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aus: radikal Nr.102, 3/1982
Die Faulen & die Fleißigen
In diesem Winter hat sich gezeigt, wie wichtig der Druck von außen für den Zusammenhalt der Bewegung ist. Läßt er nach, brechen schlagartig die Widersprüche in uns auf; wie ein Gespenst schleicht der Psyeho durch die Häuser und raubt uns die Erinnerung an alles Verbindende, grell und schmerzhaft erfahren wir unsere Verschiedenheit, im gegenseitigen Kampf, in spontanen Ausbrüchen oder schleichenden Nervereien. Allerorten wird die Klage laut, daß viel
Scheiße unter uns abläuft - aber wer traut sich schon mal, die Scheiße in die Hand zu nehmen und genau zu betrachten?
In der Tat: sie stinkt zum Himmel. Doch wird der Gestank nicht erträglicher, wenn wir ihn einfach ignorieren und bis zur nächsten Generaloffensive des Staats warten, von der wir ja wissen, daß sie nach innen oft den Effekt einer Klospülung besitzt. Solange wir nicht lernen, mit unseren Schwächen anders als durch Verdrängung umzugehen, wird unsere Stärke nie lange anhalten. Solange wir nicht lernen unsere Verschiedenheiten auszuhalten, ohne sie gegeneinander zu kehren, können unsere Gemeinsamkeiten schnell zerfallen. Um das zu verhindern, müssen wir uns die Verschiedenheiten zu allererst mal bewußt machen.
An der politischen Oberfläche sieht es im Moment so aus, als zerfalle die Szene nur in Verhandler und Nicht - Verhandler. Bei aller Wichtigkeit, die die Entscheidung für oder gegen Verhandeln in der kommenden Phase des Häuserkampfs trägt, ist sie doch nur eine von vielen Trennungs- bzw. Verbindunglinien, die quer durch die Bewegung verlaufen. Aus dieser Vielfalt
will ich im Folgenden eine herausgreifen, die bislang vom Licht der Öffentlichkeit unberührt blieb, obwohl sie ständig einen Haufen Konflikte heraufbeschwört: Ich meine unser Verhältnis zur Arbeit.
Es gibt viel zu tun, packen wir es an: Artikel müssen geschrieben werden, Leitungen verlegt, Teller abgewaschen, Infos besorgt, Zeitungen gesetzt, Flugblätter layoutet, Steine geworfen, Dächer gedeckt, Kohlen geschleppt, Veranstaltungen organisiert, Plakate gedruckt usw. , werden. Unsere Bewegung lebt nun mal nicht vom Nichtstun und Umherdösen. Gewisse Arbeiten sind unangenehm und trotzdem notwendig, doch sind wir weit davon entfernt, die Arbeit gleichmäßig unter uns verteilt zu haben. In jeder Gruppe, in jedem Haus gibt es Leute, die mehr arbeiten, und andere, die weniger arbeiten, sprich: Fleißige und Faule.
Beide Fraktionen tragen gewisse, charakteristische Merkmale, die polemisch überspitzt so aussehen: Die Faulen, auch Schlaffis oder Hänger genannt, leben fast ausschließlich nach dem sogenannten Bockprinzip. Wo immer es unangenehme Dinge zu tun gibt, versuchen sie sie hinauszuschieben (bis sie womöglich jemand anders erledigt). Wenn ihnen eine Sache Spaß macht, können sie auch äußerst aktiv werden, doch eben so schnell wieder in Lethargie verfallen, sobald der Spaß auhört.
Einige Faule wissen nicht, was sie den ganzen Tag über tun sollen, und sind froh, wenn
sich eine Beschäftigung anbietet, andere können tagelang rumhängen, quatschen, rauchen, teetrinken. Wieder andere verbringen ihre Tage damit, ständig neue Pläne zu schmieden, ohne einen eizigen anzupacken.
Insgesamt haben die Faulen wenig Gespür für sogenannte objektive Notwendigkeiten. Ihre Entscheidungen sind meist spontan, momentanen Wünscen entsprechend, ohne Kontinuität, daher gelten sie oft als unzuverlässig. Dennoch fällt es schwer ihnen böse zu sein, weil die Faulen oft sonnige Gemüter sind, denn sie leben ganz nach ihren Wünschen und unterwerfen sich keinen Zwängen, seien sie auch noch so revolutionär verpackt. Ihr Verhältnis zu Drogen ist durchaus freundschaftlich; sie sagen selten nein. Viele von inen sind süchtig.
Die Fleißigen hingegen, auch Aktivisten genannt, sind fast den ganzen Tag mit überaus wichtigen und nützlichen Dingen beschäftigt. Ihr Tag verläuft nicht planlos und zufällig, sondern
wird durch kontinuierliche Aktivitäten und sich wiederholende Termine bestimmt. Mit einem Blick können sie die Lage erfassen und die Notwendigkeiten aus ihr ableiten.
Häufig sind sie in irgendwelchen Arbeitsgruppen oder auf exklusiven, höchst bedeutsamen
Versammlungen anzutreffen (einen Sonderfall stellen die meist allein vor sich hinwursehtelnden Hausbastler und -künstler dar).
In allem was sie tun, versuchen sie die Kontrolle zu behalten und überlegt bzw. überlegen zu
reagieren. Ihre Spontanität ist daher meist unterentwickelt. Da sie auch viele Dinge erledigen, zu denen sie keine Lust haben, kommen sie ohne einen gewissen Selbstzwang nicht aus. Von Drogen halten sie in der Regel nicht viel, weil sie deren verheerende Folgen kennen.
Wie sieht nun das Verhältnis von Faulen und Fleißigen aus? Einerseits gibt es so einen Anspruch, sich gegenseitig zu akzeptieren, denn schließlich will niemand einen allgemeinen Arbeitszwang etablieren, oder die Faulheit als verbindliche Norm hinstellen. Doch die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Wo Faule und Fleißige sich nicht aus dem Weg gehen können, entsteht schnell auf beiden Seiten das Bedürfnis nach Abgrenzung. Mehr oder weniger offen werden Vorwürfe gemacht:
Die Faulen werfen den Fleißigen vor, verbissen, verbiestert, verkniffen, gefrustet, Kopfmenschen und Zwangscharaktere zu sein. Umgekehrt der Vorwurf der Fleißigen an die Faulen: Sie kriegen nix auf die Reihe, seien unzuverlässig, dumm, schwach und womöglich schuld daran, wenn
der revolutionäre Kampf nicht so schnelle Fortschritte macht, wie wir alle es uns wünschen. Aus diesen Vorwürfen erwächst dann schnell eine Atmosphäre gegenseitiger Verachtung.
Vertieft wird diese Kluft durch die Machtbeziehung, die sich automatisch zwischen beiden Fraktionen herstellen: Wer fleißig ist, weiß mehr, was wo läuft, und wer Infos besitzt, kann Entscheidungen treffen und die Entscheidungen von anderen beeinflussen. Mag sein, daß wir schon viele Gesetze und Normen der herrschen Gesellschaft unter uns aufgehoben haben, das Gesetz, wonach Wissen Macht ist, hat seine Gültigkeit unter uns nicht verloren. Von daher existiert eine
gewisse Macht der Fleißigen über die Faulen, eine gewisse Unterdrückung, der die Faulen wehrlos ausgeliefert sind, denn schließlich kann ihnen immer entgegengehalten werden, daß sie selbst sich in ihre Lage hineinbegeben haben.
Was noch dazukommt - trotz aller Abgrenzungsmanöver - ist, daß sich beide mitunter beneiden. Wen von den unermüdlich Tätigen packt nicht ab und zu mal die Sehnsucht, tagelang vor sich hinzudösen und die kleinen Freuden des Lebens zu genießen, und umgekehrt - wer von den chronischen Nichtstuern sieht sich nicht mal gern in der Rolle eines angesehenen Polit-Aktivisten? Alles in allem kein gutes Verhältnis.
Doch sind es zwei verschiedene Lebenshaltungen, die unversöhnlich nebeneinander stehen? Immerhin
können sich die Faulen zugute halten, praktische Kritik am Arbeit- und Leistungsprinzip der herrschenden Gesellschaft zu leisten. Die Faulen unter uns sind sozusagen der radikale Gegenpol zum arbeitsbesessenen Durchschnittsbürger. Doch macht Nichtstun auf die Dauer ja auch nicht glücklich, im Gegenteil. Unzufriedenheit und Gefühle von Leere schleichen sich ein, Selbstvurwürfe werden laut, es regt sich der Wunsch, etwas zu tun, aber was?
Liegt die Gefahr der Faulen darin, keinen Weg mehr in die Aktivität zu finden, so liegt die Gefahr der Fleißigen darin, keine Weg mehr aus ihr heraus zu finden, zum leistungsbesessenen Arbeitstier zu werden und um sich herum einen moralischen Arbeitsdruck zu verbreiten. Faulheit und Fleiß haben also beide ihre Tücken.
Am schönsten wäre es ja, es gäbe überhaupt keine Fleißigen und Faulen, alle wären mal faul und mal fleißig, alle wüßten die Vorzüge des Fleißes und der Faulheit zu schätzen und niemand landete in der Schublade des anderen. Dann wären wir dem Paradies ein Stück näher und ich - faul wie ich bin - hätte es mir sparen können, diesen Artikel zu schreiben
ein gewsisser Fauler
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