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aus: radikal Nr.114, März 1983

Der Stand der Bewegung

von Emma P.

Endlich ist sie möglich - die friedliche Gesamtlösung für alle besetzten Häuser - von der Revolte zum trauten Eigenheim

So lautete die Überschrift des Aufruf vom Kreuzberger Besetzerrat zur Demo am 22.9.. Die Gesamtlösung, besser die Organisierung unseres Rückzuges auf-grund unserer momentanen Schwäche, sollte einen Kompromiß von den beiden Seiten darstellen: von den Nicht-Verhandlern, die von ihrer radikalen Position abweichen und lediglich einen Duldungsstatus wollen und den Verhandlern, die nicht einzeln oder auch zu 29 losrennen sollen, um irgendwelche Verträge abzuschließen, um damit dem Konzept "spalte und herrsche" zu begegnen.

Also: mensch nehme eine Kampagne, tauft sie Gesamtlösung und gibt an, daß es für jedes Haus ein Konzept gibt, daß die Besetzer ihren Willen kriegen sollen, daß nicht geräumt werden soll und daß sich Nicht-Verhandler und Verhandler in trauter Zweisamkeit gegenseitig akzeptieren mache eine Pressekonferenz und wirbele ein bißchen auf Veranstaltungen und so und schon reagiert die Umwelt.

Die Opposition sprich SPD, (früher war da mal ein Schrägstrich) FDP und die AL nehmen die Gesamtlösung begeistert auf und unterstützen sie durch einen BVV(Bezirksverodnetenversammlung)Beschluß. Viele reden von ihr, sogar die Paten wachen auf, auch wird auf der Demo am 22.9.82 für sie demonstriert doch frag mal einen Besetzer, was das ist, du wirst dich wundern, was du da zu hören kriegst!

Nur sehr zaghaft beginnen Diskussionen über eine weitere Perspektive, denn die Verschlafenheit oder gar die Individualtrips haben ganz schön Fuß gefaßt. Zudem wollen viele Nicht-Verhandler nicht von ihrer kompromißlosen Position weg, wollen sie doch weiterhin verbalradikal dem Staat trotzen und ihre erkämpften "Freiräume" behalten. Dafür aber auch weiterhin etwas zu tun, fällt vielen schwer.

Das Erfahren von permanentem Zurückweichen ist auch nicht sehr ermutigend - waren "unsere" Gefangenen vor eindreiviertel Jahren noch Grund, um den Dialog mit der Macht kategorisch abzulehnen, war die Forderung nach Freilassung vor über einem Jahr noch eine der Vorbedingungen für Vertragsabschluß, so hat die Frage nach Freilassung "unserer" Gefangenen nur noch proklamatorischen Charakter.

Ein geduldetes Dasein im besetzten Haus kann also nur der letzte Kompromiß für eine radikalere Position sein, doch dies bedeutet - wie es so schön heißt - konsequenter den Widerstand organisieren und dazu fehlt uns das nötige Selbstvertrauen. Wir räkeln und rappeln uns nur langsam wieder hoch - da kann auch ein kurzes, diffuses Revival am 22.9. auf der Potse nicht darüber hinwegtäuschen.

Auch das Mißtrauen gegenüber dem Verhandlern ist nicht aus dem Weg geräumt: denn, wenn auch nicht Wüstenrot sondern Lummer mit seiner Kriminalisierungs- und Einschüchterungstaktik den Einsendeschluß für Verträge verkündet und das Eigenheim winkt welcher überzeugte Verhandler bleibt da stark oder gar solidarisch einer Gesamtlösung gegenüber?

Das Spannende bleibt also weiterhin, wie wir bei Programmschluß das Kino verlassen ! Der Countdown läuft Der Countdown der Häuser in Berlin scheint unaufhaltsam. In Charlottenburg wurde kurzerhand ein Haus in der Knobelsdorffstr, geräumt, sowie Hinterhäuser in der Dankelmannstr. baupolizeilich gesperrt, von Protest oder gar Widerstand war kaum was zu spüren.

Der Gürtel um die letzte Bastion das Ghetto in SO 36 wird immer enger. Ein Nichtverhandlerhaus in der WillibaldAlexisstr. in Kreuzberg erhielt wie auch andere in der Gegend ein Ultimatum bis Ende Februar. Die Besetzer wollten nicht so untätig auf ihre Räumung warten - die Nerven waren durch nächtelange Diskussionen schon etwas angespannt - sondern ihre Räumung selbst provozieren.
Sie veranstalteten am 4.3. eine anhaltende nächtliche Ruhestörung, was selbst die Bullen nicht überhören konnten. Nach ein paar Anläufen und das Überwinden von Barrikaden im Haus, ertönte beim Abschalten des Tonbandes eine Alarmsirene durch das besetzerleere Haus. Gleichzeitig konnten Hellhörige in der Nacht über 23 Scheiben klirren und Bauwagen knistern hören.

Am Tag darauf klappte endlich, was die meisten nur zu träumen wagten, 50 bis 60 Leute enteigneten eine Lebensmittelfiliale und verteilten auch ein wenig schüchtern an ansonsten Einkaufswilligen. Der Umfang der Enteignung hielt sich in Grenzen, doch Übung macht den Meister!

Derart im Räumungsfieber räumten die Bullen in der darauffolgenden Woche gleich wieder 2 Nichtverhandlerhäuser - die Eylauerstr. in Kreuzberg und die Villa Lotta in Zehlendorf. Die Räumungen trafen die Besetzer völlig unvorbereitet. Auch schien der desolate Zustand der Besetzer"bewegung" den Bullen in der Zentrale zu Ohren gekommen zu sein - ein angekündigter Neubesetzungstermin brachte lediglich 2 Kob's auf die Beine, von der Bewegung war kaum was zu sehen. Erst am frühen Abend kam eine Ahnung von dem auf, was einmal war: eine Wanne wurde von mehreren am Kotti angegriffen.

Auch wird gemunkelt, daß an Ostern die Konsumrennbahn Ku-damm den Kreuzberger Flair kosten darf.

Des Nachts waren in den letzten Wochen des öfteren Feuergeister unterwegs, die mal beim Feuerbeschwören von einem Hilfssheriff, auch Taxifahrer genannt, gestört wurden, oder die Beschwörung klappte nicht ganz, so geschehen bei der Grundkreditbank in Zehlendorf und bei einer anderen Lebensmittelfiliale. "Die Geister, die sie beschworen, werden sie nicht mehr los" oder wie war der Spruch ? nach oben