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aus: radikal Nr.108, September 1982

...und die Häuserbewegung bewegt sich doch


Die Brisanz der besetzten Häuser hat vollkommen nachgelassen, sie sind kaum noch Auseinandersetzungspunkte unter Kollektiven, in Schulen, in Betrieben; die Schlagzeilen in den Zeitungen nehmen andere Themen ein. Demos nach Räumungen, auch wenn sie mit Plänkeleien mit dem Staatsapparat ablaufen, gehören zum Alltag; Anschläge sind zwar noch ärgerlich, aber sie sind nicht bedrohlich.

Der CDU-Senat, gekoppelt mit der Medienhetze, kriegt in Berlin immer mehr Pluspunkte, die auf eine endgültigere Lösung hindeuten: Unbequeme Häuser werden z.B. durch häufige Durchsuchungen kriminalisiert und dadurch räumungsreif gemacht, Verhandlungswillige müssen immer mehr Zugeständnisse machen, wenn sie vertragliche Absicherung wollen.
Der andere Teil der "politischen' Landschaft SPD/FDP/AL hält still. Nur die AL stürzt sich auf den 22.9., jedoch mehr, um an diesem Jahrestag ("Märtyrer" Rattay, die Räumungen der 8 Häuser oder wo liegt da der Schwerpunkt?) nochmals an friedlich politische Lösungen zu appellieren.
Um die Paten ist es ebenso ruhig geworden, einige versuchen noch, Vertragslösungen zustande zu bringen oder dem Bausenator Rastemborski klarzumachen, wie brav die Besetzer doch seien und v.a. wie fleißig. Die Tendenz liegt jedoch beim sich rausziehen, denn "die Besetzer seien ja selbst Schuld, wenn sie sich um nichts kümmern und Verhandlungen ablehnen und z.B. bei Reagan ins offene Messer laufen und außerdem gibt es wichtigeres als dauernd das Besetzerproblem".
Tja, bleiben da noch die Besetzer selbst.

Die Nicht-Verhandler legen schon seit Monaten eine äußerst bequeme Haltung an den Tag. Die einen wohnen einfach in den Häusern, verzichten wohl auf irgendwelchen Komfort, oftmals auch auf Strom und Wasser, müssen dafür halt nichts zahlen und abgesehen von den Durchsuchungen redet ihnen keiner rein, wie sie zu leben haben. Andere Verlagern ihre politische Aktivitäten auf Bereiche außerhalb der Besetzerei wie die Reagan/NATO-Geschichten und verdrängen das Problem. Es finden keine Kontroversen innerhalb dieses difusen Gebildes "Nicht-Verhandler" statt, auch nicht, wenn plötzlich die "radikalsten" (verbal !) unter ihnen ohne eigenes Dazutun rechtlich vor Räumungen abgesichert sind und sich in ihrem sicherem Heim wohlfühlen, ohne sich die Hände schmutzig gemacht zu haben.
Die Kriminalisierungstendenz wurde schon lange wahrgenommen, lange vor Reagan's Stippvisite wurde sie so gar prophezeit - doch ist eben nur eingetroffen, was eh schon erwartet wurde - Abgebrühtheit?

Erst nachdem Mitte August 20 Häuser durchsucht wurden und durch's Radio schallte, daß überlegt wird, ob der Besetzerrat nicht eine kriminelle Vereinigung sei, war die herrschende Schwäche absolut nicht mehr zu übersehen. Der Besetzerrat in Kreuzberg füllte sich, doch die Ratlosigkeit blieb, es war nur klar, daß die Situation reif ist, was neues zu machen.
Doch das ist nur möglich, wenn die Nicht-Verhandlerposition selbstkritisch neu bestimmt wird: - Jedem/r Besetzer/in muß jetzt klar sein, warum er/sie weiterhin den Besetzerstatus aufrechterhält und was das an konkretem Widerstand bedeutet.

- die alte Struktur weiterzuberreiben ist nicht möglich, wenn die bisherige Unverbindlichkeit weiterhin bestehen bleibt.

- auch muß eine Struktur von allen getragen werden. Die fatale Situation des letzten halben Jahres, daß wenige immer reingepowert haben, sei es bei den Aktionstagen zur Räumungsverhinderung oder bei der Reaganvorbereitung, wobei scheinbar unüberbrückbare Mackerstrukturen entstanden waren.

- andere widerstandsformen zu akzeptieren, also auch Verhandlungen, wenn sie nicht bedeuten, völlig still im System integriert zu sein.

Die Verhandlungsstrategie zeigt jetzt immer deutlicher ihre Grenzen auf, die nicht von der Freundlichkeit oder dem Verhandlungsgeschick der Verhandler abhängen. Zum Beispiel sieht es im Strategiengebiet in Kreuzberg so aus, daß eine Genossenschaft gegründet werden sollte, die die besetzten Häuser übernimmt, wobei der Senat die Eigentümer mit Ersatzhäusern entschädigen soll, dieser Deal läuft jedoch nicht, sie können sich nur entscheiden, ob sie als Genossenschaft die Häuser den Eigentümern abkaufen.

Oder das Beispiel der 29 Neuen Heimat Häuser:
Sie bekommen immer unverschämtere Vertragsbedingungen vorgeknallt wie:
- sie sollen die nicht vertragswilligen Häuser miträumen
- sie sollen 1,5 Mio Bewirtschaftungskosten pro Jahr bezahlen, obwohl da Zinsen und Planungskosten mit drin sind.
- ein vertraglich abgesichertes Haus, das geräumt wird, fällt wieder in den Schoß der Neuen Heimat zurück
Die Taktik der Neuen Heimat deutet jedenfalls darauf hin, daß sie alles versuchen, um keine Vertragslösung zustande zu bringen.

Der Spruch: "Wir lassen uns nicht spalten" blieb bisher Spruch. Es beginnen zähe und vorsichtige Annäherungen zwischen den beiden Positionen, wobei für beide schon lange die Notwendigkeit besteht, denn ohne gemeinsame Stärke ist letztendlich keine der Positionen zu realisieren. Die konkreten Formen und das Ende der Annäherungen sind allerdings noch nicht abzusehen.

Bei den Nicht-Verhandlern deuten sich Anzeichen von Rücknahme ihrer Position an, d.h.andere Leute um sie herum - also auch Verhandler - zu akzeptieren. Denn die Praxis in den letzten Monaten hat gezeigt, daß die Nicht-Verhandler den Widerstand nicht gepachtet hatten, also bei beiden gibt es Schlaffis oder sich nicht Verhaltende, wie auch welche, die Widerstand ernst nehmen - Rum wirbeln -sei es auf anderem politischen Gebiet oder auf der Strasse.

Es steht die Frage an, ob sich einige Häuser wirklich zutrauen, den Konflikt des Nicht-Verhandelns weiterhin auszuhalten. Doch die Zurücknahme der Nicht-Verhandlerposition aufgrund der vorhandenen Schwäche, bereitet ihnen auch Bauchschmerzen. Sie hoffen, durch das Aufknacken der bestehenden Erstarrung daß wieder mehr oder gar eine neue Bewegung - sprich verstärkter Widerstand entsteht.
Doch sehen sie genau die Gefahr, wenn dies scheitert, aktiv beigetragen zu haben, die Reste der Häuserbewegung mit zu integrieren! Sie wollen sich über diesen Schritt mit anderen v.a. mit Autonomen auch in Westdeutschland auseinandersetzen, denn eine teilweilige Zurücknahme von einer radikalen Praxis und Position hat Auswirkungen.

Konkret sieht dieser neue Ansatz so aus, daß im Kreuzberger Besetzerrat Gruppen gebildet wurden, deren Wirksamkeit allerdings von der aktiven vielzähligen Teilnahme beider Positionen abhängt:

- eine Gruppe, die sich um die Verhandlungen kümmert, Infos zusammenträgt und nach außen bringt

- eine Gruppe, die sich ernsthaft um Presse, Öffentlichkeitsarbeit kümmert, also auch schnell auf Falschmeldungen oder so Hetze reagiert, die prinzipiellen Inhalte sollten jedoch vorher von allen geklärt werden.

- eine Gruppe, die sich um Verteidigungsgeschichten bemüht, jedoch nicht nur bei Räumungen, sondern auch Demoschutz, Kiezschutz, evt. Karatetraining oder so, dazu gehört auch unser legendäres Kommunikationsnetz, das endlich mal aufgebaut bzw. verbessert werden sollte.

- eine Kiezgruppe, die die ganzen Sanierungsschweinereien zusammenträgt, mit Mieterläden zusammenarbeiten und evt. auch Kontakte zu ausländischen Gruppen, Organisationen hält.

- eine Alltagsgruppe,d.h. Organisierung von Problemen bei den Arbeitslosen, Sozi-Empfängern, Jobbern, sowie Entwicklung einer "sozialrevolutionären" Strategie. nach oben