen zur Autstandsbekämpfung. McNamara sorgte sich schon vor zehn Jahren um die "kollektive Sicherheit und kollektive Entwicklung" einer ungestörten Eroberung der "Entwicklungsländer" durch die Industriestaaten, deswegen sollte den Industriestaaten klar werden, daß "ein Dollar mehr für Waffen weniger Sicherheit einbringt als ein Dollar mehr für Entwicklungshille".
Die moderne Form der Triage
Doch diese Dollars mehr für Entwicklungshilfe wanderten fast ausnahmslos in die Taschen des Agrobusiness und der kleinen Kaste der Oligarchie in den Ländern des Trikonts. Der Aufbau von durch die Weltbank geförderten 'Satellitenfarmen' mitten in Regionen der Armut und des Hungers wie in Nordost-Brasilien oder der Sahelzone steigerte zwar z.B. den Gemüseexport von Mali binnen weniger Jahre um 40%. Die Unterernährung und die Landvertreibung wurden durch diese Form von Entwicklung aber nur noch zugespitzt. Allgemein ist die Abhängigkeit der Trikontländer vom Weltagrarmarkt nur noch gesteigert worden. Das Geschäft machen die großen US- amerikanischen und europäischen Agrobusinesskonzerne wie Chargill, Unilever oder Philip Morris.
Für den Agrarexport werden die besten Böden und Ressourcen in den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt. Dafür sinkt die Grundnahrungsmittelproduktion für die einheimische Bevölkerung, die Preise steigen ins Unermeßliche. Das ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb Millionen auf der Flucht sind, weshalb es zu den Millionen Hungertoten kommt.
Der Teufelskreis von erhöhten Agrarexporten und deshalb erhöhten Lebensmittelimporten, u.a. aus der EG, hat wesentlich erst den Hunger erzeugt. So konnte der Weizen zu einer immer machtvolleren Waffe für die imperialistischen Länder werden. Der ehemalige US- Vizepräsident Humphrey sagte 1973 auf der Münchner Ernährungskonferenz: "Nahrung ist eine Machtform. Nahrung ist eine besondere Dimension unserer Diplomatie".
Den Weltgetreidemarkt haben einige wenige US-Konzerne in der Hand. Cargill und Continental Grain
bestimmen an der Chicagoer Getreidebörse die Weltmarktpreise. Sie sind die Hintermänner der Getreidepreisspekulation, wie sie sich z.B. Anfang dieses Jahres wieder vollzog, als Falschmeldungen über einen neuen Super-GAU in der Sowjetunion durch die Weltpresse gingen.
Bei dieser präzise überlegten Politik der Entwicklung der Unterentwicklung mit systematisch erzeugter Unterernährung ganzer Völker kann nicht mehr von "Fehlentwicklung" und
vom Hunger als "Naturkatastrophe" gesprochen werden. Beides wird systematisch
erzeugt und ist durch die Verschuldung der Länder des Trikonts nur auf die Spitze getrieben
worden.
Die von Organisationen der Weltbank und der UNO vorangetriebene Bevölkerungspolitik tut
ein übriges. Zwangssterilisationen in Lateinamerika (mehr als 30% aller Frauen in Costa
Rica sind sterilisiert u.a.), in Afrika und Asien sollen das Bevölkerungswachstum einschränken.
Letztendlich, und das wird auch so gesagt, sind sie die Vernichtung der 'überflüssigen Esser', die nicht fürs Kapital verwertbar sind. In der Weltbanksprache heißt dies: "Hilfe nur an die Länder und Bevölkerungsteile zu geben, die die größte Chance zum Überleben aufweisen und die anderen dem Verhungern zu überlassen", so haben es zwei US - Wissenschaftler für die Weltbank formuliert.
Oder wie es in einem Artikel der seriösen 'Neuen Züricher Zeitung' vom 16.5.85 hieß: "Bei ländlichen Basisprojekten kommt man nicht darum herum, eine Auslese unter den Nutzniessern zu treffen, die im Grunde einer Triage gleicht." Triage ist ein Begriff aus der
Militärmedizin und besagt, die Verletzten danach zu behandeln, wer am schnellsten wieder an der Front einsetzbar ist, die anderen können verrecken.
Diese Politik der Weltbank kann nur als organisierter Völkermord bezeichnet werden. Diese Politik wird auch von bundesdeutschen 'Entwicklungshilfeorganisationen' wie der Konrad-Adenauer-Stiftung, des in Berlin ansässigen 'Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik' oder der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) mitgetragen. Das Entwicklungshilfeministerium ist mit Hunderten von Mio. DM dabei, wenn es um Bevölkerungsplanung in Bangla Desch geht, wobei Nahrungsmittelhilfe eng an die Sterilisation gekoppelt wird. Die GTZ ist dabei, wenn in Osttimor Zwangsumsiedlungen und
Zwangssterilisationen durchgeführt werden, um der Befreiungsbewegung den Boden zu entziehen. Es
kann also nicht nur in unserer Diskussion und Agitation um die Schuldenkrise gehen. Sie ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir müssen die ganze Breite, das ganze Instrumentarium der imperialistischen Politik benennen und sie angreifen.
Die Politik des bundesdeutschen Kapitals
Die deutschen Großbanken haben allein den lateinamerikanischen Schuldnerländern Kredite in Höhe von 41 Mrd. DM gewährt, die Deutsche Bank gehört zu den zwanzig größten Banken der Welt. Allein 1987 exportierten die deutschen Großkonzerne mehr als 100 Mrd. DM Kapital ins Ausland. Deutsche Multis kaufen sich weltweit neue Fabriken und neue Märkte, vornehmlich in den USA. Allein der Siemens-Konzern besaß Ende 1986 ein liquides Geldvermögen von über 23 Mrd. DM!
Das deutsche Großkapital investiert nicht mehr in der BRD, 4/5 aller Investitionen der deutschen Industrie werden im Ausland getätigt: Es geht um Eroberung neuer Märkte, Absicherung bestehender Marktmachtverhältnisse und Ausnutzung des Lohngefälles. Im Schlepptau dieser Politik der Multis bewegt sich auch die Bonner "Entwicklungshilfepolitik".
In den letzten Jahren hat eine deutliche Verschiebung auf dem Weltmarkt zugunsten der japanischen und bundesdeutschen Konzerne stattgefunden, allerdings ohne daß die Hegemonie der USA auf dem Währungssektor angetastet wurde. Dadurch, daß der Dollar auch weiterhin die Weltleitwährung bildet, konnten die USA über die Dollarabwertung einen erklecklichen Teil ihrer Auslandsschulden abschreiben. So betrug z.B. der Verlust für das von Japan in den USA angelegte Kapital allein 50 Mrd. $!!
Was kann eine Schuldenstreichung kurzfristig bewirken?
Wenn eine von Fidel Castro oder den Grünen geforderte Streichung aller Auslandsschulden erfolgen würde, hätte dies nur auf den ersten Blick eine entlastende Funktion für die Schuldnerländer. Zwar müßten diese Länder nicht mehr die horrenden Summen für Zinsen und Tilgung aufbringen, und somit stünden die Devisen für neue Investitionen und Importe zur Verfügung. Aber in den Hauptschuldnerländern wie Mexiko, Argentinien oder Brasilien ist der gesamte Binnenmarkt wegen der Schuldenkrise und der zu zahlenden Dollarmilliarden völlig zugunsten der devisen bringenden Exportwirtschaft umgekrempelt worden.
Es müßte also ein riesiges Umstrukturierungsprogramm zur Förderung der inländischen Versorgung aufgebaut werden. Damit wäre die Massenarmut der in die Slums vertriebenen Landbevölkerung aber überhaupt noch nicht beseitigt. Auch ohne die Verschuldung wären die sozialen Verhältnisse in Brasilien, Mexiko oder Nigeria kaum anders. Ohne eine grundlegende Landreform und Enteignung des Großbesitzes wird sich die Massenarmut in diesen Ländern wohl nicht beheben lassen. Eine Streichung der Schulden allein, ohne die Macht- und Herrschaftsverhältnisse der nationalen Bourgeoise
anzugreifen, wäre Augenwischerei.
Lösungsstrategien - gibts die ?
Der Gegenkongreß der AL wird sich ja nun hauptsächlich auf die Erörterung von Lösungsstrategien konzentrieren. Die bisherigen Vorschläge können nur als neuer Wein in alten Schläuchen bezeichnet werden. Die Reformvorstellungen von Grünen, DKP und den Teilen der SPD, die die Nord-Süd-Kampagne mitorganisieren, decken sich weitgehend. Wir wollen uns ein wenig mit ein paar zentralen Aussagen der Grünen auseinandersetzen.
Die Weltwirtschaft muß eine grundsätzliche "Umstrukturierung" erfahren, das sagen die Grünen.
"Sonst würde sich die gleiche Misere wiederholen", fügen sie hinzu. "Deshalb ist die gesamte Weltwirtschaft auf der Basis von Solidarität und Gerechtigkeit neu zu organisieren", heißt die Konsequenz bei den Grünen, dazu gehört auch: "die Macht der multinationalen Konzerne muß kontrolliert und gebrochen werden". Also eine "Neue Weltwirtschaftsordnung" auf Basis des gerechten Tauschs. Aber sagte nicht schon Friedrich Engels: "Der Handel ist der legale Betrug."?
Wenn seitenlange Papiere über die Notwendigkeit einer "Neuen Weltwirtschaftsordnung verfaßt werden,
ohne die Interessen, das treibende Motiv der kapitalistischen Konzerne in diesem imperialistischen Weltmarkt zu benennen, so können auch nur moralische Forderungen dabei rausspringen. Die Macht der Multis zu brechen, liest sich kaum anders als die alte Forderung nach Zerschlagung der Macht der
staatsmonopolistischen Konzerne, wie sie vor 15 Jahren von der DKP erhoben wurde. Die
Machtposition einzelner Konzerne zu kappen, wie United Fruit in Guatemala oder ITT in Chile oder Rio Tinto in Namibia, kann kurzfristig zu einer Aufhebung der Abhängigkeit der Nationalstaaten von den imperialistischen Konzernen führen. Langfristig würde sich nur die alte Leier wiederholen. Wer das nicht sieht, hat kaum etwas vom Wesen der Konkurrenz (der Konzerne auf dem Weltmarkt) und dem
Zwang zur Akkumulation (Profitsteigerung) im Kapitalismus verstanden:
"Die Konkurrenz unter den Kapitalien vermehrt die Akkumulation unter den Kapitalien. Die Akkumulation. welche unter Herrschaft des Privateigentums Konzentration des Kapitals in wenigen Händen ist, ist überhaupt eine notwendige Konsequenz, wenn die Kapitalien ihrem natürlichen
Lauf überlassen werden, und durch die Konkurrenz bricht sich diese natürliche Bestimmung des Kapitals erst recht freie Bahn", so drückte es der olle Marx vor über 140 Jahren aus. Also, folgt man/frau Marx in dieser Argumentation ist es mit einer Beschneidung der Monopole nicht getan, solange die kapitalistische Konkurrenz- und Profitwirtschaft auf Basis des Privateigentums nicht revolutioniert wird.
Umstrukturierung der Weltwirtschaft ohne Aufhebung des Privateigentums, des Antagonismus von Lohnarbeit und Kapital, um eine solidarische und gerechte Weltwirtschaftsordnung aufzubauen, ist sowas wie ein Haus ohne Türen und Fenster. Dies hat für unser gesamtes politisches Programm weitreichendste Folgen. "Befreiung" ohne Sturz der Oligarchien und des von ihnen beherrschten Wirtschaftssystem ist keine Befreiung für die Völker in den drei Kontinenten. Aber - und hier wirds spannend - Befreiung von Unterdrückung, Hunger, Ausbeutung kann nur von Dauer sein, wenn die Herrschaft des imperialistischen Wirtschaftssystems in den Metropoleh gebrochen wird. Es geht nicht nur um Verstaatlichung von Banken und Großkonzernen, es geht nicht nur um eine gerechtere Vermögensverteilung, um Mitbestimmung, wenn nicht der Kapitalismus in seinem Wesen verändert wird. Gerechten Tausch zwischen Kapital und Arbeit, verschiedenen Ländern gibt es nicht. Das ist sowohl
theoretisch wie empirisch erwiesen. Wieso aber mogeln wir uns immer da herum ?
Das Kapital organisiert den Angriff weltweit
Wir müssen also noch einmal betonen: Das multinationale Kapital, IWF und Weltbank operieren weltweit. Und zwar nicht nur in der "3.Welt", sondern auch zunehmend in den realsozialistischen Ländern, in China und in Westeuropa.
Wir hier in den Metropolen bekommen mehr und mehr die Folgen der Internationalisierung
des kapitalistischen Verwertungsprozesses zu spüren. Die Arbeitsbedingungen, die das Kapital in
Südkorea oder Taiwan vorfindet, die mithilfe von Weltbankkrediten in den sogenannten "free enterprise zones", den Weltmarktfabriken auf Mauritius oder in Singapur geschaffen worden sind, diese Arbeitsbedingungen werden vom Kapital nach Europa importiert. Ein Sprecher des deutschen Textilunternehmerverbandes beklagte sich noch 1985:
"Wir leben in der Tat in anomalen Marktverhältnissen. Von normalen Marktverhältnissen wird man erst sprechen können, wenn die Maschinenlaufzeiten bei uns denen in Korea angeglichen werden können."
Nun, diese Herren Unternehmer dürften heute recht zufrieden in die Zukunft schauen. Maschinenlaufzeiten von 144 Wochenstunden, die Sonntagsarbeit bedeuten, sind erst im letzten Jahr nach langen, allerdings nur betriebsinternen Auseinandersetzungen, bei Gillette in Berlin eingeführt worden. Gillette Berlin war der letzte Produktionsstandort des US-Multis, der nicht die "koreanischen" Arbeitsbedingungen erfüllte.
Dabei war das Vorgehen des Managements denkbar einfach gegenüber dem Betriebsrat.
Entweder ihr erfüllt unsere Forderungen nach Einführung der Sonntagsnachtarbeit oder wir machen hier die Bude dicht bzw. schmeißen die Hälfte der Belegschaft raus und verlagern die Produktion z.B. nach Spanien. Ähnliches vollzog sich gerade bei IBM in Baden-Württemberg und bei General Motors/Opel in Kaiserslautern. Aus Angst vor Arbeitsplatzverlusten unterschrieben die Betriebsräte Vereinbarungen mit der Konzernleitung, die die Produktionszeiten auf 140 Wochenstunden ausdehnen und somit sich den Produktionsbedingungen in Spanien oder Großbritannien angleichen. Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, die Ausdehnung der Schichtarbeit aufs Wochenende, die Einführung von Zeitarbeitsverträgen usw. ist die direkte Folge der Neuen Internationalen Arbeitsteilung.
Dabei geraten in verstärktem Maße die deutschen Arbeiterinnen in direkte Konkurnenz zu
den südkoreanischen oder brasilianischen ArbeiterInnen. Sofern läßt sich in der Tat die
These von der Existenz eines "Weltproletariats" empirisch belegen. Und wer da immer noch
von Ausbeutung, Unterdrückung, Armut in der "3.Welt" spricht, ohne dieselben,
sicherlich vergleichsweise moderateren, Bedingungen hier in den Metropolen zu thematisieren -
der hat nichts begriffen oder will es nicht begreifen.
Ich denke bei vielen in der AL, bei den Grünen ist es eher so: sie wollen es nicht begreifen, weil das nämlich Konsequenzen für ihren politischen Alltag hätte. Sie reden nicht von der imperialistischen Politik in den Metropolen, von der Unterdrückung, Vertreibung
und Zwangssterilisation von Millionen von Frauen im Trikont - die hier bei uns, hier in Westberlin mitgeplant und mitfinanziert wird. In Anbetracht dieser Völkermordpolitik noch weitere parlamentarische Anfragen zu stellen und Reformen zu verlangen, ist für mich perfider Zynismus. Wenn dann noch als I-Tüpfelchen aus demselben Spektrum auf die gewaltfreien
Aktionsformen als einzig "legitimer Form des ,Widerstands" hingewiesen wird,
krieg ich das Kotzen. Wollen die Leute überhaupt (noch) radikale Veränderungen? Oder wollen sie nicht lieber in ihrem alternativen Mittelstandsmief nur ihr schlechtes politisches Gewissen beruhigen? Dieter Kunzelmann hat vor kurzem in einem Interview mit der taz von der AL gefordert, sie müsse mit ihrer und durch ihre Politik dazu beitragen, "diese Stadt unregierbar zu machen". Inder AL gibts dafür aber keine Mehrheit mehr.
Wir mussen uns klar darüber sein, wir haben weder hier bei den Gewerkschaften noch gar bei den
realsozialistischen Ländern politische Bündnispartner. Die Gewerkschaften, genauer der
Funktionärskörper steht - wenn's hart auf hart kommt - auf der Seite des Staates, auf der Seite
des Kapitals. Den Klassenkampf haben sie ja selbst zu den Akten gelegt. Konsequente internationale
Solidarität ist von solchen Figuren wie Hans Rappe oder Steinkühler nicht zu erwarten. Der Überstundenstreik bei VW in Salzgitter anläßlich des Streiks der gesamten Belegschaft in Mexiko ist da die große Ausnahme. Die Regel sind eher Streikbrecherfunktionen wie zuletzt beim britischen Bergarbeiterstreik durch die IG Bergbau und Energie.
Die Realsozialistisehen Länder wie Polen, Ungarn und auch die UdSSR sind entweder schon im IWF
oder drängen massiv rein. Die Wirtschaft Polens - eines der, gemessen an der Pro-Kopf-Verschuldung, höchst verschuldeten Länder der Erde - ist mit ihren mittlerweile 40 Mrd. $ (!) Auslandsschulden völlig vom Diktat der westeuropäischen, insbesondere der westdeutschen, Bankeit, dem IWF und der Weltbank abhängig.
Die Preiserhöhungsrunde im Herbst letzten Jahres und der Abbau von Nahrungsmittelsubventionen war das Ergebnis einer intensiven "Beratung" von Vertretern der Weltbank, wie das "Handelsblatt" damals schrieb. Die Streikbewegung im Mai 88 ist die direkte Konsequenz dieser Politik der Banken und der polnischen Regierung. Die gegen die Arbeiterinnen im Stahlwerk Nova Huta eingesetzten Panzer waren für Jaruselski zwingende Notwendigkeit, um die vom internationalen Bankenkapital geforderte "Reformpolitik" zu realisieren. Es ist eine Politik, die sich eindeutig gegen die Bevölkerung, gegen die ArbeiterInnen richtet.
Wenn ungarische, sowjetische Politiker und Wirtschaftswissenschaftler von der Notwendigkeit
der Einführung eines Arbeitslosenheeres sprechen, um die Rationalisierung von Industrie
und Landwirtschaft schneller und effektiver durchzuführen - und um die Konkurrenz
unter den ArbeiterInnen in den Betrieben zu fördern - was haben wir dann noch von
solchen ehemals antikapitalistischen, antiimperialistischen Ländern zu erwarten? In Puncto
IWF/Weltbank: Nichts, aber auch gar nichts mehr!
Was folgt daraus für uns praktisch?
In der Kampagne gegen IWF/WB zeichnet sich eine neuartige Form ab: In beiden Haupttendenzen, den
"Reformern" und den Linksradikalen wird ein Bündnis abgelehnt, weil sowohl die inhaltlichen wie auch die praktischen Gegensätze dies verbieten. Gleichzeitig - und das ist außerordentlich neu - wird in beiden Lagern auf die Gefahr hingewiesen, daß der gemeinsame Gegner - und das ist nicht nur ein "fremdes" Internationales Kapital, sondern das sind die BRD-Regierung, sind die westdeutschen Multis, die weltweit keine unbedeutende Rolle spielen, ist die Bourgeoisie im eigenen Lande - von sich ablenken will, indem er die Gegensätze zwischen Reformisten und Linksradikalen zum Hauptthema macht. Aus dieser Einsicht sind praktische Schlüsse gezogen worden:
Es gibt wechselseitige Informationen über die zentralen Punkte der jeweiligen Kampagnen-Vorstellungen, und es gibt inzwischen einen "Fahrplan" für die Aktivitäten im September 1988 in der BRD, der in den verschiedenen Lagern eine mehrheitliche Zustimmung gefunden hat. Oberste Regel dabei ist: Falsche Gemeinsamkeiten schwächen, verwischen und nützen dem Gegner - deswegen sollen sie auch nach Raum, Zeit und Aktionsform voneinander getrennt werden.
Konkret bedeutet das: Da der IWF/WB-Kongreß an den Wochentagen Dienstag bis Donnerstag (27. - 29. Sept.88) stattfindet, werden die Hauptaktivitäten der "Reformer" am Wochenende vor dem Kongreß stattfinden, die Hauptaktivität der Linksradikalen gegen Ende des IWF/WB-Kongresses; dabei gibtes mehrere Überschneidungen, die auch so gewollt werden.
Am 23./24.9. wird ein wissenschaftlicher Kongreß mit internationalen Besetzung Ursachen der Verschuldung analysieren und Reformvorschläge formulieren - diese sollen auf
einer Demonstration/Kundgebung am 24.9. einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden
beide Veranstaltungen werden "legal" und "gewaltfrei" verlaufen, davon vielen linksradikalen Gruppen ein politisches Bündnis abgelehnt wird und sie nicht zur Demo aufrufen werden.
Ab Sonntagnachmittag bis zum Abschlußtag der IWF-Tagung am Donnerstag werden "unterschiedliche, phantasievolle Aktionen" von unterschiedlichen Gruppen ausprobiert werden, wobei alle Gruppen davon ausgehen, daß der Polizei-Apparat in diesen Tagen West Berlin zur höchst-bewachten Stadt der gesamten Weltkugel machen wird. Gegenwärtig ist noch nicht genau abzuschätzen, welche Gruppen
mit welchen Aktionsvorstellungen dann in der Stadt agieren werden, da die meisten Gruppen
aus den verschiedenen Städten und Regionen der BRD noch in genaueren Diskussionen
herausfinden wollen, ob sie parallel zu den Berliner Aktivitäten dezentral in ihren Städten
Aktionen vorbereiten und durchführen und wer zu den mehr zentralen Aktionen nach Westberlin
kommen wird - hier werden die genaueren Festlegungen auch erst im August oder Anfang
September fallen. Sicher ist bereits, daß an mehreren Zentren der BRD wie auch in
verschiedenen westeuropäischen Metropolen die Kritik an den jeweiligen Multinationalen
Konzernen Gegenstand praktischer Kritik sein wird, ebenso sicher ist, daß viele GenossInnen
in derselben Zeit sich an unterschiedlichen Aktionen in Westberlin beteiligen werden.
Die Aktionen werden sich gegen eine große Zahl konkreter Objekte richten,
deren Verknüpfung mit weltweit imperialistischer Herrschaft unübersehbar sind:
gegen Reisebüros, die Sextouristen in Zentren sexueller Unterdrückung (z.T. Thailand usw.)
befördern gegen Forschungseinrichtungen, die in Nazi-Tradition mit Menschenexperimenten gen-technologische Extraprofite machen wollen, gegen Zentren der neokolonialen Rohstoffausbeutung, in Berlin besonders Kaffee-, Tabak-, Kakao-Industrie, gegen Institutionen, die als "Entwicklungshilfe-Einrichtungen" die Zurichtung von Menschen und Technologien weltweit auf kapitalistische Strukturen scheinbar "fortschrittlich" betreiben...
Die Aktionsformen werden sich nicht eindimensional beschränken lassen: Linksradikale werden sich an Aktionen des legalen, gewaltfreien Widerstands da beteiligen, wo es ihnen sinnvoll erscheint, und auch viele "Reformer-Gruppen" werden es sich nicht nehmen lassen, mit eigenem Kopf und Gewissen, Auflagen von Staat und Polizei daraufhin zu überprüfen, ob sie einfachsten Regeln von Legitimität standhalten können.
Diese brisante Mischung sehr unterschiedlicher Aktionen - legaler, aber unerwünschter Großaktionen bis hin zu illegalen Kleinstaktionen, soll nachdem Konzept der Linksradikalen bis zum Abschlußtag in der Effektivität und Behinderung gesteigert werden bis zum Donnerstag. Hier soll dann versucht werden, mit einem "massenpolitischen Höhepunkt" weltweit zu demonstrieren, daß es in einer der
Metropolen des Kapitals für die Medien berichtenswerter ist, die Aktionen des Widerstands
gegen den Imperialismus darzustellen als die verlogenen Deklarationen von IWF und
Weltbank.
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