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aus: Taz, 1980
Schwarzer Freitag - Kreuzberg lebt
Eigentlich stand Abrüstung auf dem Programm und am frühen
Nachmittag des 12.12. deutete noch nichts daraufhin, daß dieser
Freitag sich wesentlich von anderen, angeblich freien Tagen im Leben eines
TAZ-Redakteurs unterscheiden sollte. Nachmittags um 15 Uhr eine Pressekonferenz
der Initiative "Für Frieden und Abrüstung" - um 18
Uhr die Veranstaltung. Vorhersehbare Ereignisse: Keine. Auch als um 17.30
Uhr ein Freund in die Wohngemeinschaft am Fraenkelufer stürmt um,
noch nach Luft ringend, zu erzählen, ein paar Häuser weiter
wäre gerade ein Haus besetzt und wieder geräumt worden, bin
ich noch nicht bereit dies als ein Signal, daß die Alltagsroutine
erschüttert, zu begreifen. Häuser werden in Kreuzberg jeden
Tag besetzt, na und? Ein bißchen Theater, aber nichts, was mich
davon abhalten konnte, mich wie geplant der "globalen Friedenssicherung"
zu widmen. Beim Verlassen der TFH verdichten sich die Gerüchte, in
Kreuzberg wäre doch mehr passiert, als eine routinemäßige
Besetzung. "Die Bullen räumen, in SO 36 ist Zoff", erzählt
aufgeregt ein Flugblattverteiler. Hin- und herschwankend zwischen dem
Verdacht "Scheißhausparolen" aufzusitzen und der aufgestachelten
Sensationslust siegt die Neugierde. Kurz vor dem Kottbusser Tor tauchen
die ersten Leute auf, deren äußere Insignien auf ein intimes
Verhältnis zur Scene schließen lassen. Ungläubig hören
wir uns an, wie sie die letzten zwei Stunden in Kreuzberg beschreiben:
"Wir haben aufgeräumt, es ist alles kaputt. Die Bullen sollen
sehen, was passiert wenn sie hier räumen wollen."
Wenige Minuten später ist klar, daß es diesmal tatsächlich
gefunkt hat. Die seit langem aufgestaute Aggression, Ergebnis eines beständigen
Wechselbades zwischen Drohung und Verhandlung, die täglichen Nadelstiche
haben eine Situation geschaffen, die niemand mehr kontrollieren kann.
Die erste Räumung, unwesentlich ob tatsächlich geräumt
wurde oder eine Besetzung verhindert, war der Funke an der Zündschnur
zum Pulverfaß. Das Bild, das der Platz rund um das Kottbusser Tor
bietet, versetzt mich schlagartig in eine andere Realität. Eine Hochstimmung
macht sich breit, der Prozeß der Vergesellschaftung ist in vollem
Gange. Von Polizei ist erstmal nichts zu sehen, zwei Wannen verschwinden
genau so schnell wie sie erst auftauchten. In dieser Nacht sind in Kreuzberg
die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße gestellt. Die Straßen
sind voller Menschen, Barrikaden werden gebaut, immer wieder Gruppen von
Leuten, die miteinander diskutieren. "Wann kommen die Bullen, das
können sie nicht dulden, Kreuzberg als Exterritoriales Gebiet?"
Zwar sieht man am Ende der Straßenschluchten ununterbrochen Blaulicht
zucken, aber erst einmal passiert nichts. Dann plötzlich rücken
sie vor, räumen die erste Sperre und werden von einem Steinhagel
empfangen. Was dann kommt, mutet wie ein kleiner Guerillakrieg an. Die
Bullen, gewohnt Demonstrationen aufzulösen, in Menschenmengen reinzuprügeln,
machen einen hilflosen, panischen Eindruck. Immer wenn sie mit fünf
bis zehn Mannschaftswagen in das Zentrum der Auseinandersetzungen hereinfahren,
ist niemand mehr greifbar.
Die Leute verschwinden in Kneipen, Hauseingängen, Hinterhöfen
usw. , um dann von hinten alles was an Pflastersteinen greifbar ist, auf
die plexiglasbestückten Wannen niederprasseln zu lassen. Es kam zu
Spießrutenfahrten von Mannschaftswagen, die durch ein Spalier von
steinewerfenden Besetzern fuhren, um sich an irgendeinem Platz neu zu
sammeln. Immer wieder versuchten die Bullen mit Stoßtrupps eine
nichtvorhandene Demonstration aufzulösen, zerstörten Barrikaden,
die dann an anderer Stelle wieder aufgebaut wurden. Doch Gnade denjenigen,
derer sie habhaft wurden. Zu dritt knüppelten sie einzelne Leute
zusammen, schleiften einzelne Unglückliche in die geschlossenen Mannschaftswagen,
wo man nur noch ahnen konnte, was mit diesen dann passiert. Phasen zeitweiliger
Ruhe wurden immer wieder abgelöst durch eruptive Ausbrüche neuer
Auseinandersetzungen. Die Konzeptionslosigkeit der Polizei kam besonders
deutlich zum Ausdruck als sie, um jemanden festzunehmen, einen Mieterladen
stürmten, in dem die dort Versammelten gerade darüber berieten,
wie man die Situation wieder einigermaßen unter Kontrolle bekommen
könnte. Ähnliche Szenen spielten sich in Kneipen ab, wo die
"Freunde und Helfer" in der Regel vergeblich versuchten, Leute
festzunehmen. In den frühen Morgenstunden endete diese erste Runde,
wohl eher aufgund beiderseitiger Erschöpfung als das die Polizei
verkünden konnte, sie hätten ihre "Ordnung" wiederhergestellt.
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