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aus: radikal Nr.86, 1/1981

Bewegung aber subito


Während die staatliche Integrationsmaschine auf vollen Touren läuft, arbeiten wir daran, daß von uns in den Beton gebrochene Loch wieder eifrig zuzumauern.. Von der Offensive der spontanen Aktion sind wir nun über den Verhandlungs- und Spaltungsapparat der Bewegung selbst in die Defensive geraten.
Noch zeigt der Bruch nur Konturen, sicher schon eindeutige - aber halt eben erst schattenhafte Umrisse. Noch werden wir durch die Schwächen des Feindes, seine Uneinheitlichkeit zusammengehalten; da kommt es uns zugute, daß verschiedene politische Fraktionen, daß der Polizeiapparat gegen die Politikermaschinene, Justiz gegen Exekutive anarbeiten - doch das wird nicht von Dauer sein.
Schon deutet alles daraufhin, daß der Senat den Besetzerrat als Ansprechpartner für die Häuser anerkennen wird, die Sozialtechnokratie gewillt ist, die Häusersituation völlig zu bereinigen. Dementsprechendes läuft auf "unserer" Seite ab: Die "Alternativen" haben sich der Bewegung angenommen. Sie wollen den Kampf auf die Häusersituation reduzieren, versuchen über den Faktor "Öffentlichkeit" die Bewegung auf die Wohnungspolitik festzuschreiben. Unfähig die eigne Stärke zu begreifen können sie nur in einer dem Staat abgetrotzten Reformierung des Wohnungsbaus eine "Perspektive" sehen. Ihr Sozialarbeiterstatus kommt offen in ihrem Wunsch nach "Vertretung der Betroffenen" zum Ausdruck, im Kampf für die Sozialschwachen, für die Ausländer, für die Benachteiligten. Angst vor dem eignen Selbst und Wunsch nach eignem Kampf müssen sich hier verbergen.
Diese Angst vor der eignen Kraft konkretisiert sich in einer Veranstaltung mit und in der Kirche; da stellen sich Zusammenhänge her: Die Verinnerlichung des Staates, der Knüppel im eignen Kopf findet nur noch einen Ausweg, den der Flucht, der Flucht in eine herrschende Institution, die in bürgerlicher Humanitätsduselei Schutz verspricht, den Schutz vor der eignen Angst und den bösen Lebensverhältnissen. Unfähig den konkreten Widerspruch zwischen den eignen Wünschen und der repressiven Situation zu ertragen, flüchten die Verfolgten wie schon seit hunderten von Jahren in den Schutz der Herrschaft, Mutter Kirche !
Objektiv stehen diese Kräfte für Integration und Verdrängung von Widerstand, auch ganz persönlichem Widerstand.

Und es geht nicht nur um die allgemeine, abstrakte Angst vor dem Kampf an sich, sondern auch um die Furcht vor der Qualität und Dimension des Kampfes, dem Angriff auf den Staat. Nicht bereit einen Sieg als Sieg zu begreifen, sind sie verzweifelt versucht, eine Niederlage als Alibi zu fabrizieren. So z.B. in der Netzwerk-Dokumentation über die Krawalle und in vielen ähnlichen AL/Netzwerk oder anderen (wo sich die gleiche Ideologie einschleicht) Publikationen: Von "Brutalen Bullenübergriffen", "Schlägerorgien der Polizei", "Ohne Bullen kein Krawall" etc. ist da die Rede, andererseits werden die Plünderungen der "Eigendynamik der Nacht" zugeschrieben, aus über 100 von uns eingeworfenen Scheiben am Kudamm werden ein "paar zerdepperte Scheiben", die wohl zu entschuldigen seien. Wieder werden wir zum völlig passiven Opfer gemacht, das sich nie gewehrt, nie angegriffen hat, immer waren angeblich die Bullen zuerst da; es ist nur zu Offensichtlich, daß sich dieser Leidenshaltung die Kirche als institutioneller Träger dieser Gefühlskonstellation geradezu aufdrängte.
Verdammt nochmal! Wir haben angegriffen! Haben den Bullen und Senatspack gezeigt, was es bedeutet, wenn sie es wagen, eine Hausbesetzung zu verhindern; haben klargemacht, wenn sie K 36 angreifen, greifen wir den Kudamm an !
Außerdem: Die vielen kleinen subjektiven Siege, wie die Resignation des Winters auf einmal umschlägt in eine frühlingshafte Aufbruchstimmung, Träume und Utopien wieder lebendig werden; man spürt, wieweit man schon eine Niederlage verinnerlicht hatte, alles aufgeplatzt, nicht gelöst, aber als klaffende Wunde zu sehen, die Zerrissenheit zwischden dem, was ist und dem, was will.. .die Siege über unsere Angst und den Staat in unserem Kopf... das ansatzweise Auftauchen von Autonomie !!!

Die ALer/Netzzwerge können sich eignes Handeln nur als Reaktion auf Übergriffe der Macht vorstellen, ständig brauchen sie "Bullenübergriffe" oder "ungesetzmäßige Handlungen von Senat oder Bullen" als Legitimation (es ist natürlich richtig Bullenübergriffe anzuprangern, aber nicht auf dieser moralischen Ebene, Bullen greifen immer über!), immer nur reaktiv, immer nur korrigierend, nur die Macht in ihre Schranken verweisen wollend, bis hier und nicht weiter! Habt ihr eigentlich noch nie die Macht des Normalen, Geld, Bullen, Arbeit, 25 Millionen Hungertote jährlich etc. gesehen? Eigentlich alles Gründe für permanente Aufstände/Revolte !
Folglich ist unser Handeln notwendigerweise "kriminell", denn die Macht läßt nichts zu, was ihr wirklich gefährlich wird. Und ihr, ihr wollt doch nur die Schönheitsfehler der Macht korrigieren. Je mehr Schönheitsfehler wir entdecken, desto schöner wird die Macht !!!
Also verhandelt die Staatsmacht nur dann, wenn sie nicht in ihrer Struktur angegriffen wird, verhandelt nur dann, wenn in den Verhandlungen die Perspektive einer Befriedung, einer Machtstabilisierung gegeben ist. Unter diesem Aspekt ist es für uns nur dann sinnvoll zu "verhandeln", wenn wir dem Staat etwas diktieren können, wir also in der Offensive sind (wir sind also nicht grundsätzlich gegen Verhandlungen um die Häuser, es kommt auf unsere Position, Perspektiven und den Gesamtzusammenhang an). In den offensiven Phasen wird der Staat dazu gezwungen, uns als zumindest "gleichwertigen" Partner zu akzeptieren, das heißt in diesen Situationen sind wir für die Macht unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen nicht mehr kontrollierbar; eine militärische Lösung des Problems kann für den Rechtsstaat in diesem Augenblick nicht in Frage kommen, da die Herrschaft damit die Ebene des Konfliktes verlassen und in Friedenszeiten einen Krieg heraufneschwören wuürde; die Widersprüche des Staates nutzen, subversiv und phantasievoll, legal-illegal-scheißegal !
Konkret bedeutet das, daß wir jetzt mit der Errichtung eines Vermittlungsausschußes, gleich von wem er gestellt wird, eine gewisse Funktion erfüllen: Beruhigung, Kontrolle, Befriedung. Die Zeit arbeitet dabei nur gegen uns, der plötzliche Aufstand wird zum integrierbaren Prozeß umgerormt, die Unvorhersehbarkeit (auch für uns) wird terminlich wegprogrammiert (und dazu noch in nicht öffentlichen Gesprächen), die Bewegung institutionalisiert sich und der Senat hat Zeit sich zu stabilisieren.

Gerade mit der Destabilisierung der politischen Herrschaft nicht zuletzt aufgrund unseres Angriffes besteht die sich aufdrängende Möglichkeit, daß die Macht mit den sich ergebenden Perspektiven einer Restrukturierung des Systems, eine neue den Krisenbedingungen gemessene Bereinigung der Wohnungssituation und des ganzen Widerstandes durchführt. Und dies wird nicht nur in herrschaftssichernder sondern auch in herrschaftsentwickelnder Art erfolgen, Verhandlungen stellen für die Macht einen Teil dieser Krisenutzung dar.
Wenn ielzt also von vielen Leuten argumentiert wird, daß viele Widerstandsformen nebeneinander existieren können/müssen, so wird damit ein entscheidender Punkt ausgeklammert, nämlich, daß dies nur zutrifft, wenn die Aktionsformen gleichberechtigt und gleichzeitig ablaufen, wenn keine verdeckten Prioritäten gesetzt oder aufgezwungen werden. Nur dann, nur in einer dem Staat "überlegenen" Stellung (siehe oben zu den Bedingungen) steht die "Verhandlung" in einem echten gleichwertigen Bezug zu allen anderen Widerstandsformen; nicht aber - wie jetzt - aus einer Position des "Nicht-Mehr-Weiter-Wissens" heraus, aus der wir früher oder später in die integrierende Verhandlung oder Öffentlichkeit flüchten (müssen), die uns, auch, wenn wir uns subjektiv dagegen wehren, ihre objektive Gesetzmäßigkeit aufzwingt, aufzwingen wird.

Durch die Unfähigkeit eigne Perspektiven zu entwickeln (wo angreifen, wie, Massenaktion-dezentrale Aktion etc.), verlagern sich die Handlungsmöglichkeiten letztendlich ALLEIN auf die Schaffung von Öffentlichkeit; die sich selbst in die Defensive drängende Bewegung schafft sich damit feine altbekannte "Problemlösung". Was steckt also hinter diesem Öffentlichkeitswahn, hinter diesem Glauben, über das Flugblatt, die Kirche etc. etwas Entscheidendes im Hirn der Kleinbürger verändern zu können, was ist die Funktion?

Letztendlich waltet hier das alte auch 68er bürgerliche Aufklärungsideal, daß von einem eigentlich revolutionärem Bürgerpack, einer eigentlich auf unserer Seite stehenden Bevölkerung insgesamt ausgeht, welche es nur aufzuklären gilt. Ein Bewußtwerdungsprozess und erst eine Revolte laufen aber nicht über das Lesen des "Kapital", über ein Flugblatt oder die Agitation (das wenigstens sollten wir aus den Kaderzeiten gelernt haben) sondern sie können - müssen aber noch lange nicht- über die konkrete Verschlechterung der eignen Situation stattfinden (Perspektiven zeichnen hier die echte Nachbarschaftsarbeit, die Oma von nebenan zum Quatschen einladen etc., aber diese "Öffentlichkeit" ist wahrscheinlich zu konkret); und selbst dann noch kann sich eine genau entgegengesetzte Bewegung einstellen, die präventive Flucht in die verstärkte Unterdrückung.

Wenn diese ganze Vieldeutigkeit der Bewußtwerdungsprozesse, ihr Verhältnis zur Integration und damit auch die für uns immer unkontrollierbare Bedeutung der Medien - außer der Springerpresse - nicht begriffen wird, verfängt man/fjau sich nur allzuleicht in dem die Widersprüche benutzenden Vermittlungsapparat.
Um diesen potentiellen Vereinnahmungen durch die angedeuteten Strukturmechanismen (Strukturen und nicht Leute sind unsere Gegner; deshalb werden unsere Leute - wenn sie auch noch so "redlich" sind - bei der Arbeit in diesen Strukturen zu ihren Anhängseln) einigermaßen entgehen zu können; müssen wir uns auf uns selbst, auf unsere Betroffenheit, die Propaganda der Tat besinnen. Es geht nicht darum, dem liberalen Bürgertum die "falsche" Sanierungspolitik klarzumachen, sondern die Revolte der Bewegung zu diskutieren und fortzusetzen. Letztendlich steht der Öffentlichkeitswahn für eine unheimliche Sprachlosigkeit (deshalb wird auf soviel geredet) für eine Angst vor der eignen Stärke, der eignen Sprache, dem verinnerten Staat, der die eignen Siege nicht anerkennen kann; wir verhandeln über Dinge und Häuser, die beispielsweise schon für den Staat gegessen sind (Mariannenstraße, Cuvrystraße etc.).
Vielleicht sollten diese Leute, anstatt die Bevölkerung "aufzuklären", mal selbst einen Bewußtwerdungsprozess durchmachen, einen Prozess, der nicht nur ein paar rationale Ideologisierereien einschließt, sondern auch mal unbewußte Verdrängungen an den Tag legt - denn dort steht der größte Feind ! In diesem Zusammenhang erhält die an sich banale RAF - Phrase "Habt Mut zum Kämpfen, Habt Mut zum Siegen" ihre ganz subtile Bedeutung.

Was können wir nun weitermachen ?
Wir haben hier keine optimalen perfekten Lösungsvorschläge, nur ein paar Gedanken, an denen wir vielleicht ansetzen könnten:
Es darf nicht primär mehr heißen, was die Öffentlichkeit macht, sondern es muß zuerst darum gehen, wo wir als Bewegung angreifen können. Eine friedliche langweilige Demo ist genauso scheiße wie die MONOTONE Wiederholung eines Steinwurfes. Wir müssen unsere Aktionsformen nicht dazwisch suchen sondern daneben. Sonst handeln wir in einem Mangel an Möglichkeiten nur auf diesen von der Macht festgesetzten Ebenen nach vorgefertigten Modellen, nicht aus dem Reichtum des Widerstandes überall und nirgends.

Wenn die Militanten weiterhin die Bewegungsdiskussion den alternativen Integrierern überlassen, wird die Macht früher oder später über ihnen zusammenschlagen und auch sie - auf einer anderen Ebene- integrieren. "Terrorismus" und/oder Ruhe, Krieg und/oder Frieden - das sucht die Macht zu vererwirklichen,Vermeidung von Unkontrollierbarkeit, das ist ihr Ziel. Laßt also keine klaren Verhältnisse entstehen !

"Einbau von Filtern bei der BEWAG gegen den SMOG"
"Sofortige Beendigung der geplanten Abholzung des Tegeler Forstes"
"Sofortiges Abheben des ICC-Raumschiffes aus Westberlin"
- das sind weitere Forderungen, die der Besetzerrat in seinen Katalog aufzunehmen hat.
Zerstören wir dem Staat die Voraussetzungen einer Integration des Häuserkampfes durch ständige weitere Instandbesetzungen auch von Kulturzentren. Es kann nie genug Flucht- und Stützpunkte für uns geben. Für eine autonomes Kulturzentrum Kreuzberg (AKZ), eine Forderung unter vielen.
Und denkt daran: Wir sichern immer mehr Häuser, wenn wir in der Offensive sind.

Mobb hopp !
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