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aus: Interim März 1991 siehe auch Chronologie 1991

Bilanz der Anti-Shell-Aktionen aus unserer Sicht

Angesteckt von der Dynamik und politischen Breite einer internationalen "Anti-SHELL-Kampagne", wie sie bereits seit einigen Jahren hauptsächlich in den Niederlanden, den USA, Großbritannien und Skandinavien geführt wurde, sprangen Ende 1989 einige Westberlinerlnnen auf den "Kill a Multi"-Zug auf.

Einen Konzern von der Dimension wie SHELL international zu bekämpfen, war für uns das Faszinierende und gleichzeitig Erfolgversprechende. Dabei ging es uns darum, zum einen an SHELL exemplarisch die Politik multinationaler Konzerne aufzuzeigen und anzugreifen, zum anderen gibt es gute Gründe, gerade SHELL herauszugreifen. Nicht nur historisch spielte SHELL eine wesentliche Rolle bei der Ausbeutung für die Metropolen wichtiger Rohstoffe - ein Profiteur und Protagonist kolonialistischer Politik. In diesem Interesse wurde auch massiv das Nazi-Regime unterstützt. SHELL als Stütze des Rassistenregimes in Südafrika - einer der vielen Konzerne, die aus der Ausbeutung und Unterdrückung von schwarzen Frauen und Männern fette Profite schlagen. Auch hier bestimmt dieser größte europäische Konzern aufgrund seiner Stellung im Energiesektor und in der Gentechnologie die Gesellschaftsstruktur mit.

So beschlossen wir,diesen Konzern in die Öffentlichkeit zu zerren, ihm möglichst effektiv Schwierigkeiten zu bereiten. Es ging um die politische Vermittlung und Verbreiterung der Anti-SHELLKampagne hier. Bundesweit wurde vor allem von Medico eine breite Öffentlichkeitsarbeit gemacht. An vielen Stellen der BRD wurde SHELL zum Thema, an der Muschel gesägt.
War die Parole "SHELL raus aus Südafrika" eine wesentliche politische Bedeutung innerhalb der Kampagne, so wollten wir unseren antikapitalistischen Ansatz mit dem Aufgreifen der Parole "KiIl a Multi" kurz und klar zum Ausdruck bringen - und nahmen uns ziernlich viel vor.

Doch erstmal zur Situation im Herbst 1989:
Die Veränderungen im Zuge der Mauerdurchlöcherung hier in West-berlin machten Neuorientierungen notwendig, was zunächst mehr ein Gefühl war, als daß tatsächlich konkrete politische Ansätze gefunden werden konnten. Schon längere Zeit, spätestens seit dem IWF-Mördertreff, hatte sich in der internationalistischen Szene ein Gefühl der Lähmung breitgemacht, eine handlungsfähige Perspektive war nicht in Sicht. Die internationalistische Anti-SHELL-Kampagne hatte anscheinend schon vorher einige GenossInnen mobilisiert. Seit Juli 88 waren verschiedene Tankstellen in Westberlin nächtens besucht worden.
Offensichtlich wurde das Thema auch in kirchlichen Jugendkreisen und der Anti-Apartheidsbewegung (AAB) diskutiert - das waren vielversprechende Voraussetzungen, auch hier etwas ähnliches hinzukriegen wie in den Niederlanden. Dort arbeiteten unterschiedliche politische Spektren relativ gleichberechtigt an einem gemeinsamen Projekt - ohne daß eine gegenseitige Ab- oder Ausgrenuung erfolgt war.

Also riefen wir im Dezember 89 erstmal zu einer öffentlichen Veranstaltung auf - und siehe da, die unterschiedlichsten Gruppen und Einzelpersonen fanden sich auf einem anschließenden Anti-SHELL-Aktionsplenum ein. Positiv an dieser spontanen Struktur war die Fähigkeit, ohne langwierige Diskussionen und politische Linienkämpfe einen arbeitsfähigen Zusarnmenhang auf zubauen, der innerhalb kürzester Zeit eigene Aktionen vorbereitete. So mobilisierten wir im Januar 90 zu einer Tankstellenblockade, zu der ca. 600 Leute kamen - jedoch war das Bild stark von der autonomen Szene geprägt.

Trotzdem gab diese Aktion viel Aufwind. In den folgenden Monaten wurden massenhaft Flugis und Aufkleber an den Menschen gebracht, Broschüren und Büchertische gemacht, Tankstellen nachts besucht (was mit der Installation von Bewegungsmeldern und Überwachung im Frühjahr vorerst ein Ende fand). Unsere Aktionen hatten allesamt SHELLs Unterstützung des Rassistenregims in Südafrka als zentralen Inhalt. Das verwundert, wollten wir doch ursprünglich eindeutig antikapitallstische Inhalte rüberbringen, die SHELL-Boykottkampagne eher als Vehikel dafür nutzen. Was war passiert?

Wir waren irrtümlich davon ausgegangen, daß vor allem Gruppen aus dem AAB-Spektrum, dem kirchlichen Bereich etc. inhaltlich an dem Themenkomplex arbeitete und wir sozusagen nur die internationalistische radikale Konzernkritik ergänzen mußten. Es gab jedoch nur wenige Gruppen aus diesem Spektrum und dort waren es auch radikalere Einzelpersonen bzw. Kleingruppen, die sich an der Anti-SHELL-Mobilisierung beteiligten.
Daß sie einen schwierigen Stand auch innerhalb ihrer Organisationen/Gruppen hatten, wurde spätestens bei einer Aktion gegen die Präsentation von Südafrika auf der ITB (Internationale Tourismus Börse) deutlich, wo auf der Kundgebung unser Redebeitrag nicht gehalten werden konnte.
Mit der nicht nur dadurch bei uns entstandenen Unzufriedenheit und Ablehnung dieses Organisationsbündnisses konfrontierten wir etwas unreflektiert genau die wenigen Leute, die aus diesem Spektrum auf unser Plenum kamen. Im Laufe des ersten halben Jahres war dann quasi jeder Kontakt abgebrochen, ohne daß wir uns bemüht hätten, noch nach Gemeinsarnkeiten zu suchen. Positiver waren dagegen die Entwicklungen mit anderen Gruppen, vor allem mit den SchülerInnen, die in ihrem Bereich viele Leute zur Auseinandersetzung mit SHELL mobilisierten und mit Power und Fantasie dabeiwaren.

Allseits war die Lust da, mit vielfältigen Ideen die Kampagne zu beleben. Fotoausstellung zur Situation in den ,,Townships", Sprüh- und Farbaktionen, Transparente, das alles fand einen Höhepunkt in der Fahrraddemo zum internationalen Aktionstag Ende April. Diese Demo war gleichzeitig Teil der Aktionstage zum 1. Mai und damit eingebunden in eine stadtweite Diskussion und Vorbereitung.
Es waren nicht nur über 1000 RadlerInnen da, Krach und Farbe und freie Fahrt (die Bullen waren zunächst nicht da, dann immer am ,,falschen" Ort), sondern machte auch viel Spaß. Befürchtungen, daß die Bullen Streß machen würden - immerhin war die Sache nicht angemeldet - stellten sich als falsch heraus.

Hier gelang es uns das einzige Mal, mit Besuchen bei der Daimler Benz, Deutsche Bank und Schering, die Anti-SHELL-Kampagne in einem eindeutig antikapitalistischen Kontext zumindest symbolisch zu stellen.

Tatsächlich waren wir ziemlich überfordert. Ursprünglich hatten wir ein Plenum anschieben wollen, welches zu SHELL arbeitet und sich koordiniert. Inzwischen waren wir in die Rolle der verantwortlichen Initiatorinnen und IdeenproduzentInnen gerutscht (nicht ganz ohne eigene Schuld), der wir personell und kräftemäßig nicht gewachsen waren. Wir hatten auf einen Selbstläufereffekt gesetzt, im konkreten blieb jedoch fast alles an uns hängen. Es zeigte sich, daß schnell eingestiegene Gruppen vor allem aus der Scene auch schnell wieder weg waren bzw. kurzfristig arg übertriebene Erwartungen an die Koordination gestellt wurden.

Andere Gruppen, mit denen eine inhaltliche Zusammenarbeit wichtig gewesen wäre (z.B. Gentech) fanden sich nicht Toll war allerdings, daß einige wenige auf die Kampagne bezogene Berichte erstellten, was der SHELL-Konzern in verschiedenen Ländern (Thailand, Curacao, Kolumbien) für eine Polltik betreibt. Dies war eine Form von praktischer Solidarität, wo Gruppen aus der eigenen politischen Arbeit und den Projekten, an denen sie arbeiten, aufgezeigt haben, was SHELL damit zu tun hat.

Unsere Herangehensweise war aktionistisch bestimmt gewesen - es hätte intensiverer inhaltlicher (Mit-)Arbeit bedurft, unsere Vorstellungen deutlicher zu vermitteln. So blieb es im Wesentlichen bei der Boykottforderung, die von vornherein in der Kampagne vorgegeben war. Unsere Unzufriedenheit damit fand Ausdruck in einer inkonsequenten politischen Herangehensweise; nicht zuletzt wollten wir uns nicht (auch jedeR einzelne für sich) mit Haut und Haaren in die Kampagne stürzen, wollten auch weiterhin an anderen politischen Projekten weiterarbeiten.

So vernachlässigten wir z.B. die Öffentlichkeitsarbeit, Medien mieden wir fast vollständig. Unsere Energien wollten wir nicht in Boykottaufrufen verbrauchen, das hatten wir eigentlich von anderen erwartet.Wir sahen unsere Funktion nicht darin, auf andere Gruppen zuzugehen und für eine breite Kampagne zu werben, wie das z.B. durch Medico geschah.
Trotz dieser Widersprüclilichkeiten entwickelte sich zunächst eine vielversprechende Dynamik, die viele Hoffnungen entstehen ließ - nicht nur bei uns. Ganz deutlich wurde in dieser Situation, daß wir in Gedanken mehr bei unserem Vorbild in den Niederlanden waren, als bei den hiesigen Verhältnissen (neue Kampagne in der Stadt, aktuelle politische Situation, Spektrum der AktivistInnen).
Zu den internationalen Aktionen am 16. Juni ging uns die Fantasie aus, auch war das Plenum ziemlich zusammengeschmolzen. Es kam dennoch eine effektive Tankstellen-Blockade zustande. Trotzdem war die Aktion mit dem Gefühl behaftet, nach schnellem Anwachsen der Bewegung diese wieder zu Grabe zu tragen. Die Luft schien raus zu sein und das nicht nur bei uns.
Nach den Gesprächen zwischen Mandela und de Klerk, als sich eine Verhandlungslösung zwischen ANC und südafrikanischer Regierung andeutete, fiel in den Niederlanden die breite Boykott-Koalition in sich zusammen. Diese Entwicklung gipfelte in den Mandela Auftritten in den Niederlanden und der BRD parallel zum iernationalen Aktionstag am 16.Juni, wo er den Kontakt zur Boykottbewegung offensichtlich mied. Das hatte weitreichende Konsequenzen für den Anti-SHELL-Kampf BRD-weit und international, die zur Auflösung der Kampagne führten.

Letztendlich haben wir SHELL in Berlin zum Thema gemacht, wollten die Chance nutzen, nicht aus der Defensive heraus, sondern im Rahmen eines international organisierten Widerstands einen Multi so weit wie möglich in Schwierigkeiten bringen. Die lange diskutierten Kampagnen in unserer politischen Geschichte (KWU, Siemens etc.) machten dabei zugegebener Maßen wenig Mut - doch war die anfängliche Perspektive einer vernetzten Widerstandskultur auf ganz breiter und internationaler Ebene ein lohnendes Ziel - das, was wir in dieser Hinsicht aufgebaut haben, wird auch das Ende der Anti-SHELL-Kampagne überdauern!

ANTI-SHELL-KOORDINATION WESTBERLIN März 1991
KILL A MULTI!
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