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aus: radikal Nr.111, 12/1982
Zoff im Kiez
Zoff im Kiez - doch nicht die üblichen Händel mit den pigs reflektierte einer der dabeigewesen war (in der letzten Ausgabe dieser Zeltschrift) sondern die Schlägerei zwischen "fightern" und "Schickis" anläßlich der Eröffnung eines Lampenladens . "elbe III" versuchte in die-sem Artikel eine kritische Aufarbeitung der Spannungen und Probleme zwischen den verschiedenen Subkulturen im 36-er Kiez. Daß ihm da aber einiges etwas verquer aufs Papier geraten war, reizte zwei unserer geschätzten Leser zu deftigen Erwiderungen.
"Der eine Teil der Berliner Szene besteht aus Künstlern, Studenten, Schwulen und ähnlichen Arschlöchern. Diese Leute empfinden es als höchste Erfüllung naseweis rumzuqutschen, 'cool' in irgendwelchen Löchern rumzuhängen und sich selbst besonders toll zu finden. (...) Diese Künstler werden besonders gehaßt von den sogenannten KreuzbergPunks. Diese sind hauptsächlich Linke, Anarchisten, Hausbesetzer und ähnliche Dummköpfe. Sie finden es besonders toll, kein Geld zu haben und in Wohnungen ohne Klo zu leben, weil sie dann ihren tierischen Instinkten nachgehen können und in den Flur scheißen. Sie lieben den 1-2-3-4-Pogo-Punk und ihr Evangelium sind Crass und Dead Kennedys. Wenn sie nicht gerade Punk hören oder Hasch rauchen, schimpfen siw auch gerne gegen die Bullengesellschaft. Und wenn sie mal ihren Ausgleichssport brauchen, prügeln sie sich auch mal mit Poppern." Soweit der scharfe Blick eines Kid P. aus Hamburg und sein Urteil über unsere innig geliebte Subkultur.
Der Artikel über die "Neuen Bunten" erinnerte doch allzu herbe an die obigen Sätze. Autor "elbe III" sondert Geistesblitze ab, die das schwankende Schiff dieser unserer subkulturellen Ghetto-Revolte sicher in den Hafen des allumfassenden Konsens "Sozialrevolution" geleiten sollen.
Kaum läßt 'mensch' mal so richtig so die Sau raus und zeigt, wer Chef in 36 ist, plagt ihn schon der Kater des schlechten linken Gewissens und das massenbasis orientierte Herz rutscht ihm tief in die autonome Lederhose. Um die simple Frage zu klären, ob 'Große Hauerei, Nase blutig, Schicki Krankenhaus', korrekt war oder nicht. Subkulturell-strategisch gesehen, immer den Klassenfeind fest im Auge und die Revolution im Sinn.
Trotz eines schweren strategischen Fehlers - die Bullen kommen ins eigene Nest - ein taktischer Erfolg: "Mit einer Ausnahme keine Verluste auf unserer Seite." Danke, abtreten, Herr Kommandant!
Um diese Prügelei also zu deuten, die, hätte sie zwischen zwei Fußball-Fanclubs stattgefunden, nie in die Radikal eingegangen wäre, wird gleich die gesamte Nachkriegs-Subkultur bemüht. Die Studentenbewegung, die Hippies und die Punks, sie alle konnte man unter bestimmten, kulturellen Leitfiguren und politischen Symbolbegriffen abheften. 'Mensch' überlegt: die früheren Protestbewegungen kamen alle ferngesteuert aus den USA und wurden über kurz oder lang integriert, obwohl sie doch z.T. 'wirklich systemverneinend' waren. Dafür sind hier "ganz unterschiedliche Bewegungen und Subkulturen entstanden", die "homemade", "konkret" und "Ausdruck einer direkten Betroffenheit" sein sollen. Selbstverständlich auch wirklich "systemverneinend".
Und dann fragt "elbe III" nach der einheitlichen Kultur, nach dem Grundkonsens, wie weiland Glotz, der Chefintegrierer. Dazu gerinnen ihm die Subkulturen zu Mode und Musik, den äußerlichsten und am schnellsten zu vermerktenden Ausdrucksformen vvon Kultur überhaupt! Vergebens sucht er unter den Lederjacken und schwarzen Helmen der Fighter von Brokdorf, Bremen und Berlin die Kultur des 'typischen' Autonomen, nur um dann zu bemerken, daß das Gemeinsame in der Verschiedenheit liegt.
Die dialektische Wende erklärt auch gleich das Ziel seiner Gemeinsamkeitssuche in der Kultur: all den verschiedenen Subkulturen ist doch wenigstens der Feind (el Schweinesystem) gemeinsam und deshalb wäre eine gemeinsame Kultur mit autonom-politischem Konsens nicht schlecht. Auch wenn die autonome Kultur noch nicht am Horizont von "elbe III" aufgetaucht ist, ist sie doch die einzig richtige: die anderen "subs" sind zwar ebenfalls "Betroffene", haben aber entweder nicht das richtige Bewußtsein (wie etwa die Hertha-Frösche oder die Skins) oder nicht die einwandfreie Klassenherkunft (Schickis-Kudamm-Kohleschweine Kapitalistenknechte/sprößlinge), da-für aber den Vorteil, potentielle Bündnispartner zu sein, Ein Teig, in dem die revolutionäre Hefe aufgehen möchte. Doch dazu brauchen wir - bei aller Verschiedenheit unseres alltäglichen Widerstandes den Grundkonsens. Also, erst nachsehen, ob Schicki das A im Kringel trägt, dann Stahlrute - Nase blutig.
In der autonomen Kleiderordnung, die immer auch die Kleiderordnung der Autonomen ist (Marx), gibt sich die psychische Ghettoisierung ihr passendes outfit. Proletkult gegen Boheme, endlich ist es soweit: die taktischen Diskussionen mit den "Verbündeten" sind obsolet, Gewaltkiste, Verbreiterung des Widerstandes, neue Formen, alles geschenkt. Zeige mir deine Klamotten und ich sage dir, was für ein Counterschwein du bist. Schließlich ist K 36 UNSER GHETTO und solange sich die Schicki-Micki hier rumtreibt, hat sie sich gefälligst unseren Normen anzupassen und sich so zu kleiden, wie es uns gefällt. Die jeweils gültige in/out-Liste, des autonomen Knigge verschicken die hard-core-fighter gegen Rückporto. Vorzugsweise diejenigen, bei denen die fette Lederjacke und die 'Was-bin-ich' Maske das politische Bewußtsein ersetzt. Wenn nicht ruck zuck ist die Fresse dick, so einfach ist das. Scheinbar kritisiert "elbe III" das alles. Aber in seiner Verkürzung von den militanten "Widerstandsaktionen", auf die er die Kultur der Autonomen reduziert, landet er doch wieder bei den Erscheinungsformen, dem absolut Äußerlichen. Wie wenig er kapiert hat, zeigt sich an seinem ersten Beispiel in Bezug auf "Subkultur": Musike. Aus dem Leichnam des seligen Sid Vicious kriecht die Mißgeburt New Wave, die sich in der BRD in die Neue Deutsche Welle und Combos wie Fehlfarben spaltet.
Erstens: Fehlfarben ist eine absolut unpolitische Pop-Gruppe, "Es geht voran" ist eine Parodie auf die herrschende Politik und ihren geschichtslosen Charakter und müßte, so die Gruppe, jedes Jahr neu geschrieben werden. Das der Song zu einer Nationalhymne der Hausbesetzerszene wurde, ist den Fehlfarben zwar peinlich, und für den Durchblick der Bewegung bezeichnend, aber dafür stimmt wenigstens der Plattenabsatz.
Zweitens: wieso überhaupt die Trennung? Ist politisches Statement in der Musik wieder gefragt? Die meisten der besseren KrautCombos wehren sich gegen die Vereinnahmung/Umarmung durch den "Polit-Mob der Straße", es sei denn, sie haben kein intelligenteres Vermarktungskonzept. Da sie aber mit ihrer Musik den Zeitgeist zum Tanzen bringen, müssen sie ja wohl irgendwas geschnallt haben.
Und sei es nur, daß das Nachbrüllen von Textzeilen noch keine Regierung gestürzt hat.
Und die Geschichte mit der Ghettomentalität: Auf die Ausgrenzung
durch die Mehrheitsgesellschaft folgt zur persönlichen Stabilisierung der nicht vorhandenen Identität die innere Abgrenzung gegen den Rest der Welt. Das ist nicht neu, aber immer wieder interessant zu beobachten und mitunter schmerzhaft.
"Jeder der nicht aussieht wie ich, den gibt es eigentlich nicht" (Hans-a-plast).
Ach, wär das schön, endlich allein auf der Welt!
bud weeser
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