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Häuserkampf

Themenchronik

 

aus: radikal Nr.100, 1/1982

Wohin mit dem Dampf vom Häuserkampf

Wie alles anfing

Bereits mit den ersten beiden vollkommen unabhängig voneinander organisierten Besetzungen des Turms durch eine autonome Gruppe und der Cuvrystraße durch die Bürgerinitiative S036 war der Grundstein für die beiden wesentlichen Strömungen des Berliner Häuserkampfs gelegt. Ihr Zusammenwirken fand mit dem 12.12. den deutlichsten Ausdruck. Ohne die Öffentlichkeitsarbeit gezielter Steinwürfe gegen das Chaos, das die staatliche Herrschaft angerichtet hat, wäre die bisherige Arbeit der Mieter- und Bürgerinitiativen wahrscheinlich noch auf längere Zeit erfolglos geblieben.

Aber es gibt keinen Grund zu einem einseitigen Heroismus. Ohne die jahrelange Vorarbeit, die Öffentlichkeitsarbeit dieser Gruppen und ohne das daraus entstandene Bewußtsein in der liberalen Öffentlichkeit wäre der 12.12. als ein bescheidener Aufstand auch ohne weitere große Beachtung seiner Gefangenen in der Geschichte untergegangen. Um tatsächliche Erfolge im Häuserkampf zu erzielen, müssen daher beide Strömungen weiter und enger zusammenarbeiten. Beide sind gleich wichtig. Keine Strömung hat daher das Recht bei einer gemeinsamen Strategiefindung einen Führungsanspruch anzumelden.

Die breite Front

Die im Folgenden durch Paten und Unterstützer entstandene breite Bewegung muß erhalten bleiben! Die Empfehlungen des Papiers, die Paten sollten sich nun wieder verstärkt den Problemen in ihren Bereichen widmen, ist sehr gefährlich, weil dadurch die Häuser immer weniger einen öffentlichen Schutz erhalten. Was von ihnen geleistet werden kann und muß ist, auf die staatlichen Fehlleistungen an allen Ecken und Enden hinzuweisen und das System dahinter sichtbar zu machen; aber wirkliche Erfolge gegen die herrschende Politik lassen sich erfahrungsgemäß nur von breiten Bewegungen an diesen Punkten durchsetzen.

Das gilt auch für den Häuserkampf und das sollte auch jedem klar sein, für den politische Arbeit mehr bedeutet als zu jedem auftretenden Übel demonstrativ mit oder ohne Randale über den Kuhdamm zu rennen. Darum sind auch die Kräfte der Besetzer größtenteils durch die Verteidigung der Positionen im Häuserkampf gebunden. Sie können nicht in wirklich notwendigem Umfang an den anderen Säulen des Systems nagen. Hier ist ein omnipotenter Aufruf an die Besetzer, an allen Fronten zu kämpfen, zwar gut gemeint aber nicht realisierbar. Zumindest verursacht er die Spaltung zwischen denjenigen, für die Hausbesetzungen lediglich ein Mittel zum Zweck sind, ein Prinzip des politischen Kampfes gegen den Staat, wobei die Häuser selbst eine sehr untergeordnete Rolle spielen - und denjenigen, für die ihre Häuser als kollektiver Ausgangspunkt ihrer weiteren Arbeit bildet. Diese Spaltung müssen wir verhindern, ebenso wie die Abspaltung der Paten von der Besetzerbewegung.
Wenn wir uns aufspalten, verzetteln und an diesem Punkt erfolglos bleiben, werden wir auch an allen anderen Punkten so schnell wieder kein Bein auf die Erde bekommen, was wiederum nur die derzeitige Frust-Phase verlängert.

Alles oder nichts! Aber subito! Hier und jetzt!

Die Verbreiterung einer Bewegung bei gleichzeitiger Radikalisierung ist nur möglich, wenn alle Beteiligten auch gemeinsame Ziele verfolgen können und zu einem gemeinsamen Kampf in der Lage sind. So sind die Paten und Unterstützer inzwischen bereiter geworden auch mit radikaleren Formen Widerstand zu leisten. Wenn sich allerdings die etwas schicke und heldenmütige "Alles-oder-nichts-Mentalität" in unserer Szene durchsetzt, wird dies wohl kaum eintreten. Wer ist schließlich schon bereit mit radikaleren Mitteln für etwas zu kämpfen, wovon er vorher genau weiß, daß unter den gegenwärtigen Bedingungen "nichts" dabei rauskommt?

Der Bruch des staatlichen Legalitätsprinzips ist für jede Bewegung gegen staatliches Unrecht eine wichtige Sache. Ihn aber de fakto zur obersten Richtschnur zu erklären, ist absolut hirnrissig. Wir geben damit immer mehr auf, was wir positiv im praktischen Leben verändern wollen und können und reduzieren unseren Kampf auf formale Negativabgrenzungen gegen den Staat, die ihm mehr nutzen als schaden, weil wir uns im Grunde auf seine schwachsinnige Prinzipienreiterei einlassen: "Legal! Basta!" sagt der Staat, "Illegal! Basta!" sagen die Besetzer. Das für unsere Bewegung wichtigste Wort von den Dreien - nämlich "Scheißegal" - bleibt auf der Strecke, obwohl wir letztendlich mit ihm am kreativsten, am umfassendsten und am unfassbarsten wären. Die Illegalität zum obersten Gebot, zum Dogma autonomer Bewegungen zu erklären, heißt aber im Grunde: der Untergrund ist der Gipfel der Autonomie! Das darf doch wohl nicht euer Ernst sein! Auf dieser Grundlage jedenfalls wird sich unsere Bewegung weder verbreitern noch radikalisieren.

Diese Strategie beinhaltet die Anerkennung des herrschenden Verhältnisses von legal und illegal und verzichtet auf die Möglichkeiten, durch Druck auch die herrschenden Legalitätsverhältnisse verändern zu können. Es ist aber der erklärte Wille fast aller Unterstützergruppen, Bürger-,Mieterinitiativen und Kirchen gerade auch auf diesem Wege für alle Betroffenen, die sonst noch leben - auch hier und jetzt - Verbesserungen zu erkämpfen und "abzusichern". Ihr könnt sie in die Schublade mit der Aufschrift Reformist packen - mit Sicherheit sind ein Haufen Leute dabei, die erfahren haben oder gerade erfahren, genauso wie wir auch, daß ein Staat nicht so einfach abzuschaffen oder zu zerschlagen ist, wie mit dem Hämmerchen das Sparschwein - hier und jetzt. Wir dürfen diese wichtige Form des gesellschaftlichen Kampfes nicht ignorieren, belächeln oder als schlecht hinstellen - im Gegenteil: wir müssen mit diesen Leuten noch mehr als bisher zusammenarbeiten, gemeinsame Positionen und Etappenziele herauskriegen. Das heißt nicht, da wir weitergehende Vorstellungen über Bord werfen, sondern wir müssen sie dort einbringen und diskutieren.

Wichtig ist dabei, auch die Gefahren einzubringen, - und das ist in dem Papier sehr gut beschrieben - die Gefahren, die wir in dem ganzen Kontroll- und Bürokratiewust sehen für die Entwicklung alternativer und autonomer Lebensformen. Aber Gefahren sind nicht dazu da, daß man gelähmt vor ihnen steht und resigniert, sondern daß man sich gegen sie was überlegt und sie damit überwindet. Warum sollte es nicht möglich sein, mit den Unterstützergruppen und Mieterinitiativen Lösungsmöglichkeiten am Punkt der Wohnungspolitik zu finden, die Besetzern und allen anderen Betroffenen Mietern gleichermaßen nutzen können.

Ohne ein konkretes praktizierbares Lösungsmodell, wie Betroffene, Mieter und Besetzer die Selbstverantwortung über gemeinschaftliche Werte übernehmen können, degeneriert der Begriff "Enteignung" ohnehin zu einer leeren Agit-Prop-Blase, zu einem bloßen Mode-Slogan, der darüberhinaus noch problematisch ist durch seine bisherige Bindung an staatliche Maßnahmen. Es schadet uns überhaupt nicht, wenn wir dabei eine irgendwie geartete Form von Legalisierung eingehen. Entscheidend für uns kann doch nur sein, daß wir uns nicht dem Staat gegenüber in erster Linie verpflichten, sondern den Betroffenen, den Mieter- und Solidaritätsbewegung gegenüber - und daß wir selbstverantwortlich unsere Selbstverwaltung organisieren können. Uns bleiben noch soviele Formen von Subversivität und auf illegale Wegweiser, phantasievolle Militanz und die unsichtbare Enteignung als Umverteilung von Gütern werden wir eh nicht verzichten, dort wo es notwendig wird.
Es kann uns bei alldem nicht um "Inseln" oder "Freiräume" gehen, sondern - wie es auch für die gesamte Alternativbewegung wichtig wäre - um bessere Ausgangspunkte zur Einwirkung auf die Gesamtgesellschaft und zur Ausweitung und Verbreitung autonomer Lebensformen.

Krieg führen und verhandeln

Wir müssen davon ausgehen, daß der Senat auch weiterhin bereit ist, den Willen der Geldsäcke mit allen Mitteln durchzusetzen. Er wird uns weiter den Krieg erklären und vorerst auf Räumungen nicht verzichten. Wir müssendaher weiterkämpfen und unsere Aktionen besser, phatasievoller, dezentraler und unvorhersehbarer gestalten, um nicht auf den alten Trampelfaden gemachter Äktschen zerrieben zu werden.
Wir können aber nur durchhalten, wenn sich immer mehr Leute und Gruppen mit der ganzen Bandbreite von direkten, auch gewaltfreien Aktionen beteiligen. Dies ist aber wie gesagt nur möglich, wenn sich alle auf etwas einigen können, was auch alle im Moment noch für maximal durchsetzbar halten und wir unsere Vorstellungen so einleuchtend wie möglich der Öffentlichkeit und dem Senat präsentieren. Krieg führen und verhandeln sind kein Widerspruch - genausowenig wie "Autonome und Verhandler" ein Widerspruch sind. Fast alle revolutionären Bewegungen haben auf dieses Prinzip des Kampfes auf allen Ebenen zurückgegriffen. Es gibt keinen Grund für uns, dies nicht zu tun. Der "Dialog" wurde von den verantwortlichen Politikern erfunden - nachdem sie uns jahrelang nicht hören wollten - nicht, weil sie uns jetzt so nett finden und meinen, uns becircen zu können sondern als Propagandaaktion - um möglichst öffentlichkeitswirksam ihre Maßnahmen und Positionen zu rechtfertigen; um letztendlich immer mehr Leute für ihre militärische Form von Problemlösung zu gewinnen. Wir müssen daher mit allen Unterstützern diese öffentlichkeitswirksamen Methoden und Kanäle, die in unserer Massengesellschaft nun mal vorgegeben sind, ebenfalls benutzen.

Wenn wir uns diesem Mechanismus verweigern, werden wir zwangsläufig ins Hintertreffengeraten. "Dialogisieren" oder "verhandeln" in diesem Sinne heißt nicht, "sich mit den Schweinen an einen Tisch zu setzen". (Im übrigen muß an der Stelle mal gesagt werden, daß dieses Modewort in der szene wirklich eine Beleidigung für alle Schweine ist; denn die sind nicht so kaputt untereinander drauf, wie es viele Politiker und Geldsäcke gegenüber ihren Mitmenschen sind.) Es gibt für uns noch viele Möglichkeiten unsere Vorstellungen und Problemlösungen öffentlichkeitswirksam weiterzutragen und als Alternative zur Diskussion zu stellen, wenn wir uns etwas mehr öffnen als bisher.

Diese Vorgehensweise beinhaltet keinesfalls ein Aufgeben der Gefangenen - im Gegenteil: nur wenn wir unsere Positionen und Lösungsvorschläge öffentlich mehr durchsetzen können, können wir dem Staat vor aller Augen das Recht absprechen, diese Freundinnen und Freunde, die mit uns für dieselben Ziele gekämpft haben, weiterhin als Geiseln festzuhalten. Nur so wird sich auch eine breite Bewegung zur Freilassung der Gefangenen erreichen lassen. Jede andere Strategie gerät in Gefahr, die Gefangenen zu mißbrauchen als Opferkälber revolutionärer Ungeduld.

Der "demokratische Faschismus"

Nun zu unserem derzeitigen politischen Ausganspunkt. Systemkrisen und Kriegsgefahr werfen in der Innenpolitik immer ihre Schatten voraus. Es ist die Zeit der "Starken Männer'', der Führerpersönlichkeiten, die in der Lage sind, die treu doofe Volksseele an den Rand des kapitalistischen Abgrunds zu führen und bereit sind, jeden aufkommenden Widerstand mit allen Mitteln zu zerschlagen. Die bürgerliche Politik ist auf diese Menschen angewiesen, weil ihre Kultur das Führerprinzip und die Leithammelmentalität verinnerlicht hat. Sie können erfahrungsgemäß aus allen Parteien kommen und sind austausch bar. Im Moment kommen sie mit Sicherheit eher aus den Parteien der Rechten, weil die SPD derzeit nur auf eine gespaltene Basis zurückgreifen kann. Mit Lummer hat man in Berlin so eine im grunde kleine miese Type gefunden, die bereit ist, den Bluthund zu spielen, um die vollständige Bewegungsfreiheit der Geldsäcke weiter zu garantieren. Die Merkmale seiner Politik sind identisch mit den Merkmalen, die sogar der Verfassungsschutz für Rechtsextremismus formuliert hat.

Trotzdem oder gerade deshalb wird er von der Parteibasis und der reaktionären Massenpresse weiter aufgebaut. Sein Rezept ist simpel: mit einer Zerschlagung der Bewegung in Berlin will er auch für Westdeutschland im Brennpunkt ein Exempel statuieren. Den "geistigen Führungsanspruch" von Berlin hat er bereits angemeldet, in der Tat hätte ein Erfolg dieser Draufhau-Politik hier schlimme Auswirkungen auf den Fortbestand auch der westdeutschen Bewegungen gegen die bürgerlich Zerstörungskultur. Die Zeichen der Zeit stehen gut für eine solche Politik. Vieles von heute ist Weimarer Abläufen wieder verdammt ähnlich:

Mit der Spaltung der SPD geht es voran; mit der revolutionören Bewegung geht es voran; aber ungleich mehr geht es wieder voran mit der faschistoid-nationalistischen Mobilisierungsbereitschaft breiter Teile der Bevölkerung. Haß gegen Ausländer und aktive Minderheiten, völkisches Gedankengut wie die Rolle der Mutter und die Rolle der Familie als Ur-Hort von Ruhe und Ordnung greifen in der Politik wie in der Bevölkerung immer mehr um sich. Mit der Konzentration der reaktionören Presse geht es ebenfalls voran und das Privatfernsehen in den Händen des Springer/Burda/etc- Konzerns könnte mit Sicherheit der einschlagenden Wirkung des Volksempfängers in nichts nachstehen. Die Justiz verstärkt diesen Trend auf ihre Weise und und und ....

Von diesem Ausganspunkt müssen wir ausgehen, ob wir wollen oder nicht. Eine Zerschlagung der Substanz unserer Bewegung können wir nur verhindern, wenn wir uns mehr als bisher in Richtung einer Massenbewegung orientieren und auch bereit sind mit antifaschistischen Kräften im bürgerlichen Lager zusammenzuarbeiten. Das heißt nicht, daß wir jetzt kuschen und auf unsere Widerstandsaktionen verzichten müssen. Wenn wir mehr Leute im Kampf für betroffenenorientierte und realistische d.h. im Moment noch durchsetzbare Ziele gewinnen, können wir auch diese Aktionen noch effektiver gestalten.

Im Grunde stehen wir in der nächsten Zeit vor der Möglichkeit, entweder mit vereinten Kräften noch einmal einen großen Teil unserer Vorstellungen und unseren Fortbestand als Bewegung durchsetzen zu können oder isoliert zerschlagen zu werden. Das wäre für die meisten für längere Zeit die Resignation und der Rückzug in die Privatheit. Eine Freilassung von Gefangenen wäre nur noch vereinzelt und als staatliche Geste des Gnade-vor-Recht möglich. Der besonders heiße Tip zur Bildung einer Hardliner- oder Kaderguerilla wäre in dieser Situation wohl die idiotischste Empfehlung bei den selben Erfahrungen, die wir schon kennen: der isolierte Privatkrieg weniger gegen den Staat mit der Folge einer gezielten Militariesierung der Innenpolitik und der gewohnte Teufelskreis, der die jeweiligen Gruppen immer mehr zum Befreiungskampf für ihre eigenen Leute treibt und so gesamtpolitisch lahmlegt.

Das was in dem vorgelegten Papier als ganz besonders wichtig hervorgehoben wird - nämlich die Ausweitung unseres Kampfes auf andere Bereiche, würde zwangsläufig zunächst zum Erliegen kommen. Bei diesem hohen Preis nützt es uns überhaupt nichts, den faschistischen Grundzug dieses Systems wieder mal ,entlarvt'zu haben. Durch jedes Zögern und Abwarten geraten wir ins Hintertreffen.

Der Faschismus kommt nicht über Nacht - sie wollen ihn uns scheibchenweise aufs Brot schmieren, ganz demokratisch und legal - versteht sich. Wir dürfen uns in unseren Autonomie-Bestrebungen in Zukunft nicht mehr in erster Linie von Unmut, dem Zorn, der Ungeduld, von Lust oder Unlust in unseren Bäuchen leiten lassen, sondern vor allem von unserer Selbstverantwortlichkeit auch der Geschichte gegenüber. Wir dürfen Autonomie nicht als Schlagwort begreifen, mit dem wir alles oder nichts mit unserem Ego rechtfertigen können, sondern als unsere gemeinsame moralische Grundhaltung und Grundidee im Kampf für die schrittweise Beseitigung jeglicher Herrschaftsformen von Menschen über Menschen. Dies schließt auch die Entwicklung von herrschaftsfreien Diskussionen, Prozessen und Organisationsformen in unserer Bewegung mit ein.

Zum Schluß muß doch mal gesagt werden, daß wir nicht leben um zu kämpfen, sondern daß wir kämpfen müssen, um besser und menschlicher leben zu können und als Vorschläge zur Energiedebatte: Alle Wärme geht vom Menschen aus - der Rest kommt von der Sonne und: wenn wir keinen Dampf ablassen, explodieren wir. Für die Bewegung selbst wäre das katastrophal.

Gelbschal
Dezember 81
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